Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
2008
Filmbuch des Jahres

Volker Schlöndorff
Licht, Schatten und Bewegung
Mein Leben und meine Filme
Carl Hanser Verlag, München/Wien 2008
472 S., 21,50 Euro
ISBN 978-3-446-23082-8

Volker Schlöndorff:
Licht, Schatten und Bewegung.
Mein Leben und meine Filme

Für eine Autobiographie gibt es vor allem drei Gefahren: Eitelkeit, Anekdoterei und Langeweile. Volker Schlöndorff ist mit seinem Lebensbericht in keine dieser Gefahrenzonen geraten. Das Buch ist erstaunlich uneitel, weitgehend anekdotenfrei und sehr spannend, wenn man sich für die Welt des Films der letzten fünfzig Jahre interessiert.

Dass Schlöndorff gut schreiben kann, ist hinlänglich bekannt. Ich erinnere an seine Texte über Lotte H. Eisner (im Spiegel), Siegfried Kracauer (in der Frankfurter Rundschau), Jean-Pierre Melville (in der „Blauen Reihe“) oder Billy Wilder (in der Süddeutschen Zeitung), an seine Nachrufe auf Uli Schamoni, Horst Wendtlandt oder Rainer Schaper. Aber eine Autobiographie ist noch einmal eine andere Herausforderung für einen Autor, weil sie Offenheit, Mut und eine Haltung zu sich selbst voraussetzt. Offenheit heißt in diesem Fall nicht: Indiskretion, Mut heißt nicht: Enthüllung um jeden Preis, und mit „Haltung“ meine ich die Balance zwischen der Darstellung der eigenen Stärken und Schwächen und der Charakterisierung all der Menschen, die mit diesem, seinem Leben verbunden waren und sind.

Schlöndorff erzählt seine Biographie – mit einigen Vor- oder Rück-blenden – weitgehend chronologisch. Er hat über viele Jahrzehnte Tagebuch geführt. Das sichert ihn ab, aber er zitiert sich nur dann, wenn der Rückgriff aufs Authentische eine Logik oder einen dramatur-gischen Effekt hat. Einzige Ausnahme: das große BLECHTROMMEL-Kapitel basiert hauptsächlich auf seinem Tagebuch, das bereits 1979 publiziert wurde. Im neuen Kontext ist das allerdings kein Nachteil.

Drei Kapitel seiner Autobiographie haben mich besonders berührt: die Internatszeit in Frankreich, die private und berufliche Krisenphase in Amerika und sein Bericht über die Realisierung des Films HOMO FABER. Hier ist es vor allem die Nähe zu Max Frisch kurz vor dessen Tod (1989), die den Leser emotionalisiert. Schlöndorffs intensive Beziehung zur Literatur manifestiert sich in vielen Kapiteln, in seiner Nähe zu Robert Musil (Lektüre des „Mann ohne Eigenschaften“, Verfilmung der Novelle DER JUNGE TÖRLESS), zu Heinrich Böll (Verfilmung der Erzählung DIE VERLORENE EHRE DER KATHA-RINA BLUM), zu Günter Grass (Verfilmung der BLECHTROMMEL, viele Begegnungen) und auch zu Arthur Miller (Verfilmung des Theaterstücks TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN).

In der Darstellung seiner privaten Liebes- und Lebensbeziehungen (Claudy Ehrmann, Yolanda Ponce, Margarethe von Trotta, Karoline …, Ute Lemper, Angelika Gruber) erweist sich Schlöndorff als ein Autor, der sich selbst nicht schont und die Würde seiner Partnerinnen in keinem Moment verletzt. Das verdient Respekt.

Interessanter als über seine deutschen Kollegen Herzog, Kluge oder Wenders erzählt Schlöndorff über die französischen Filmemacher, bei denen er in die Lehre gegangen ist: Louis Malle, Alain Resnais, Bertrand Tavernier, Jean-Pierre Melville. Die Länge und Intensität seiner deutsch-französischen Berufsfreundschaften ist schön und erstaunlich.

In der Betrachtung seiner eigenen Filme ist Schlöndorff selbstkritisch, er kann die Gründe für das nicht Gelungene benennen, ohne es damit zu entschuldigen. Am liebsten würde er den einen oder anderen Film (zum Beispiel MICHAEL KOHLHAAS) noch einmal drehen. Aber das ist natürlich eine der bekannten Fiktionen in einer Autobiographie.

Beeindruckt hat mich auch die Schilderung seiner Kindheit und Jugend: mit den noch vorhandenen Erinnerungen an die Nazizeit, den Verlust der Mutter, die Nachkriegszeit in Wiesbaden und die Flucht aus dem Vaterhaus nach Frankreich, wo er zu sich selbst und zum Film gefunden hat.

„Licht, Schatten und Bewegung“ – das ist eine Metapher für die Welt des Films und vielleicht auch für das reale Leben. Kein idealer, aber ein akzeptabler Titel für diese Autobiographie. Die über 100 Abbildungen ziehen sich – technisch gerade noch akzeptabel – wie kleine Erinnerungshilfen durch das Buch.

Volker Schlöndorff hat seine Autobiographie geschrieben, als er – von der Regie der PÄPSTIN entbunden – ein Stück Lebenszeit gewann. So gesehen, hatte die Entlassung aus einem lange vorbereiteten Projekt doch einen Sinn. Im nächsten Jahr wird Schlöndorff siebzig Jahre alt. Mit diesem Buch hat er sich schon mal ein schönes Geburtstags-geschenk gemacht.