Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
August 2008

Monika Lerch-Stumpf (Hg.)
Neue Paradiese für Kinosüchtige
Münchner Kinogeschichte 1945 bis 2007
Dölling und Galitz Verlag, München 2008.
368 S., 29,80 Euro
ISBN 978-3-937904-75-7

Monika Lerch-Stumpf (Hg.):
Neue Paradiese für Kinosüchtige.
Münchner Kinogeschichte 1945 bis 2007

Bücher über Kinos sind spezielle Kulturgeschichten. Sie funktionieren natürlich am besten, wenn man Städte und Kinos aus eigenem Erleben kennt. Ich habe in den späten fünfziger Jahren in München studiert. Deshalb ist dieses Buch auch ein persönlicher Rückblick. Ich finde in ihm meine Stammkinos wieder – das Occamstudio, den Türkendolch, das Filmcasino, den Mathäser Filmpalast, das Rex in Laim, das Theatiner – und erfahre, was aus ihnen geworden ist. Einige gibt es nicht mehr, andere haben sich innen oder außen sehr verändert, nur das gute alte „Theatiner“ ist noch genauso klein und fein wie vor fünfzig Jahren.

München gilt als die kinofreudigste Großstadt in der Bundesrepublik. Die Hamburger kommen heute gerade mal auf 2,5 Kinobesuche im Jahr, die Berliner auf 3, die Münchner bringen es immerhin auf 3,5. Und die bayerische Hauptstadt hat eine sehr lange, bewusste Kinotradition. Das älteste noch bestehende Kino, das „Gabriel“ in der Dachauer Straße, ist inzwischen über hundert Jahre alt. Es gibt Kinos, die schon in der vierten Generation im Familienbesitz sind und bisher alle Krisen überstanden haben.

Kinogeschichte ist vor allem Krisengeschichte. Davon gab es in Deutschland, also auch in München, bislang vier: um 1930 herum, als mit hohen Investitionen vom Stummfilm auf den Tonfilm umgerüstet werden musste. 1944/45, als im Krieg viele Kinos zerstört wurden. In den Sechzigern, als das Fernsehen dem Kino die Zuschauer wegnahm. Und in den Neunzigern, als die Multiplexe kleinere Kinos und dann gelegentlich auch sich selbst in die Insolvenz trieben. Es ist interessant, dass München von den Multiplex-Kriegen vergleichsweise verschont blieb. Die Stärke der privaten Kinobesitzer und der Widerstand der Stadtregierung haben bisher nur den Bau von zwei Kinozentren zugelassen: MaxX am Isartor (7 Säle, entstanden 1993) und Mathäser zwischen Stachus und Bahnhof (14 Säle, neu gebaut 2003). Heute gibt es in München 34 Kinos mit 84 Leinwänden. Einige hatten ihre großen Säle schon in den Siebzigern geteilt. Und die Zukunft ist nicht für alle rosig.

Die Herausgeberin Monika Lerch-Stumpf, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Münchner HFF, hat vor vier Jahren bereits den ersten Band der Münchner Kinogeschichte publiziert: „Für ein Zehnerl ins Paradies“. Der zweite Band beginnt mit der unmittelbaren Nachkriegszeit 1945 und endet 2007. In fünf umfangreichen Kapiteln werden die Entwicklungen der Kinolandschaft insgesamt und der wichtigsten Häuser erzählt. Dazu haben die Autorinnen und Autoren (neben der Herausgeberin sind das Günther Baumann, Gabriele Jofer, Doris Kuhn und Andrea Naica-Loebell) viele bisher nicht erforschte Quellen erschlossen, Gespräche mit Zeitzeugen geführt und Zeitungsarchive durchforstet. Zwischen die großen Kapitel sind subjektive Feuilletons der Filmkritiker Michael Althen, Fritz Göttler, Hans Schifferle und der Seniorin der deutschen Film- und Fernsehkritik Ponkie montiert. Es gibt eigenständige Kapitel über das Aufkommen der Breitwandverfahren (CinemaScope, Cinerama, Todd-AO) ab 1953 und über Sex- und Pornokinos. Von Gabriele Jofer stammt eine sehr zugeneigt geschriebene „Kleine Geschichte und Geschichten zu den Münchner Kinos von heute“ (besonders schön: der Text zum „werkstattkino“).

Der Band enthält natürlich viele Abbildungen. Ihre Qualität ist höchst unterschiedlich, viele sind auf der Marginalspalte platziert, und man wünschte sie sich einfach etwas größer. Wunderbar ist der für jedes Jahrzehnt aktualisierte Kinostadtplan. Wenn man von den Fünfzigern direkt ins Jahr 2007 wechselt, bekommt man wirklich einen Schreck. Es gibt ein Lexikon der Münchner Kinos, eine Statistik von 1945 bis 2007 und diverse Register. Man kann sich auch beim Blättern an vielen Stellen festlesen. Schade, dass das Geld nicht für einen festeren Einband gereicht hat.

Ich wollte, es gäbe demnächst eine solche Kinogeschichte der Stadt Berlin. Aber sie wäre wohl trauriger als die Münchner. Denn die Verluste waren in Berlin noch größer (in memoriam: Astor-Filmtheater…), auch wenn mich die Vielfalt unserer Kinolandschaft immer wieder erstaunt.