Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Februar 2015

Connie Betz/Rainer Rother/Annika Schaefer (Hg.)
Glorious Technicolor
Verlag Bertz -+ Fischer, Berlin 2015
180 Seiten, 25,00 €
ISBN 978-3-86505-238-4

Connie Betz/Rainer Rother/Annika Schaefer (Hg.):
Glorious Technicolor

Vor hundert Jahren wurde von Herbert T. Kalmus die Firma Technicolor gegründet, die ein kompliziertes, aber sehr wirkungsvolles Farbfilmverfahren entwickelte, dessen Blütezeit von 1935 bis in die Mitte der 50er Jahre dauerte. „Glorious Technicolor“ heißt die Retrospektive der diesjährigen Berlinale, zu der bei Bertz + Fischer der beeindruckende Katalog erschienen ist. Das Buch, herausgegeben von Connie Betz, Rainer Rother und Annika Schaefer, informiert in acht Beiträgen über die technischen, ästhetischen und ökonomischen Stärken (und auch Schwächen) in der Entwicklung von Technicolor. Berühmte Filme wie GONE WITH THE WIND (1939), THE WIZARD OF OZ (1939), DUEL IN THE SUN (1946), BLACK NARCISSUS (1947) oder SHE WORE A YELLOW RIBBON (1949) wurden in diesem Verfahren gedreht. Sie sind in der Retrospektive zu sehen und werden im Katalog gewürdigt.

1988 hieß die Retrospektive der Berlinale „Color – Die Farben des Films“. Damals ging es um die Geschichte des Farbfilms insgesamt, Technicolor war nur ein (allerdings wichtiges) Kapitel, und für den Katalog zeichnete der Farbfilmspezialist Gert Koshofer verantwortlich. In einer eigenen Broschüre reflektierte damals Frieda Grafe an zwölf Beispielen über Farbe im Film – ihre Einleitung überschrieb sie „Theorie wär grau“. Da las man so wunderbare Sätze wie „Farbfilmmaterial kennt keine Patina, nur Zerfall.“ Oder: „Farbe lässt sich besser umschreiben als beschreiben. Die Emotionen, die sie auslöst, sind zu einem Teil vorauszusehen; der andere Teil ist subjektiv – von visuellen, taktilen, emotionalen Erinnerungen bedingt.“ Oder: „Seit Technicolor sich aus der Unterhaltungsindustrie zurückgezogen hat, forscht sie bevorzugt für die Armee und die NASA.“ Der erste Band der Schriften von Frieda Grafe (2002) hat den Titel „Filmfarben“. Immer wieder lesenswert!

Zurück zu „Glorious Technicolor“. Die acht Textbeiträge sind alle informativ und mit Sachkunde geschrieben. Barbara Flückinger, früher einmal Filmtechnikerin, jetzt Filmprofessorin an der Universität Zürich, beschäftigt sich mit der Entwicklung des frühen Technicolor, von den Anfängen bis zum Beginn der 30er Jahre, also speziell mit dem Zweifarbensystem („Zwischen Chromophobie und Farbrausch“). Ihr Text korrespondiert sehr gut mit den Abbildungen und erinnert an die Schwierigkeiten der Anfangsjahre.

Scott Higgins, Professor für Filmwissenschaft an der Wesleyan University in Connecticut, thematisiert die Technicolor-Ästhetik im Studiosystem Hollywoods („Ordnung und Fülle“). Er beginnt mit dem innovativen Drei-Farben-Verfahren, seine Analysen gelten dem Kurzfilm LA CUCARACHA (1934) von Lloyd Corrigan, dem ersten Technicolor-Langfilm BECKY SHARP (1935) von Rouben Mamoulian, dem Abenteuerfilm THE ADVENTURES OF ROBIN HOOD (1938) von Michael Curtiz, dem großen Erfolgsfilm GONE WITH THE WIND von Victor Fleming, dem Revuefilm MEET ME IN ST. LOUIS (1944) von Vincente Minnelli. Er unterscheidet dabei zwischen „demonstration mode“, „restrained mode“ und „asservative mode“ im Farbstil, wie er von den Studios gehandhabt wurde.

Susanne Marschall, Professorin für Film- und Fernsehwissenschaft an der Universität Tübingen und Autorin des Buches „Farbe im Kino“ (2005), konzentriert sich in ihrem Beitrag auf Musicals in Technicolor („Somewhere inside the Rainbow“). Ihre wichtigsten Filmbeispiele sind THE WIZARD OF OZ von Victor Fleming, ON THE TOWN (1949) und SINGIN’ IN THE RAIN (1952) von Gene Kelly und Stanley Donen, AN AMERICAN IN PARIS (1951) von Vincente Minnelli, GENTLEMEN PREFER BLONDES (1953) von Howard Hawks und A STAR IS BORN (1954) von George Cukor, sie verweist auf Walt Disneys Zeichentrickfilme in Technicolor, auf Michael Powells und Emeric Pressburgers THE RED SHOES (1948) und schlägt am Ende eine Brücke zu einer Farbsequenz in dem indischen Film MUGHAL-E-AZAM (1960) von Karimuddim Asif. Auch in den Assoziationen ein interessanter Text.

Christine N. Brinckmann, emeritierte Professorin für Filmwissenschaft an der Universität Zürich (sie publizierte vor einem Jahr das sehr empfehlenswerte Buch „Farbe, Licht, Empathie“), stellt den Stierkampf-Film BLOOD AND SAND (1941) von Rouben Mamoulian in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung. Sie verweist dabei auf die Einflüsse der Malerei auf Mamoulian, der sich dezidiert auf Bilder von Murillo, Goya, El Greco, Velásquez, Sorolla und Tizian als Inspiration für einzelnen Szenen seines Films berufen hat, dies aber wohl auch tat, um als Kunstsachverständiger zu gelten. Brinckmann findet einige offensichtliche Bezüge zu den genannten Malern, die jeweils durch Abbildungen zu belegen sind, will aber ihre Bedeutung nicht überschätzt wissen.

Heather Heckman, Leiterin der Moving Image Research Collections an der University of South Carolina, nimmt den Technicolor-Western ins Visier („War Bonnets and Eagle Feathers in the Dust“). Sie beschreibt sehr konkret ihre Farbeindrücke u.a. von den Filmen THE TRAIL OF LONESOME PINE (1936) von Henry Hathaway, JESSE JAMES (1939) von Henry King, DODGE CITY (1939) von Michael Curtiz, WESTERN UNION (1941) von Fritz Lang, THE NAKED SPUR (1953) von Anthony Mann und – am ausführlichsten – SHE WORE A YELLOW RIBBON (1949) von John Ford. Eine sensible Analyse!

Sarah Street, Professorin für Filmwissenschaft an der University of Bristol und Autorin des Buches „British Colour Cinema. Practices and Theories“ (2013), ist natürlich die geeignete Autorin für ein Kapitel über Technicolor-Filme in Großbritannien („Export der Farbpalette“). Sie informiert über die Anfänge in den 1930er Jahren (WINGS OF THE MORNING, 1936, von Harold D. Schuster) und die Betreuung der Produktionen durch Natalie Kalmus, analysiert dann in einem eigenen Kapitel die Farbfilme von Michael Powell und Emeric Pressburger (THE LIFE AND DEATH OF COLONEL BLIMP, BLACK NARCISSUS, THE TALES OF HOFFMANN) und berichtet über einige farbige Dokumentarfilme, die während des Zweiten Weltkriegs entstanden. Auch der Krönungsfilm 1953 (A QUEEN IS CROWNED) wurde in Technicolor gedreht.

Bleiben noch zwei abschließende Texte. Ulrich Ruedel und Kieron Webb, Filmrestauratoren am British Film Institute, springen in der Zeit noch einmal zurück in die frühe Phase von Technicolor und berichten dann ausführlich von der Restaurierungsarbeit des BFI. Dirk Alt, Autor des Buches „Der Farbfilm marschiert!“ über frühe Farbfilmverfahren in Deutschland und ihre Nutzung durch die NS-Propaganda, informiert über Technicolor in Deutschland 1925 bis 1939, über einige importierte Filme, ihre Akzeptanz in der Presse und den gescheiterten Versuch, eine Technicolor-Dependance in Berlin zu errichten.

Als Begleitpublikation zur Retrospektive ist dieses Buch bestens geeignet. Und ich freue mich persönlich, dass es endlich wieder einmal bei Bertz + Fischer erschienen ist.

Coverfoto: Motiv aus SINGIN’ IN THE RAIN.

Mehr zum Buch: http://www.bertz-fischer.de/glorioustechnicolor.html