Filmbuch des Monats
Februar 2023
Jürgen Müller, Frank Schmidt, Kyllikki Zacharias (Hg.)
Phantome der Nacht
100 Jahre Nosferatu
Dresden/Berlin 2022, Sandstein Verlag/Neue Nationalgalerie
232 S., 48 €
ISBN 978-3-95498-710-8
Jürgen Müller, Frank Schmidt, Kyllikki Zacharias (Hg.):
Phantome der Nacht.
100 Jahre Nosferatu
Vor 100 Jahren wurde der Film NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS von Friedrich Wilhelm Murnau in Berlin uraufgeführt. Eine Ausstellung der Sammlung Scharf-Gerstenberg der Neuen Nationalgalerie in Berlin-Charlottenburg erinnert daran. Der Katalog, herausgegeben von dem Kuratoren-Trio Jürgen Müller, Frank Schmidt und Kyllikki Zacharias, erschienen im Sandstein Verlag, begleitet die Ausstellung, die noch bis zum 23. April zu sehen ist.
Im Wechselspiel zwischen informativen Texten und abgebildeten Exponaten ist dies ein klassischer Katalog. Die grafische Gestaltung hat herausragende Qualitäten. Filmgeschichte und Kunstgeschichte werden visuell in einen engen Zusammenhang gebracht. Dies betrifft vor allem den zweiten Teil des Katalogs, der die Exponate ins Zentrum stellt.
Sechs Essays befassen sich mit dem Film NOSFERATU, seinem künstlerischen Umfeld und den Nachwirkungen bis in die heutige Zeit. Kyllikki Zacharias, Leiterin der Sammlung Scharf-Gerstenberg, konkretisiert Verbindungen zwischen dem Film und Surrealisten wie Salvador Dali, André Breton und Yves Tanguy: „Auf der anderen Seite der Brücke“. Jürgen Müller, Professor für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Universität Dresden, erzählt die Entstehungs-geschichte und beschreibt die besondere Bildpoetik von Murnaus Film: „Spinnennetz und Schattenbild“. Hartmut Böhme, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Hamburg, erweitert den Blick auf den Film mit Hinweisen auf das literarische Umfeld: „Zur Psychodynamik des Vampirismus“.
Frank Schmidt begibt sich auf die Spurensuche nach dem Fortleben von NOSFERATU in Vampirfilmen bis in die Gegenwart: „Nosferatus Schatten“. Kristina Jaspers, Kuratorin der Deutschen Kinemathek, thematisiert Vampirinnen im Film: „Blut, Biss und Begierde“. Paolo Caneppele und Günter Krenn vom Österreichischen Filmmuseum befassen sich mit Nosferatu in der Graphic Novel: „Zeichnerisch dankbar“. Alle sechs Texte haben ein außerordentlich hohes Niveau.
Die Titelliste (auf grünem Hintergrund) führt uns mit 110 kurzen Texten durch den Film.
Sechs Themen strukturieren den Abbildungsteil mit den Exponaten: Berlin, 4. März 1922. Im Marmorsaal am Berliner Zoologischen Garten findet die Premiere des Films statt. Die Werbematerialien stammen von dem Filmarchitekten und Grafiker Albin Grau, dessen Firma Prana-Film NOSFERATU auch produziert hatte. Traute Heimat – Idyll & Sehnsucht. Die fiktive Stadt Wisborg ist 1838 der Wohnort des Angestellten Thomas Hutter und seiner Frau Ellen. Aus den Karpaten kommt die Anfrage des Grafen Orlok, ihm ein Haus in Wisborg zu vermitteln. Hutter wird in die Karpaten geschickt. Die unheimliche Reise. Hutters Reise führt ihn durch eine Seelenlandschaft. Er fürchtet sich nicht, obwohl er vor dem Grafen Orlok gewarnt wird. Das Tor. Hutter betritt die Welt des Grafen Orlok (Nosferatu) und wird zum Opfer des Vampirs. Der Tod kommt in die Stadt. Nosferatu begibt sich selbst nach Wisborg. Morgengrauen. Nosferatu trinkt das Blut von Hutters Frau Ellen und wird von den Morgenstahlen der Sonne in Rauch aufgelöst. Viele Bildmotive aus NOSFERATU haben die Symbolisten und Surrealisten inspiriert. Das dokumentieren zahlreiche Abbildungen im Katalog.
Auch nach hundert Jahren kann man sagen: NOSFERATU lebt, obwohl er sich damals auf der Leinwand in Luft aufgelöst hat. Es war eine wunderbare Idee, das Jubiläum zum Anlass für eine Ausstellung zu machen. Und der Katalog ist vorbildlich.
Mehr zum Buch: https://verlag.sandstein.de/detailview?no=98-710