Filmbuch des Monats
April 2009
Thomas Elsaesser
Hollywood heute
Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino
Bertz + Fischer, Berlin 2009
272 S., 19,90 €
ISBN 978-3-86505-301-5
Thomas Elsaesser:
Hollywood heute
Seit hundert Jahren dominiert Amerika das internationale Kino. Auch wenn dies europäische Kulturenthusiasten, Liebhaber des Kunstkinos und notorische Hollywood-Gegner immer wieder zur Verzweiflung bringt, ändert sich dadurch nichts an Amerikas Führungsrolle. Die Marktanteile sind gewissen Schwankungen unterworfen, sie hängen natürlich auch von Politik und Produktivität ab, aber in der Regel liegen sie über den magischen fünfzig Prozent am Weltmarkt. Das hat sich auch in den letzten dreißig Jahren nicht verändert.
Von diesem Zeitraum handelt Thomas Elsaessers Buch. „Heute“: Das sind für den Autor vor allem die neunziger Jahre, in denen das amerikanische Kino in der Postmoderne angekommen ist und sein Spiel mit sich selbst und den Zuschauern treibt: provokant, auch brutal, erstaunlich reflexiv und so fantasievoll, dass Filme nachhaltig zum Kult werden.
Acht Beispiele stehen im Zentrum der Untersuchung: DIE HARD (1988) von John McTiernan und PULP FICTION (1994) von Quentin Tarantino, BRAM STOKER’S DRACULA (1992) von Francis Ford Coppola und THE SILENCE OF THE LAMBS (1991) von Jonathan Demme, BACK TO THE FUTURE (1985) und FORREST GUMP (1994) von Robert Zemecki, CHINATOWN (1974) von Roman Polanski und MEMENTO (2000) von Christopher Nolan. Elsaesser analysiert, wie alte Mythologien und die Regeln des Geschichtenerzählens von den neuen Generationen der Filmemacher variiert werden. Er untersucht das Verhalten der postklassischen Helden in DIE HARD und PULP FICTION, den Umgang mit Blut und Gewalt in Coppolas DRACULA-Version und in SILENCE OF THE LAMBS, die Fantastik der Zeitreisen in BACK TO THE FUTURE und FORREST GUMP, die Dekonstruktion des Film Noir in CHINATOWN und die Struktur eines „post-mortem“-Kinos in MEMENTO.
Auf sehr komplexe Weise erschließt Elsaesser das Personal, die Konflikte, die Dramaturgien, die Räume, die Bilder, die Zeitebenen und die damit verbundenen Wirkungen der acht genannten Filme. Seine Methode ist exemplarisch, er zieht andere Filme zum Vergleich heran, er geht in die Tiefe. Für seine Lesart findet er zitierbare Unterstützung, aber er grenzt sich auch immer wieder gegen zu kurz greifende Interpretationen der Filme ab. Im Endeffekt ist dies ein Lehrbuch über den intelligenten Umgang mit dem so oft verachteten Hollywood-Kino.
Ein kleines Defizit: Es fehlt mir – um dem Buchtitel gerecht zu werden – ein Kapitel über die Beziehung zwischen der Realfiction, wie sie sich in den genannten Filmen darstellt, und dem Animationsfilm, der inzwischen zum festen Bestandteil von Hollywood gehört. Was verbindet RATATOUILLE mit GLADIATOR von Ridley Scott? Oder ist der Vergleich zu gewagt?
Thomas Elsaesser, geboren 1943, ist inzwischen ein elder statesman der internationalen Filmwissenschaft. Von der Universität Amsterdam aus hat er sich souverän mit der amerikanischen und europäischen Medienwissenschaft vernetzt, ist Stammgast der wichtigsten Konferenzen und publiziert in bewundernswerter Frequenz. Zu seinen Spezialgebieten gehört auch der deutsche Film, seine Bücher über das Kino der Kaiserzeit, den Film der Weimarer Republik und den Neuen deutschen Film sind Standardwerke.
Auf das „Hollywood heute“-Buch haben wir lange warten müssen. Nun ist es endlich da. Aber wie ich Thomas Elsaesser kenne, sitzt er schon am Konzept des übernächsten.