Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
1998
Filmbuch des Jahres

Geoffrey Nowell-Smith (Hg.)
Geschichte des internationalen Films
Verlag J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 1998
794 S., (78 Mark)
ISBN 3-476-01585-8

Geoffrey Nowell-Smith (Hg.):
Geschichte des internationalen Films

Ein Überblick über die nationalen Kinematographien und die Filmregionen der Welt.

Dieses Buch ist als Resultat eines Transfers für die deutschsprachige Filmliteratur eher ungewöhnlich. 1996 erschien „The Oxford History of World Cinema“ auf englisch. Ein wichtiger Teil der deutschen Kundschaft war damit durchaus zufriedengestellt. Dennoch erwarb der Metzler-Verlag – Programmschwerpunkte: Philosophie, Literaturwissenschaft, Musikgeschichte, neuerdings auch Medien – die Lizenz (das kostete ihn schätzungsweise 100.000 DM) und ließ das Werk für ein Honorar von rund 60.000 DM übersetzen. Einige Kapitel wurden überarbeitet und aktualisiert. Die Ausstattung (gutes Papier, 300 SW-Abbildungen, Leineneinband mit Fadenheftung) liegt im oberen Niveaubereich, der Verkaufspreis ist für ein Zwei-Kilo-Buch sehr moderat. Also haben wir es mit einem Prestigeprojekt zu tun.

Hat sich die Investition gelohnt? Die 81 Autorinnen und Autoren der Originalausgabe – ihre Herkunft und Profession werden in der deutschen Edition nicht mitgeteilt – sind renommierte Experten. Sie stammen vor allem aus dem anglo-amerikanischen Sprachbereich, können sich also verständlich vermitteln. Das Konzept greift über vergleichbare Weltfilmgeschichten hinaus. Periodisiert wird in drei Phasen: Stummfilm (1895-1930), Tonfilm (1930-1960), moderner Film (ab 1960). Umfänglich – das entspricht der Erwartung – werden die nationalen Kinematografien und die Filmregionen der Welt abgehandelt. So gibt es informative Kapitel über den indischen und den schwarzafrikanischen Film, das Kino in China, Hongkong und Taiwan, den australischen und den kanadischen Film.

Neu und interessant im Kontext einer Weltfilmgeschichte sind die eigenständigen Diskurse über Dokumentarfilm (Autor: Charles Musser) und Avantgarde (A. L. Rees), Genrefilm 1930-1960 (Western / Musical / Kriminalfilm / Phantastischer Film von Edward Buscombe, Rick Altman, Phil Hardy und Vivian Sobchack), technologische Innovationen (John Belton), Filmmusik (Martin Markus / Royal Brown) und, im letzten Teil, Film im Zeitalter des Fernsehens (Michèle Hilmes), Grenzverschiebungen (Animation, Experiment, Computer – von William Moritz) und Zukunftsstrategien des Kinos (formuliert vom Herausgeber). Hier liegen die größten Vorzüge des Buches, weil die Autoren über nationale und regionale Grenzen hinwegschreiben, auch wenn sie dabei Hollywood und die Dominanz des Kapitals nicht aus dem Auge verlieren.

Daß es dem schwäbischen Verlag irgendwann nicht mehr ums Prestige, sondern um Kostenbegrenzung ging, zeigt der Verzicht auf die 135 Einzelporträts von Schauspielern, Regisseuren und anderen Filmschaffenden, die wesentlicher Bestandteil der Originalausgabe sind und in der deutschen Fassung nur sparsam in die Länderkapitel eingearbeitet wurden. Wer sich etwas genauer über den Kameramann James Wong Howe, den Dokumentaristen Joris Ivens oder den Szenografen Alexandre Trauner informieren will, muß also doch zum englischen Original greifen.

Die Übersetzung von Hans-Michael Bock, der auch das Kapitel über den DEFA-Film verfaßt hat, und seinem Hamburger CineGraph-Team wirkt manchmal etwas spröde, ist aber insgesamt solide. Die Darstellung des deutschen Films haben – abgesehen von der DEFA-Story – drei anglo-amerikanische Autoren unter sich aufgeteilt: Thomas Elsaesser, Anton Kaes und Eric Rentschler. Sie akzentuieren das Weimarer Kino, den Film des Dritten Reiches und den Neuen (west)deutschen Film mit dem Blick von außen, also zugespitzter und fragmentarischer als es im eigenen Land üblich ist. Besonders hart wirkt sich das auf den Film der Adenauer-Ära aus, der im internationalen Vergleich trotz Käutner und Staudte, Tremper und Tressler wohl immer eine Zielscheibe des Spottes bleiben wird. Rentschler reichen zwei Textspalten für eine Art Gnadenschuß.

Diese Rezension des Buches von Hans Helmut Prinzler erschien in der Süddeutschen Zeitung vom 17. April 1999