Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Juni 2023

Frederik Lang/Jutta Müller-Tamm (Hg.)
Optische Literatur
Die Filmabteilung des Literarischen Colloquiums Berlin
Berlin: CineGraph Babelsberg 2023
224 S., 10 €
ISBN 978-3-936774-14-6

Frederik Lang/Jutta Müller-Tamm (Hg.):
Optische Literatur.
Die Filmabteilung des Literarischen Colloqiums Berlin

Im Juni 1963, also vor sechzig Jahren, wurde das „Literarische Collo-quium Berlin“ von Walter Höllerer gegründet. Es ist eine wichtige kulturelle Institution der Stadt. Ein Jahr später entstand dort eine eigene Filmabteilung, die bis 1982 von Wolfgang Ramsbott geleitet wurde. Das von Frederik Lang und Jutta Müller-Tamm herausgege-bene Buch erschließt erstmals ihre weitgehend vergessene, aber für den deutschen Film wichtige Geschichte.

Zwanzig Texte sind einzelnen Personen, ausgewählten Filmen oder historischen Zusammenhängen gewidmet, beginnend mit einem Rückblick auf George Moorse und die Anfänge der Filmabteilung im Literarischen Colloquium Berlin von Michael Töteberg: „Ganz dichterisch, wenn auch zugleich ganz filmisch.“ Frederik Lang (von dem insgesamt neun Texte stammen) erinnert an das LCB im Fernsehprogramm des SFB 1965/66 und die Kooperationen des LCB mit Kunst- und Filmhochschulen. Till Kadritzke beschäftigt sich mit dem Film KUCKUCKSJAHRE (1967) von George Moorse: „Nieder mit der Wirklichkeit oder LSD vom LCB“. Bei Frederik Lang geht es dann um den Drehbuchwettbewerb des LCB mit den Gewinnern ENTWICKLUNGEN von Jürgen Drese und BLINKER von Uwe Brandner (beide 1969).

Lukas Foerster analysiert die Büchner-Adaption LENZ (1971) von George Moorse: „Psychedelischer Pop und Hochkultur“. Anett Werner-Burgmann richtet ihren Blick auf die Filmcollage E. T. A HOFFMANN 1776-1822 (1972) von Wolfgang Ramsbott. Jan Gympel geht auf die Suche nach Günter Bruno Fuchs in Filmen des LCB: „Ein Berliner Berliner“. Frederik Lang beschreibt die Filme DENKMALFOR-SCHUNG (1972) von Wolfgang Ramsbott und BERG BERG (1973) von Ferry Radax und entschlüsselt dann den Film GLUTMENSCH (1975) von Jonatan Briel: „Hebbel im Farbenrausch“.

Michael Grisko widmet sich dem Film BELCANTO ODER DARF EINE NUTTE SCHLUCHZEN (1977) von Robert Van Ackeren: „Ich habe zwar keine Marlene Dietrich, aber ein Welterfolg soll’s schon werden.“ Frederik Lang entdeckt Fundstücke zu DEUTSCHLAND BLEICHE MUTTER (1980) von Helma Sanders Brahms. Mahamadu Famanta und Jutta Müller-Tamm befassen sich mit dem AUTORENPORTRÄT: SYLVIE KUMAH IN JAMAICA (1980) von Wolfgang Ramsbott. Britta Hartmann würdigt Helga Reidemeisters Fragment(e) eines Porträts von Karola Bloch: „Dann nimmt die Frau die Geschicke in die Hand.“ Tilmann Schumacher erzählt von Berliner Trennungen in den Filmen LOGIK DES GEFÜHLS (1982) und DIESSEITS UND JENSEITS (1983) von Ingo Kratisch und Jutta Sartory. Der Film CESARE PAVESE. TURIN – SANTO STEFANO BELBO (1984) von Renate Sami und Petra Seeger steht im Zentrum des Textes von Ted Fendt. Stefan Pethke vermittelt seine Beobachtungen zur Bauweise von NIEMANNS ZEIT – EINE DEUTSCHER HEIMATFILM (1985) von Marion Schmid und Horst Kurnitzki.

Drei Texte von Frederik Lang schließen den Band ab: ein kommen-tiertes Porträt der Produktionsleiterin Ursula Ludwig, ein kommen-tiertes Porträt und eine kommentierte Filmografie von Wolfgang Ramsbott und eine kommentierte Filmografie des LCB (30 Seiten), die besonders wichtig ist.

Alle Texte haben eine hohe Qualität. Sie fügen sich zu einer vorbildlichen Publikation über eine in Vergessenheit geratenen Institution. Auch als Zeitzeuge habe ich vieles nicht mehr in Erinnerung und bin sehr beeindruckt von der Präzision der Recherchen und ihrer Konkretisierung in den Texten und Bildern. Ein vorbildliches Buch zur deutschen Filmgeschichte,

Mit Abbildungen, die zum großen Teil von der beim LCB festangestellten Fotografin Renate von Mangoldt stammen. Titelbild: Dreharbeiten zu dem Film GLUTMENSCH.

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