Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Dezember 2022

Claudius Seidl
Helmut Dietl
Der Mann im weißen Anzug
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022
346 S., 25 €
ISBN 978-3-462-05006-5

Claudius Seidl:
Helmut Dietl.
Der Mann im weißen Anzug

Mit den Serien MONACO FRANZE und KIR ROYAL hat er Fernseh-geschichte geschrieben. SCHTONK! und ROSSINI waren seine erfolgreichsten Filme. Im Leben von Helmut Dietl (1944-2015) gab es Höhen und Tiefen. Claudius Seidl beschreibt sie in seiner sehr lesenswerten Biografie.

„A bissel was geht immer“ war der Titel der unvollendeten Erinnerungen von Helmut Dietl, die vor sechs Jahren bei Kiepenheuer & Witsch erschienen sind. Mit einem Vorwort von Tamara Dietl und einem Nachwort von Patrick Süskind. Im Mittelpunkt stehen Kindheit, Jugend und Ausbildung, Liebes-, Trennungs- und Reisegeschichten, detailliert erinnert, exzellent formuliert. Es war mein Filmbuch des Monats Oktober 2016.

Claudius Seidl kann davon für die frühen Jahre profitieren, wobei er nicht einfach zitiert, sondern in eigener Sprache erzählt. Natürlich spielt der Schauplatz München eine entscheidende Rolle. Claudius, mit dem Ort bestens vertraut, macht die fünfziger, sechziger und siebziger Jahre in der bayerischen Hauptstadt sehr präsent, das Lebensgefühl, die gastronomischen Treffpunkte, das kulturelle Klima: „In den frühen Siebzigern war München die modernste Stadt im ganzen deutsch-sprachigen Raum.“ (S. 112). Hier hat Dietl studiert, wurde Regie-assistent bei den Kammerspielen und beim Fernsehen des Bayerischen Rundfunks, bekam einen Job bei der Firma Intertel, machte dort Erfahrungen als Dramaturg und Drehbuchautor. Seine erste Serie konnte er für das Vorabendprogramm realisieren: MÜNCHNER GESCHICHTEN (1974) mit Günther Maria Halmer und Therese Giehse. Claudius Seidls Beschreibungen der Serie und der Produktions-hintergründe sind sehr anschaulich. Das zeichnet auch seinen Text über die folgenden Projekte aus: DER GANZ NORMALE WAHNSINN (1979) mit Towje Kleiner und MONACO FRANZE – DER EWIGE STENZ (1983) mit Helmut Fischer. Die Zeit zwischen 1979 und 83 verbrachte Dietl weitgehend in Los Angeles. Dann kehrte er nach München zurück. Dietls Wohnungen, vorzugsweise in Schwabing, waren oft auch Produktionsorte, die Hauptfiguren seiner Serien kann man als Alter Egos von ihm selbst sehen.

Mit dem Sechsteiler KIR ROYAL (1986) gelang der Einzug ins Abendprogramm der ARD. Als Coautor fungierte Patrick Süskind, der mit seinem Roman „Das Parfüm“ gerade einen Bestseller geschrieben hatte. Franz-Xaver Kroetz als Klatschreporter Baby Schimmerlos wurde zu einer Schlüsselfigur.

Seinen ersten Kinofilm, SCHTONK!, drehte Dietl 1992, also nach der Wende, die auch für seinen Wohnort München Folgen hatte. Berlin wurde langsam zur deutschen Hauptstadt. Der Film über die gefälschten Hitler-Tagebücher gewann den Deutschen Filmpreis als bester Film und für die beste Regie. Er wurde für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert. Auch der zweite Kinofilm, ROSSINI – ODER DIE MÖRDERISCHE FRAGE, WER MIT WEM SCHLIEF (1997), eine „Melodramödie“ über das Filmleben in München, war sehr erfolgreich. LATE SHOW (1999) thematisierte die Medienbranche und brachte fast eine Million Zuschauer ins Kino. Aber VOM SUCHEN UND FINDEN DER LIEBE (2005) und ZETTL (2011) wurden Misserfolge und für Dietl zu persönlichen Enttäuschungen.

Frauen spielten im Leben von Helmut Dietl eine wichtige Rolle. Er war viermal verheiratet, zuerst mit der Journalistin Karin Wichmann, anschließend mit der Schauspielerin Barbara Valentin, dann mit der Französin Denise Cheyresy und am Ende mit der Moderatorin und Filmproduzentin Tamara Duve. In den neunziger Jahren lebte er mit der Schauspielerin Veronika Ferres zusammen, die in mehreren seiner Filme mitwirkte. Claudius beschreibt die Ehen, Beziehungen und Affären natürlich nicht wie Baby Schimmerlos, sondern mit der notwendigen Diskretion. Sie hatten Auswirkungen auf die psychische Befindlichkeit des Protagonisten.

Ein emotionaler Höhepunkt der Biografie ist gleich der Beginn: die Verleihung des Ehrenpreises des Deutschen Filmpreises an Dietl am 9. Mai 2014. Man wusste aus einem Interview mit dem Chefredakteur der Zeit, Giovanni di Lorenzo, dass Dietl Lungenkrebs hatte und nicht mehr lange leben würde. Michael „Bully“ Herbig hielt die Laudatio, Dietl lobte die Akademie-Präsidentin Iris Berben, kritisierte die Institution, dankte seiner Frau, die ihm das eigentlich untersagt hatte, und verabschiedete sich mit dem Satz „Wenn keiner was dagegen hat, dann geh ich jetzt.“. Am 30. März 2015 ist er in München gestorben.

Im Mittelpunkt der Biografie von Claudius Seidl steht die Arbeit von Helmut Dietl. Er war rastlos, hatte unendlich viele Ideen, fand Partner beim Schreiben und beim Produzieren. München war zwar der Mittelpunkt seines Lebens, aber er wechselte oft die Arbeitsorte. Wenn es finanzielle Schwierigkeiten gab, drehte er Werbefilme. Natürlich hat sich Claudius die Fernseh- und Kinofilme von Dietl noch einmal genau angeschaut und dabei erstaunliche Entdeckungen gemacht. Die vermitteln sich durch die anschauliche Sprache. Man bekommt bei der Lektüre des Buches Lust, vieles selbst noch einmal zu sehen. Und man wird dabei von dem Hintergrundwissen dieser Biografie profitieren.

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