Filmbuch des Monats
September 2009
Bernd Lange und Hans-Christian Schmid:
Sturm
Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 2009
286 S., 18 €
ISBN 978-3-88661-326-7
Bernd Lange und Hans-Christian Schmid:
Sturm
Sein erster Spielfilm, NACH FÜNF IM URWALD (1995), war eine Komödie und die Entdeckung von Franka Potente. Dann wurde es ernst. In den vergangenen zehn Jahren hat Hans-Christian Schmid fünf große dramatische Werke geschaffen, die sich auf gesellschaftliche und politische Realitäten einlassen.
23 (1998) handelt von den paranoiden Parallelwelten eines 20-jährigen Computerhackers, CRAZY (2000) von der Selbstfindung eines 16-Jährigen in einem Internat, LICHTER (2002) von den Alltagswelten an der Oder in Frankfurt und Slubice, REQUIEM (2005) von der Psyche eines epileptischen Mädchens, das in den Exorzismus getrieben wird, STURM (2008) von einem Prozess vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Die Titel seiner Filme klingen lakonisch, die Filme selbst gehen dramaturgisch und emotional ins Zentrum des Geschehens, sie berühren, sie klären auf, sie lassen uns nachdenken.
STURM ist zurzeit in den deutschen Kinos zu sehen. Erzählt wird die Geschichte einer Anklage gegen einen ehemaligen Befehlshaber der jugoslawischen Volksarmee, dem die Deportation und Ermordung bosnisch-muslimischer Zivilisten in der heutigen Republika Srpska vorgeworfen wird. Der wichtigste Zeuge nimmt sich das Leben, der Anklägerin gelingt es, eine andere Zeugin zur Aussage zu überreden, die Verhandlung endet mit einem dramatischen Finale. Der Film ist ein Politthriller, der auf dem Fundament präziser Recherchen entwickelt wurde und dennoch die Genreregeln einhält: Man verliert gelegentlich den Boden unter den Füßen.
Das Buch zum Film schafft einen Mehrwert, weil im Film natürlich nicht alle interessanten Informationen und Fragestellungen unterzubringen waren. Das abgedruckte Drehbuch enthält auch Szenen, die im Film nicht mehr vorkommen. Es ist im Übrigen ein Musterbeispiel für genaue Szenenbeschreibungen, intelligente Dialoge und eine wirkungsvolle Dramaturgie. Mehr als die Hälfte des Buches ist „Bonusmaterial“: ein intensives Gespräch von Peter Körte mit Schmid und seinem Koautor Bernd Lange, Gespräche mit Anklägern, Verteidigern und Richtern, generelle Informationen über das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, Literaturhinweise – und Bilder von den Schauplätzen, Drehorten und Protagonisten.
Es gibt Filme, die durch ihre Bedeutung eine sie begleitende Literatur fast provozieren. Das ist zurzeit auch bei Tarantinos INGLORIOUS BASTERDS (Buch von Georg Seeßlen im Verlag Bertz + Fischer) zu konstatieren. Wir sind es inzwischen gewohnt, die vertiefende Begleitung erst auf der DVD zu entdecken. Hans-Christian Schmid hat seinen Filmen fast regelmäßig eine Buchpublikation zur Seite gestellt. Er tut das nicht aus Eitelkeit oder als Werbemaßnahme. Er glaubt, dass er es seinen Filmen und seinen Zuschauern schuldig ist. Das gefällt mir.