Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Juni 2018

Detlef Helmbold
Mehr Kunst als Werbung
Das DDR Filmplakat
Berlin, Bertz + Fischer 2018
672 S., bis 31. Juli 2018 76 €, dann 96 €
ISBN 978-3-86505-410-4

Detlef Helmbold:
Mehr Kunst als Werbung.
Das DDR Filmplakat

Zu jedem Kinofilm, der ab 1945 in der SBZ und ab 1949 in der DDR gezeigt wurde, gab es mindestens ein Plakat. Das betraf nicht nur Spielfilme, sondern auch Dokumentar- und Kinderfilme. Am Ende, 1990, summierte sich das auf mehr als 6.000 Plakate. Die grafische Vielfalt ist in dem schwergewichtigen Buch „Mehr Kunst als Werbung“ von Detlef Hembold zu bewundern, das von der DEFA-Stiftung heraus-gegeben wurde und im Verlag Bertz + Fischer erschienen ist.

Das Filmplakat hat eine lange Tradition, es ist ein wichtiges Werbe-mittel seit Beginn der Kinogeschichte. Es soll dem potentiellen Publi-kum möglichst pointiert das Genre, die Stars, die Essenz eines Films anschaulich machen, um die Neugier auf den entsprechenden Film zu wecken. Bilder stehen meist im Vordergrund, der Filmtitel muss er-kennbar sein, die Namen der wichtigsten Beteiligten sind quasi Pflicht-text. Schrifttypen und Farbenspiele bieten viele Variationen, Hoch-formate sind die Regel. Auch das künstlerische Filmplakat hat eine Geschichte, in Deutschland seit Beginn der Weimarer Republik. Einer der großen Grafiker war Josef Fenneker (1895-1956) – aber das ist eine eigene, andere Geschichte, die man sich auf der Website der Kinema-thek erzählen lassen kann (-josef-fenneker ).

Detlef Helmbold dokumentiert in seinem Buch die Geschichte des DDR-Film­plakats. Er hat sich, unterstützt von der DEFA-Stiftung und dem Filmmuseum Potsdam, auf die Suche nach erhaltenen Exemplaren gemacht, bei privaten Sammlern, in Archiven, an Universitäten. Sechs Jahre war er damit beschäftigt, seine Funde zu datieren, zu katalogi-sieren, die Grafiker zu ermitteln, sofern die Plakate nicht signiert waren, und am Ende zu entscheiden, in welcher Größe sie im Buch publiziert werden sollten. In seiner Einleitung vermittelt er uns sein Vorgehen. Drei längere Essays informieren sehr erkenntnisreich über die Themen: „Das DDR-Filmplakat 1945-1990“, „Das Politische im DDR-Filmplakat“ und „Das Starporträt im DDR-Filmplakat“.

Natürlich gab es verschiedene Phasen in der DDR-Geschichte, die sich auch auf die Gestaltung der Filmplakate auswirkten. Interessant ist, wieviel Freiheiten die Künstler*innen jeweils hatten. Auftraggeber war zunächst die Firma „Sovexportfilm“, dann der DEFA-Filmverleih und seit seiner Gründung 1950 der staatseigene „Progress Film-Verleih“. Es gab eine Kommission, die für die Auswahl und Zulassung der Plakate verantwortlich war. Sie wurde von Grafiker*innen dominiert. Das wirkte sich oft auf die Entscheidungen aus. Besonders interessant sind die Plakate der 1960er, 70er und 80er Jahre. Helmbold, selbst von Beruf Grafiker, charakterisiert in seinen drei Texten die Arbeit der wichtigsten Personen, die zum Teil sehr lange für Progress tätig waren. Das ist informativ und würdigt Künstler*innen, die in der Öffentlichkeit kaum bekannt sind.

Einige Plakate, die ich besonders interessant finde:

Zum ersten DEFA-Film, DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (1946) von Wolfgang Staudte, gab es zwei verschiedene Plakate, beide stammen von René Ahrlé, im Fokus steht die Hauptdarstellerin Hildegard Knef Ich zitiere den Autor Helmbold: „Zunächst war es die Zeichnung einer ernsten, im Gesicht fast schmutzig wirkenden jungen Frau die – so scheint es – wie viele andere Frauen und Männer zu jener Zeit auch täglich ihre Wege durch die weiten Trümmerfelder Berlin suchen musste (…). Farbe, Form und sprachliche Mittel des Plakats scheinen sich der grauen Berliner Trümmerlandschaft angepasst zu haben. Im etwas später publizierten Plakat wurde die Knef schon mehr zum Star erhoben. Sie verlor zwar ihre alleinige Präsenz auf dem Plakat, denn nun wurde noch eine illustrierte Szene dazugestellt, dafür wirkte sie nun wie aus dem Ei gepellt, frisch geduscht und ihre Locken gerade von den Wicklern befreit. Das dominante Grau wich einem leuchtenden, gelb-braunen Gesichtsteint. Die Volksnähe, Schmutz für alle, war weg, die Knef hob sich ab vom gemeinen Volk und wurde zum Star. Es war auch keine Verunsicherung mehr in ihre Ausdruck, kein Suchen, nur noch eine schöne Frau mit wenig Angst.“ (S. 469).

Noch ein Kommentar von Detlef Helmbold: „Helmut Grades Plakat für den DEFA-Kultfilm schlechthin, DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA, von 1973 scheint im All-gemeinen zur Zeit der Veröffentli-chung nicht gefallen zu haben, obwohl es mit seinem fast arabesk anmutenden Doppelporträt der beiden Hauptdarsteller Angelica Domröse und Winfried Glatzeder sehr modern und plakativ auffal-lend wirkte. Natürlich waren Paul und Paula so nicht als Starporträt verwertbar – wer kann die beiden schon auf dem Motiv erkennen? – , aber als gut gestaltetes Plakat gehört es durchaus zum Ensemble der neuen und auffallenden Kopfplakate.“ (S. 471)

Sehr fotografisch wirkt dagegen das Plakat von Helmut Wengler zu ALEXIS SORBAS (1982) mit Anthony Quinn. Fast eine Karikatur ist das Porträt von Marianne Sägebrecht, das der Grafiker Burckhard Labowski für den Film OUT OF ROSENHEIM (1989) gestaltet hat. Auch Marlene Dietrich auf dem Plakat von Heinz Handschick zu ZEUGIN DER ANKLAGE (1964) hat karikaturistische Züge. Als weg-weisend galt das Plakat von Peter Nagengast mit Giulietta Masina in DIE NÄCHTE DER CABIRIA (1971).

Hier zwei Beispiele der Präsentation westdeutscher Produktionen:

DAS WIRTS-HAUS IM SPESSART (1959) wird im Plakat von Ernst Lauen-roth mit der Hauptdar-stellerin Liselotte Pulver eher konven-tionell beworben, bei ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT (1960) lässt Kurt Geffers den politischen Hinter­grund des Films in Erscheinung treten.

Auch ohne Personen oder gar Stars können Plakate auskommen, drei starke Beispiele:

Für den Verbotsfilm DENK BLOSS NICHT, ICH HEULE (1990) hat Detlef Helmbold das Plakat mit dem Schatten an der Wand entworfen. DIE BESTEIGUNG DES CHIMBORAZO (1989) ist im Plakat von Albrecht von Bodecker ein eindrucksvolles Buchstabenspiel. Das Plakat von Christoph Ebets zu LEVINS MÜHLE (1980) gilt in seiner Zu-spitzung aus Form und Farbe als Highlight unter den Plakaten in der Geschichte der DDR.

Die genannten Jahreszahlen datieren das Erscheinen des Plakats in der DDR.

Insgesamt sind in diesem Buch 6.385 Plakate zu Filmen aus 58 Län-dern reproduziert, gestaltet von 465 Grafiker*innen. Zu sehen sind 5.066 Spielfilm-, 342 Dokumentarfilm- und 977 Kinderfilmplakate. Coverabbildung: die rechte Seite des Plakats zu WÄRE DIE ERDE NICHT RUND… (1981), entworfen von Stephan Velten.

Jedes Buch enthält ein Originalplakat. In meinem Exemplar ist es das Plakat zu der westdeutsch-sowjetischen Koproduktion DEN DRACHEN TÖTEN (1989), entworfen von Erhard Grüttner.

Mehr zum Buch: http://www.bertz-fischer.de/mehrkunst.html