Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Juli 2020

Jörg Fauser
Marlon Brando
Der versilberte Rebell. Eine Biographie
Zürich, Diogenes 2020
288 S., 24,00 €
ISBN 978-3-257-07093-4

Jörg Fauser:
Marlon Brando.
Der versilberte Rebell

Er war einer der großen Hollywood-Stars des vergangenen Jahrhun-derts. Es wurden viele Biografien über ihn publiziert. Die wohl unkonventionellste stammt von Jörg Fauser und erschien erstmals 1978. Es gab verschiedene Neuausgaben, die jüngste wurde jetzt bei Diogenes veröffentlicht. Sie ist auch nach 42 Jahren unbedingt lesenswert.

Marlon Brando (1924-2004) war einer der großen Charakterdarsteller Hollywoods. Geboren in Omaha (Nebraska), besuchte er ab 1943 eine Schauspielschule in New York, bekam 1947 die Hauptrolle in der Broadway-Aufführung von A STREETCAR NAMED DESIRE und debütierte 1950 unter der Regie von Fred Zinnemann in THE MEN. Sein größter Erfolg in den 50er Jahren war ON THE WATERFRONT unter der Regie von Elia Kazan. Dafür erhielt er 1956 den Oscar als bester Hauptdarsteller. Es folgten unterschiedliche Filme, bei denen Brando oft aus finanziellen Gründen Kompromisse machte. Erst als Mafia-Boss Don Vito Corleone in THE GODFATHER von Francis Ford Coppola war er wieder on the top. Den Oscar als bester Hauptdarsteller nahm er 1973 nicht persönlich in Empfang, sondern schickte die indianische Aktivistin Sacheen Littlefeather mit einer Botschaft auf die Bühne. In Bernardo Bertoluccis Film ULTIMO TANGO A PARIGI spielte Brando einen Mann in der Sinnkrise. Es war seine letzte Hauptrolle. In zwölf weiteren Filmen hatte er nur Nebenrolle. Er starb am 1. Juli 2004 in Los Angeles.

Jörg Fauser, geboren 1944 in Bad Schwalbach, brach nach dem Abitur sein Studium ab, leistete Ersatzdienst, war mehrere Jahre drogenabhängig, lebte ab 1968 in Frankfurt am Main, Göttingen, West-Berlin und schließlich in München. Schon als Schüler schrieb er Beiträge für die Frankfurter Neue Presse, wurde 1965 Rezensent der Frankfurter Hefte, arbeitete dann für Alternativzeitschriften wie Gasolin 23 und Ufo, veröffentlichte Texte in der Basler Nationalzeitung und war ab Mitte der 70er Jahre als Schriftsteller tätig. Er schrieb Romane, Erzählungen, Gedichte, Reportagen. 1987 starb er nach der Feier seines 43. Geburtstags, er wurde von einem Lkw überfahren.

Die Marlon Brando-Biografie verfasste Jörg Fauser zwischen Januar und März 1978 für die Verlegerin Monika Nüchtern, für die er zuvor eine James Dean-Biografie übersetzt hatte. Die Erstausgabe erschien im Herbst 1978. Sie enthielt 75 Abbildungen, wurde 1979 neu aufgelegt.

Die erste Taschenbuchausgabe veröffentlichte der Rowohlt Verlag 1981, allerdings mit weniger Abbildungen. Fünf Jahre später erschien die zweite Taschenbuchausgabe bei Ullstein in der Reihe „Populäre Kultur“. Da war Jörg Fauser noch am Leben.

 

1990 publizierte der Verlag Rogner & Bernhard in Verbindung mit Zweitausend­eins eine  achtbändige Werkausgabe Jorg Fauser, initiiert und heraus-gegeben von Carl Weissner . Band 8 war die Marlon Brando-Biografie. Mit wenigen Abbildungen.

 

2004 begann der Alexander Verlag mit der Edition einer  neunbändigen Fauser-Werkausgabe. Den Auftakt bildete die Marion Brando-Biografie. Mit einem  Nachwort von Michael Althen und einem Gespräch mit Monika Nüchtern über die Entstehungsgeschichte der Biografie.

 

2009 erschien die Jörg Fauser-Werkausgabe als Taschenbuchreihe im Diogenes Verlag. Die Marlon Brando-Biografie rutschte hier auf Platz 6. Das Nachwort von Michael Althen und das Gespräch mit Monika Nüchtern wurden übernommen. Keine Abbildungen, abgesehen vom Titelfoto.

 

2019 begann der Diogenes Verlag mit der eigenständigen Neuedition einer Jörg Fauser-Werkausgabe: „Neues Material und Wiederent-deckungen. Exklusive Zusammenstellungen und neue Begleittexte“. Die ersten Bände waren der Roman „Rohstoff“ und der Gedichtband „Ich habe große Städte gesehen“ (beide 2019). Es folgten die Erzäh-lungen 1975-79 („Es muss ganz anders werden“) und die Marlon Brando-Biografie. Mindestens acht weitere Bände sind bis zum Herbst 2021 zu erwarten.

Was ist das Besondere an der Marlon Brando-Biografie von Jörg Fauser? Sie beeindruckt durch ihre Subjektivität. Immer wieder bringt sich der Autor selbst ein, kommentiert und bewertet Brandos Filme, begnügt sich nicht mit Daten und Fakten, mit der Darstellung von Erfolgen und Misserfolgen, sondern erzählt Brandos Lebensgeschichte aus seiner persönlichen Sicht. Er fühlt sich dem „Rebellen“ sehr verbunden, kritisiert die vielen falschen Rollenentscheidungen und bewundert die wenigen richtigen, in denen er sich nicht „versilbern“ ließ.

Besonders lesenswert sind die Kapitel über A STREETCAR NAMED DESIRE und ON THE WATERFRONT (Regie: Elia Kazan), ONE-EYED JACKS (Regie: Brando), THE GODFATHER (Regie: Francis Ford Coppola) und L’ULTIMO TANGO A PARIGI (Regie: Bernardo Bertolucci). Aber auch alle anderen Kapitel beeindrucken durch ihren Erzählstil. Fauser war bestens vertraut mit den Brando-Biografien von Gary Carey, Carlo Fiore, René Jordan, David Shipman und Bob Thomas. Er zitiert daraus längere Passagen, wenn es notwendig ist. Die Zitate fügen sich gut in seinen eigenen Text.

Es gibt zwei Brando-Fotos: eines als Frontispiz, eines auf der letzten Seite. Man hat diesen großen Schauspieler ohnehin vor Augen oder im Kopf und kann sich ganz auf Fausers Formulierungen konzentrieren. Ein origineller Kommentar stammt von Brigitte Kronauer (1978), das Nachwort von Franz Dobler. Schade, dass auf Michael Althens wunderbaren Text verzichtet wurde.

Mehr zum Buch: marlon-brando-9783257070934.html

Ein großartiges Marlon Brando-Buch erschien 2004 bei Bertz + Fischer, herausgegeben von Marli Feldvoß und Marion Löhndorf. Mit zwei Texten der Herausgeberinnen und 40 Texten zu Brandos Filmen von 40 verschiedenen Autorinnen und Autoren: bertz-fischer.de/Marlon-Brando