Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
April 2014

Michael Ballhaus mit Claudius Seidl
Bilder im Kopf
Die Geschichte meines Lebens
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014
320 S., 22,99 €
ISBN: 978-3-421-04566-9

Michael Ballhaus mit Claudius Seidl:
Bilder im Kopf.
Die Geschichte meines Lebens

Er ist der international bekannteste deutsche Kameramann oder, wie die Amerikaner sagen: Director of Photography. Michael Ballhaus (*1935) hat seit 1968 über achtzig Kinofilme gedreht, den letzten 2013 unter der Regie von Sherry Hormann, 3096 TAGE. Von 1982 bis 2006 war er überwiegend in Amerika beschäftigt und hat dort u.a. mit Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Mike Nichols, Robert Redford und Wolfgang Petersen zusammengearbeitet. Die Autobiografie, realisiert mit Hilfe des Autors und Journalisten Claudius Seidl, erzählt weit-gehend chronologisch von den Lebens- und Arbeitserfahrungen, von der Kreativität hinter der Kamera und von den unterschiedlichen Produktionsweisen in Deutschland und Amerika. Auch wenn man bereits viel über das Leben von Michael Ballhaus gehört oder gelesen hat, ist das eine sehr spannende Lektüre.

Kindheit in Berlin, Jugend in im fränkischen Wetzhausen, seine Eltern waren Theaterschauspieler, das hat ihn geprägt. Ein Schlüsselerlebnis: der Besuch auf dem Set von LOLA MONTEZ bei Max Ophüls, der mit den Eltern befreundet war. Das Abitur nicht bestanden, aber eine solide Fotografenausbildung absolviert. Als Assistent beim Südwestfunk in Baden-Baden begann autodidaktisch die Laufbahn als Kameramann, in der Zusammenarbeit mit Rudolf Noelte, Peter Lilienthal, Johannes Schaaf und Tom Toelle. Lilienthal holte ihn als Dozenten an die dffb in Berlin, als die Studenten dort mehr an gesellschaftlicher Veränderung als am Filmemachen interessiert waren. Nach zwei Filmen mit den Brüdern Schamoni (Peter und Ulrich) kam es 1970 zur ersten Zusammenarbeit mit Rainer Werner Fassbinder. 15 Filme hat Ballhaus mit Fassbinder gedreht, beginnend mit WHITY, endend mit der EHE DER MARIA BRAUN (1978). Über diese Zeit kann er natürlich wunderbar erzählen, wobei seine Diskretion Klatschgeschichten ausspart und Arbeitssituationen ins Zentrum stellt. Parallel hat Ballhaus in jenen Jahren u.a. mit Peter Stein, Hark Bohm, Peter Beauvais und Christian Rischert zusammengearbeitet. Ruhepausen gab es offenbar wenige.

Peter Lilienthal hat dann mit dem Film DEAR MR. WONDERFUL (Hauptrolle: Joe Pesci) die Brücke nach Amerika gebaut. Relativ schnell kam es zur ersten gemeinsamen Arbeit mit Martin Scorsese bei dem Film AFTER HOURS (1984). Und weil Scorsese die an Fassbinder erprobte Arbeitsweise von Ballhaus gut gefiel, haben die beiden in den folgenden zwanzig Jahren noch sechs weitere Filme zusammen gedreht: THE COLOR OF MONEY, THE LAST TEMPTATION OF CHRIST, GOOD FELLAS, THE AGE OF INNOCENCE, GANGS OF NEW YORK und DEPARTED. Ballhaus erzählt über die Produktion dieser Filme viele Hintergrundgeschichten, die auch die unterschiedlichen Auffassungen über Kamera und Montage thematisieren. Gelegentlich scheiterte die Zusammenarbeit, weil Ballhaus bereits Verträge für andere Projekte unterschrieben hatte. Auch die Rolle der Agenten wird hier in aller Deutlichkeit angesprochen.

Und es kommen die unterschiedlichsten Regisseure ins Spiel: Volker Schlöndorff (DEATH OF A SALESMAN mit Dustin Hoffman und John Malkovich), Mike Nichols (WORKING GIRL mit Harrison Ford und Sigourney Weaver, POSTCARDS FROM THE EDGE mit Meryl Streep und Shirley MacLaine, PRIMARY COLORS mit John Travolta und Emma Thompson), Steven Kloves (THE FABULOUS BAKER BOYS mit Jeff und Beau Bridges und Michelle Pfeiffer), Francis Ford Coppola (DRACULA mit Anthony Hopkins und Gary Oldman), Robert Redford (QUIZ SHOW mit John Turturro, THE LEGEND OF BAGGER VANCE mit Will Smith, Matt Damon und Charlize Theron), Wolfgang Petersen (OUTBREAK mit Dustin Hoffman und Morgan Freeman, AIR FORCE OHNE mit Harrison Ford, Gary Oldman und Glenn Close), Barry Sonnenfeld (WILD WILD WEST mit Will Smith und Kevin Kline). Schon diese Auswahl von Titeln und Namen macht deutlich, wie breit gefächert die Genres waren, in wie unterschiedlichen Konstellationen die bekannten Darstellerinnen und Darsteller vor der Kamera agierten, die von Michael Ballhaus geführt wurde.

In der Autobiografie ist der „amerikanische Teil“, also die ganze zweite Hälfte, sogar spannender als der erste, deutsche Teil. Vieles hätte man gern noch genauer gewusst, aber der Umfang eines Buches muss begrenzt sein – und Claudius Seidl als Co-Autor hat sicherlich auf manche anekdotischen Arabesken verzichtet, um die Dramaturgie des Buches zu beschleunigen. Zumal am Ende auch noch persönliche Aspekte thematisiert werden: der Tod von Michaels Frau Helga im September 2008 in Los Angeles, die überraschende Verbindung mit der Filmemacherin Sherry Hormann und die Heirat im Oktober 2011, der stetige Verlust an Sehvermögen nach einer misslungenen Operation am Grünen Star. All das wird von Ballhaus offen zur Sprache gebracht, und führt die Autobiografie zu einem sehr emotionalen Ende.

Man sollte über dem neuen Buch nicht vergessen, dass 2002 im Berlin Verlag die schöne Publikation „Das fliegende Auge“ erschienen ist, in der Michael Ballhaus einen sehr inspirierten Dialog mit Tom Tykwer geführt hat. Und weil Tom gute Fragen stellte, liest sich das Gespräch wie ein fachlicher Disput auf hohem Niveau, verbunden mit vielen hervorragenden Abbildungen (2011 gab es eine Neuauflage des Buches).

Ich kenne Michael seit 1969. Damals begann meine Zeit als Studienleiter der dffb, Michael Ballhaus war dort Dozent. In den 1970er und 80er Jahren haben wir uns aus den Augen verloren. Aber in den 90er Jahren ergab sich eine größere Nähe durch die Akademie der Künste, in der wir beide Mitglied sind. Ich habe mehrfach Veranstaltungen mit ihm moderiert, 2001 haben wir ihm eine kleine Ausstellung im Filmmuseum gewidmet. Und 2006 war er ein „Pate“ in dem Film AUGE IN AUGE, den ich mit Michael Althen gedreht habe. Er hat damals über die Zusammenarbeit mit Fassbinder gesprochen, die ungewöhnliche 360°-Fahrt in dem Film MARTHA beschrieben und verschiedene Szenen aus der EHE DER MARIA BRAUN in Erinnerung gerufen. Ich denke, Michael Ballhaus ist einer der Großen des deutschen und internationalen Films. Das wusste man natürlich schon vor diesem Buch, aber jetzt ist es noch einmal bestätigt worden.