Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
April 2010

Werner Grassmann
Hinter der Leinwand
Film- und Kinogeschichten
Edition Nautilus, Hamburg 2010
288 S., 16,90 €
ISBN 978-3-89401-723-1

Werner Grassmann:
Hinter der Leinwand.
Film- und Kinogeschichten

Das Buch musste kommen. Es war nur die Frage: wann? Werner Grassmann, als Gründer des Hamburger Programmkinos Abaton so etwas wie eine Institution, ist inzwischen 83 Jahre alt. Da sollte man schon mal auf all das zurückblicken, was sich in einem interessanten Film- und Kinoleben ereignet hat, und sich die Zeit nehmen, das auch in der richtigen Form aufzuschreiben. Nun ist es endlich passiert.

Ich kenne und schätze Werner Grassmann seit 40 Jahren. Für mein Buch Über das Kinomachen (1972) hat er in einem wunderbar konkreten Text seine noch frischen Abaton-Erfahrungen erzählt. Das Kino wurde im Oktober 1970 eröffnet, es bekam keine Unterstützung von der Stadt, sondern existierte über alle Jahre als Privatunternehmen. Grassmann sorgte für die Profilierung, sein Geschäftspartner, der Rechtsanwalt Winfried Fedder, stand in der zweiten Reihe. Seit 1990 gibt es mit Matthias Elwardt einen kompetenten Nachfolger in der Geschäftsführung, Grassmann und Fedder lassen ihm weitgehend freie Hand. Im aktuellen Spektrum des Abaton-Programms kann er die Traditionen fortsetzen.

Grassmann hat natürlich viel aus der Geschichte seines Kino zu erzählen: wie es zustande kam, wie schwierig es war, die richtigen Filme zu besorgen, wie das angegliederte Restaurant funktionierte, welche berühmten Gäste kamen, wie versucht wurde, das Kino in einer Nacht zu berauben (erfolglos), wie man technische Pannen überbrückt (indem man den Zuschauern erzählt, wie der Film weitergeht und endet). Grassmann ist so etwas wie ein später Kinoerzähler, der weiß, wie man Spannung erzeugt und eine Pointe setzt.

Beginnend mit der Namensgebung. Das Wort „Abaton“ kommt aus dem Griechischen, heißt „das Unzugängliche“, was aber für ein Kino keinen höheren Sinn ergibt. Wichtig war nur der immense Vorteil, bei den täglichen Kinoanzeigen an erster Stelle zu stehen. Vor Aba kommt im Hamburger Kinoalphabet nichts. Das Aladin wurde damit auf die zweite Position verdrängt.

Knapp die Hälfte seiner Autobiografie widmet Grassmann dem Abaton. Aber es gab natürlich ein Vor-Abaton-Leben. Das waren die fünfziger und sechziger Jahre, in denen Grassmann – nach einem abgebrochenen Studium und dem Einstieg als Kritiker und Vorführer – verschiedene Erfahrungen in der Film- und Fernsehbranche macht, die man nicht gerade als Karriere bezeichnen kann. In den Fünfzigern betreibt er in Hamburg ein paar Jahre das Studio 1, propagiert als kleinstes Kino der Welt (25 Plätze), dann produziert und dreht er kurze Dokumentarfilme, verdingt sich einige Zeit als Pressechef des Süddeutschen Rundfunks, wird „Ablaufregisseur“ der TAGESSCHAU und eröffnet dann als Produzent einem Kreis junger Hamburger Filmemacher kreative Möglichkeiten, die zur Gründung der „Hamburger Film-Coop“ führten.

Eines der für mich spannendsten Kapitel handelt von Hellmuth Costards Film FUSSBALL WIE NOCH NIE. 90 Minuten lang richteten sich sechs 16mm-Kameras ausschließlich auf den populären englischen Stürmer George Best von Manchester United im Spiel gegen Coventry. Diese Perspektive kann man als originell oder irrsinnig ansehen, sie führte zu einem der ungewöhnlichsten Fußballfilme, die es gibt. Der Produzent Grassmann beschreibt den Herstellungsprozess, der Film wurde im März 1971 im Abendprogramm des WDR gesendet. Das waren noch Zeiten …

Wir haben es mit einer Berufsbiografie zu tun, das Privatleben bleibt ausgeklammert. Stichprobenleser vermissen vermutlich ein Personenregister. Aber der Autor setzt auf Geduld und Vertiefung. Ein Vorwort hat Michael Töteberg beigesteuert, der in der Hamburger Kinogeschichte zu Hause ist. Ausgespart sind in Grassmanns Buch die Grabenkämpfe mit dem Hamburger kommunalen Kino Metropolis und die Enttäuschungen über die Kulturbehörde, weil der Autor lieber über positive Dinge schreibt. Und das steht ihm auch zu.