Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
August 2020

Frederik Lang
Hartmut Bitomsky
Die Arbeit eines Kritikers mit Worten und Bildern
Wien, Synema 2020
302 S., 28,00 €
ISBN: 978-3-901644-83-2

Frederik Lang:
Hartmut Bitomsky.
Die Arbeit eines Kritikers mit Worten und Bildern

„Die Arbeit eines Kritikers mit Worten und Bildern“ heißt der Unter-titel des Buches von Frederik Lang. Es erschließt das Werk des Filme-machers Hartmut Bitomsky (*1942), der vor allem essayistische Dokumentarfilme realisiert hat. Die Analysen des Autors machen deutlich, wie komplex und vielschichtig Bitomsky über Jahrzehnte gearbeitet hat.

Er gehörte 1966 zum ersten Studienjahrgang der Deutschen Film- und Fernseh­akademie und wurde 1968 mit 17 anderen aus politischen Gründen relegiert. 38 Jahre später holte man ihn als Direktor an die dffb. Seine Filmografie nennt 52 Titel. Es sind Kurzfilme von drei Minuten darunter (Beiträge für die Sesamstraße) und ein zweiteiliger Dokumentarfilm von 202 Minuten (KARAWANE DER WÖRTER). Er hat in den 70er und 80er Jahren eine enge Verbindung zwischen der Zeitschrift Filmkritik und der WDR-Filmredaktion hergestellt. Man konnte seine Filme im WDR sehen und seine Texte in der Filmkritik lesen. Er ist bestens vertraut mit der Filmgeschichte, vor allem der amerikanischen, seine Produktionsfirma nannte er „Big Sky“. Frederik Lang hat an der Freien Universität Berlin eine Dissertation über ihn verfasst, die ich „summa cum laude“ bewerten würde.

In sechs Kapiteln erschließt er das Werk von Hartmut Bitomsky. Kurz und prägnant geht es zunächst um die Grundlagen der Kritik, die Film-kritik in Deutschland, die Kritik als Schaffensprozess, das Fragmenta-rische der Kritik und den Kritiker als Autor.

Es folgt ein Kapitel über „Politisierung, Agitation, Differenzierung“ oder „Studieren, Filmen, Schreiben“. Während seines Studiums an der dffb entstanden DAS VÖGLEIN, 3000 HÄUSER und JOHNSON & CO. UND DER FELDZUG GEGEN DIE ARMUT. Dann kam im November 1968 der Rausschmiss. Die dffb-Zeit wird anschaulich beschrieben. Danach arbeitete Bitomsky zwei Jahre eng mit Harun Farocki zusam-men. Es entstanden die „Lehrfilme“ DIE TEILUNG ALLER TAGE, EINE SACHE DIE SICH VERSTEHT und AUVICO SPOT 1 und 3. Ein erster Ausflug ins Fernsehen waren die Beiträge für die SESAM-STRASSE (1972-1974), darunter DER WEG DES GELDES mit Hanns Zischler.

Im Juni 1972, er war gerade dreißig Jahre alt geworden, erschien das Buch „Die Röte des Rots von Technicolor“, eine Reflexion über „Kinorealität und Produktionswirklichkeit“. Frederik Lang: „Es ist ein Buch, dem man anmerkt, dass Bitomsky es vor allem für sich selbst geschrieben hat, wie Helmut Färber in einer späten Würdigung schreibt.“ (S. 70). Das Kino ist für Bitomsky nicht mehr in Ordnung, er agiert gegen seinen Frust. 1973 entstehen erste Beiträge für den WDR: TELEKRITIK: KRESSIN UND… EIN FERNSEH-HELD, EINMAL WIRST AUCH DU MICH LIEBEN. ÜBER DIE BEDEUTUNG VON HEFTROMANEN, KINO/KRITIK. ÜBER DIE WÖRTER, DEN SINN UND DAS GELD VON FILMEN (mit Wolf Donner, Friedrich Luft und Ponkie).

Zwei lange Spielfilme hat Harmut Bitomsky in den 70er Jahren realisiert: AUF BIEGEN ODER BRECHEN und KARAWANE DER WÖRTER. Ihnen ist das dritte Kapitel des Buches gewidmet. Sie waren in den Kinos und im Fernsehen nicht sehr erfolgreich.

Die Kapitel vier und fünf handeln von der Filmkritik, von der geschrie-benen und der gefilmten. Ab 1974 gehörte Hartmut Bitomsky zur Filmkritik-Kooperative, es erschienen dort Dossiers zu LOLA MONTEZ, D. W. Griffith, Humphrey Jennings, ein Essay über „Das Goldene Zeitalter der Kinematographie“, drei Hefte über John Ford, Notizen zu Filmen von Peter Nestler, Gespräche mit Klaus Wyborny und Alexander Kluge und viele andere Texte. Beginnend mit dem 90-Minuten-Film DER SCHAUPLATZ DES KRIEGES (über John Ford) werden 1976 drei Dokumentationen vom WDR ausgestrahlt. Die Zusammenarbeit mit der dortigen Filmredaktion (Werner Dütsch, Helmut Merker, Angelika Wittlich) ist eng und kreativ. Beim dreiteiligen GOLDENEN ZEITALTER DER KINEMATOGRAPHIE ist Dütsch sogar Co-Regisseur.

1981 entsteht der 3-Stunden-Film HIGHWAY 40 WEST. REISE IN AMERIKA, gedreht auf 35mm. Bitomskys erster Besuch der USA wird dokumentiert als Weg von Ost nach West, die Bilder zeigen Orte, Menschen, Landschaften. Der Filmemacher ist häufig zu sehen, nicht nur in den Interviews. Langs Beschreibung des Films ist beeindruckend.

Mit DEUTSCHLANDBILDER beginnt 1983 für Lang eine Wende im Werk Bitomskys. Bisher stand die Präsentation von Filmen, Bildern und Materialien im Vordergrund, künftig greift der Regisseur stärker ins Material ein, verwendet Fotoabzüge aus Filmen und später Moni-tore in einer Studiosituation. Ausschnitte aus nationalsozialistischen Kulturfilmen, chronologisch geordnet, bilden die Basis für DEUTSCH-LANDBILDER (Regie: gemeinsam mit Heiner Mühlenbrock). Bitomsky spricht seinen Kommentar nicht selbst. Das ändert sich in den nachfolgenden Deutschland-Filmen: REICHSAUTOBAHN (1986) und DER VW-KOMPLEX (1989). Thematisch führen sie weiter in die Gegenwart. Und die Arbeit spielt eine größere Rolle. 1992 folgte noch ein Deutschland-Film: DIE UFA, zum 75jährigen Jubiläum der Produktions- und Verleihfirma. Zu den Mitwirkenden gehörte Klaus Kreimeier, der damals eine Ufa-Geschichte publiziert hatte.

Die beiden bisher letzten Dokumentarfilme von Hartmut Bitomsky sind B-52 (2001) und STAUB (2007), beide wurden auf 35mm gedreht. B-52 porträtiert mit Archivmaterial und Interviews den Langstrecken-bomber der US-Luftwaffe. Realisiert wurde der Film, als Bitomsky Dekan an der „School of Film and Video“ am „California Institute of the Arts“ in Los Angeles war. Dort entstanden auch die ersten Ideen für STAUB. Welches sind seine Eigenschaften? Wie kann man seine Spuren abbilden? Wo entsteht er? Wer reinigt ihn? Auf viele dieser Fragen gibt der Film Antworten: in Bildern, Interviews, Filmzitaten.

Die große Begabung von Frederik Lang ist die konkrete und zugleich analytische Beschreibung von Filmen. Alle Filme von Harmut Bitomsky sind präzise vermittelt und werden auch für Leserinnen und Leser, die sie nicht kennen, präsent. Erstmals wird in diesem Buch das Werk des herausragenden Dokumentaristen erschlossen, der in fast fünfzig Jahren über fünfzig Filme realisiert hat. Ihre Bedeutung wird hier endgültig vor Augen geführt.

Mit vielen Abbildungen in guter Qualität.

Im Zeughauskino findet im August und September eine Werkschau statt. Mehr zur Werkschau: filmreihen/hartmut-bitomsky.html

Mehr zum Buch: 1593395424389