Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
November 2013

1. Ben Urwand: The Collaboration: Hollywood’s Pact with Hitler.
Cambridge, Massachusetts & London, Harvard University Press 2013.
320 S., 22 €
ISBN 978-0-674-72474-7
2. Thomas Doherty: Hollywood and Hitler, 1933-1939.
New York, Columbia University Press 2013
429 S., 26 €
ISBN 978-0-231-16392-7

1. Ben Urwand / 2. Thomas Doherty:
1. The Collaboration: Hollywood’s Pact with Hitler / 2. Hollywood and Hitler 1933-1939

Erstmals stelle ich diesmal zwei Monatsbücher vor. Beide behandeln auf unterschiedliche Weise ein für uns spannendes Thema: die Beziehungen der Hollywood-Studios zu Hitler und der Nazi-Diktatur. Das Buch von Ben Urwand ist im September erschienen, das Buch von Thomas Doherty im Frühjahr. Beide Autoren haben intensiv geforscht und viel neues Material gefunden, sie unterscheiden sich in der Zuspitzung und Bewertung. Urwand ist provokant, Dohertys Buch wirkt abgesicherter in den Quellen und, was vielleicht mit seiner größeren Erfahrung zusammenhängt, seriöser.

Ausgangspunkt für beide Bücher ist die große Empathie Adolf Hitlers für den Film. Er ging nicht nur zu den großen Premieren ins Kino, sondern ließ sich auch regelmäßig im kleinen Kreis Filme vorführen, zu denen er dezidiert seine Meinung äußerte. Darunter waren zahlreiche amerikanische Filme. Gut gefallen haben ihm offenbar u.a. KING KONG (1933) von Merian C. Cooper und Ernest Schoedsack mit Fay Wray als „weißer Frau“, die BROADWAY MELODIES 1936 und 1938 von Roy del Ruth, WAY OUT WEST (1937) mit Laurel und Hardy; er war ein Fan der Mickey Mouse-Filme von Walt Disney, und Greta Garbo galt als eine von ihm sehr geschätzte Schauspielerin. „Schlecht“ waren für ihn zum Beispiel HELL’S ANGELS (1930) von Howard Hughes, TARZAN, THE APE MAN (1932) von W.S. van Dyke, The Prizefighter and the Lady (1933) von van Dyke & Howard Hawks, BLACK LEGION (1937) von Archie Mayo. Gelegentlich wurden auch Vorführungen abgebrochen, weil Hitler ungeduldig wurde, wenn die Qualität eines Films nicht seinen Erwartungen entsprach. So soll es zum Beispiel bei SHANGHAI (1935) von James Flood, BLUEBEARD’S EIGHTH WIFE (1938) von Ernst Lubitsch oder TIP-OFF GIRLS (1938) von Louis King geschehen sein. Auf diese Reaktionen weist Urwand in seinem Buch hin. Die Tagesabläufe des Reichskanzlers werden im Bundesarchiv in Koblenz verwahrt.

Thomas Doherty (*1952) ist Professor für American and Film Studies an der Brandeis University in Waltham, Massachusetts. Er hat Bücher über das amerikanische Kino der frühen 1930er Jahre und über die Medien im Kalten Krieg publiziert. Seine neue Publikation über Hollywood und Hitler 1933 bis 1939 basiert auf der Sichtung vieler Filme und auf dem intensiven Studium zeitgenössischer Quellen; dazu gehören vor allem die Branchenzeitungen Variety und Hollywood Reporter, die Akten der Production Code Administration, die damals sehr aktiv war, und archivierte Regierungsunterlagen; insgesamt gibt 786 Zitate und Quellenverweise. Dohertys Einstieg ins Thema ist der Umgang der Nazis mit dem Film ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT (1930) nach dem Roman von Erich Maria Remarque, dessen Vorführung in deutschen Kinos gestört wurde, woraufhin die Oberste Filmprüfstelle ein Verbot des Films aussprach, das erst nach erheblichen Kürzungen aufgehoben wurde. Die deutschen Reaktionen brachten nicht nur den betroffenen amerikanischen Produzenten Carl Laemmle in Schwierigkeiten, sondern auch seine Studio-Kollegen, für die der deutsche Markt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten verschärfte die Probleme zwischen Deutschland und Hollywood, aber in den ersten Jahren spielte die aggressiv antisemitische Politik der Nazis dabei eine erstaunlich geringe Rolle. Auch die mächtigen Studio-Bosse, meist jüdischer Herkunft, verhielten sich eher diplomatisch, um den Import amerikanischer Filme nach Deutschland nicht zu gefährden. Doherty hat sein Thema in 13 Kapitel aufgefächert, wobei er auch Italien und Spanien ins Spiel bringt: mit dem Bericht über einen Besuch des Mussolini-Sohns Vittorio in New York und Hollywood (begleitet von dem Produzenten Hal Roach) und mit einem längeren Text über das Engagement von Filmschaffenden aus Amerika im Spanischen Bürgerkrieg; ausführlich wird hier der Film BLOCKADE (1938) von William Dieterle behandelt. Bei seiner Spurensuche hat Doherty interessante Entdeckungen gemacht: wie das Filmprojekt „The Mad Dog of Europa“ des Produzenten Sam Jaffe und des Autors Herman J. Mankiewcz 1933 verhindert wurde; wie der Film HITLER’S REIGN OF TERROR (1934) von Cornelius Vanderbilt jr. verboten wurde; wie auf den Film I WAS A CAPTIVE OF NAZI GERMANY (1936) reagiert wurde. Natürlich wird über die Gründung der „Anti-Nazi-League“ im April 1936 informiert. Zwei Kapitel sind der Wochenschau und dem Dokumentarfilm gewidmet, vor allem das zweite, eine Analyse der Serie THE MARCH OF TIME, die 1935 aus einer Radiosendung entwickelt wurde, ist lesenswert. Fast mit Schadensfreude liest man den Bericht über einen peinlichen Besuch von Leni Riefenstahl im November 1938 in Hollywood; sie wird nur von Walt Disney empfangen. Das vorletzte und umfangreichste Kapitel ist dem Warner Bros.-Studio gewidmet, das sich frühzeitig von Hitler-Deutschland distanziert hat; hier geht es auch um den berühmten Film CONFESSIONS OF A NAZI SPY (1939) von Anatole Litvak, an dem viele deutsche Emigranten mitgewirkt haben. Das 13. Kapitel heißt „Hollywood goes to war“. Der Epilog „The Motion Picture Memory of Nazism“ ist vergleichsweise kurz.

Ben Urwand (*1977) ist  ein verhältnismäßig junger Historiker und zurzeit Junior Fellow of the Society of Fellows an der Harvard University in Cambridge. „The Collaboration“ ist seine erste Publikation. Er hat sich mit spürbarer Leidenschaft in sein Thema vertieft, und sein Buch hat zumindest eine Qualität: es stellt Fragen an das Verhalten der Studiobosse in Hollywood in den 1930er Jahren, die bisher gern tabuisiert wurden. In der Beantwortung dieser Fragen bleibt Urwand allerdings oft vage und hypothetisch, weil es große Lücken in den schriftlichen Quellen gibt. Seine These, dass Hollywood in den 1930er Jahren aus wirtschaftlichem Interesse mit den Nazis „kollaboriert“ hat, klingt provokant, lässt viele differenzierte Aspekte außer Acht und hat natürlich sogleich heftigen Widerspruch ausgelöst. Auch bei Urwand gibt es einen Prolog und einen Epilog. Der Prolog lässt den deutschen Filmoberprüfer Dr. Ernst Seeger im Umgang mit dem Film KING KONG zu Wort kommen. Der Epilog erinnert an den Besuch von sechs Studio-Executives im Juni 1945 in Deutschland, angeführt von Jack Warner (Warner Bros.), Darryl Zanuck (Twentieth Century-Fox) und Harry Cohn (Columbia).

Die sechs Kapitel haben eher lakonische Titel: „Hitler’s Obsession with Film“, „Enter Hollywood“, „’Good’“, „’Bad’“, „’Switched Off’’“ (das bezieht sich auf die Hitler-Reaktionen: gut, schlecht, abgebrochen) und „Switched On“. Auch Urwand hat natürlich ausführlich recherchiert; es gibt insgesamt 980 Zitate und Quellenverweise. Seine zwei Schlüsselfiguren sind der damalige deutsche Konsul in Los Angeles, Georg Gyssling, und der Leiter der amerikanischen Production Code Administration, der sehr konservative Joseph I. Breen, ein ausgewiesener Antisemit. Ihr Zusammenspiel hatte sicherlich fatale Folgen, denn Gyssling wurden neue Produktionen oft zur Begutachtung vorgeführt, und er konnte seine Vorbehalte offenbar erfolgreich vermitteln. Hierfür gibt es allerdings selten belastbare Dokumente, denn meist wurden Entscheidungen im Produktionsprozess telefonisch oder in internen Sitzungen vermittelt. So rettet sich der Autor oft zur Umschreibung „wahrscheinlich“ oder „vermutlich“. Auch Urwand dokumentiert den deutschen Zensurkampf um ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT, der auch Auswirkungen auf die Fassungen anderer Länder hatte. Interessant ist seine ausführliche Schilderung der erfolgreichen Versuche, die Verfilmung des satirischen Romans „It Can’t Happen Here“ von Sinclair Lewis zu verhindern; auch hier sehen die Studiobosse schlecht aus. Was im Übrigen fehlt, sind konkrete Zahlen für den wirtschaftlichen Erfolg der amerikanischen Filme in Deutschland. Man weiß, dass vor allem die Komödien sehr erfolgreich waren. Aber man weiß nicht, um wieviel Geld es bei der Connection zwischen Deutschland und den Hollywood-Studios im Kern ging. Wenn das Buch von Urwand jetzt in Amerika auf Widerstand stößt, dann hat das sicherlich auch damit zu tun, dass der Mythos des klassischen Hollywood der 1930er Jahre nicht politisch ins Wanken geraten soll.

Lesenswert sind meines Erachtens beide Bücher, ihre Unterschiedlichkeit ist hoffentlich deutlich geworden.

Das Cover des Urwand-Buches zeigt Hitler bei einer Filmvorführung, die Abbildung des Doherty-Titels ist ein Foto aus dem Film SONG OF SONGS (1933) von Rouben Mamoulian mit Brian Aherne und Marlene Dietrich.