Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
März 2014

Gerd Gemünden
Continental Strangers
German Exile Cinema 1933-1951
New York: Columbia University Press 2014
278 S., 30 $ / 26,66 €
ISBN: 978-0-231-16679-9

Gerd Gemünden:
Continental Strangers.
German Exile Cinema 1933-1951

Die Literatur über das deutsche Filmexil ist umfangreich. Es gab zwischen 1992 und 2005 sogar eine spezielle Zeitschrift (FilmExil), die allerdings nach 22 Nummern ihr Erscheinen einstellte. Das Thema hat nicht an Bedeutung verloren. Wichtig sind für die aktuelle Forschung definitorische Klarheit, historisches Wissen und methodische Erfahrung in der Filmanalyse. Das jüngst publizierte Buch von Gerd Gemünden erfüllt für mich diese Ansprüche vorbildlich. Es basiert auf einer sieben Jahre dauernden Forschungsarbeit und konzentriert sich in seinem Hauptteil auf die Analyse von sechs beispielhaften Filmen. Der Autor setzt sich dabei mit den schon vorliegenden Interpretationen auseinander und vermittelt mit dem genauen Blick auf die Einzelwerke, ihre Produktionsbedingungen, ihre Position im Genre und ihre spezielle Form, ihre besondere Bedeutung als „Exilfilme“. Mit vielen Verweisen auf parallel entstandene Filme wird auch ein größerer historischer Zusammenhang deutlich. Insofern ist das Buch auch ein wichtiger Beitrag zur amerikanischen Filmgeschichte der 1930er und 40er Jahre.

Dies sind die sechs Filme, die Gerd Gemünden in den Mittelpunkt seiner Untersuchung stellt:

THE BLACK CAT (1934) von Edgar G. Ulmer, ein klassischer Universal-Horrorfilm, produziert von Carl Laemmle. Ein amerikanisches Ehepaar gerät auf der Hochzeitsreise in Ungarn in die Auseinandersetzung zwischen einem österreichischen Psychiater (gespielt von Bela Lugosi) und einem ungarischen Architekten (Boris Karloff). Schauplatz des Films ist ein geheimnisvolles Haus mit einem versteckten Munitionsdepot, das am Ende explodiert. Psychiater und Architekt (er trägt den Namen Hjalmar Poelzig) kommen auf grausame Weise zu Tode, das Ehepaar kann entkommen. Gemünden stellt das Set Design des Films in historische Zusammenhänge, gibt aufschlussreiche Hinweise zur Musik und macht deutlich, wie intensiv die Traumata des Ersten Weltkriegs von Ulmer thematisiert werden. Das Kapitel trägt die Überschrift „A History of Horror“.

THE LIFE OF EMILE ZOLA (1937) von William Dieterle, ein Biopic über den französischen Schriftsteller und Journalisten (gespielt von Paul Muni), der sich zu Jahrhundertbeginn für die Wiederaufnahme des Dreyfus-Prozesses eingesetzt hat, den berühmten Artikel „J’accuse“ publizierte, dafür vor Gericht gestellt wurde und nach London fliehen musste. Analysiert wird die Bedeutung der jüdischen Herkunft von Dreyfus, die sehr authentisch wirkende Darstellung aller Hauptfiguren (speziell von Paul Muni und Joseph Schildkraut, der einen Oscar als bester Nebendarsteller erhielt) und der aktuelle Zeitbezug zur Situation in Nazi-Deutschland, den Dieterle natürlich beabsichtigte. Gemünden referiert auch über andere biografische Filme der 1930er Jahre. Das Kapitel hat den Titel „Tales of Urgency and Authenticity“.

TO BE OR NOT TO BE (1942) von Ernst Lubitsch, eine der berühmtesten Komödien der Filmgeschichte, die noch heute ihre Wirkung hat. Ihre zeitgenössische Rezeption war durchaus ambivalent, weil von vielen bezweifelt wurde, dass man die Nazis zum Thema einer Komödie machen dürfe. In der Analyse steht speziell die Darstellung des Jüdischen im Vordergrund, wobei das Wort „Jew“ im Film nicht benutzt wird, aber die Figur des Schauspielers Greenberg (dargestellt von Felix Bressart) eine spezielle Bedeutung hat. Gemünden zieht auch Parallelen zur Hitler-Darstellung in THE GREAT DICTATOR (1940) von Charles Chaplin und zur Spionage-Komödie ONCE UPON HONEYMOON (1942) von Leo McCarey. Das Kapitel heißt „Performing Resistance, Resisting Performance“.

HANGMEN ALSO DIE (1943) von Fritz Lang und Bertolt Brecht, ein politisches Drama, das die Folgen des Attentats auf den Reichsprotektor Reinhard Heydrich zum Thema hat. Es geht um Verdächtigungen, Widerstand, Flucht und Vergeltung. Gemünden schildert sehr detailliert die Zusammenarbeit zwischen Lang und Brecht, die wegen unterschiedlicher Konzeptionen zu vielen Spannungen führte, weil Brecht mit Langs Inszenierungsstil nicht einverstanden war. Es ging dabei vor allem um die Emotionalität in der Darstellung. Die Hauptrollen spielten Brian Donlevy, Walter Brennan und Gene Lockhart. Die unsympathischen Deutschen wurden vorwiegend von Exilanten gespielt: zum Beispiel Reinhold Schünzel, Alexander Granach, Hans  Heinrich von Twardowsky (Heydrich). Es gibt Verweise auf zahlreiche andere Anti-Nazi-Filme der frühen 1940er Jahre. Kapitel-Überschrift: „History as Propaganda and Parable“.

ACT OF VIOLENCE (1948) von Fred Zinnemann, ein Film Noir aus der Nachkriegszeit, in dem ein ehemaliger Captain, inzwischen erfolgreicher Bauunternehmer, von einem invaliden Kriegskameraden beschuldigt wird, in deutscher Gefangenschaft zehn amerikanische Soldaten verraten zu haben. Auch hier geht es um Schuld, Angst, Verfolgung und Traumata. Gemünden beschreibt sehr präzise die Bilder und die Dramaturgie des Films, geht auf das Noir-Genre ein, würdigt den Regisseur Zinnemann (vor allem mit Verweisen auf THE SEARCH, THE MEN und TERESA, die sich alle mit Kriegsfolgen auseinandersetzen) und resümiert die Rezeption des Films. Kapitel-Überschrift: „Out of the Past“.

DER VERLORENE (1951) von Peter Lorre, eine deutsche Produktion von Arnold Pressburger, ist ein logisches Schlusskapitel. Der Film erzählt die Geschichte eines Arztes und Serumforschers, der 1943 seine Braut erschlägt, weil sie ihn ausspionierte. Die Tat wird vertuscht, weil der Forscher gebraucht wird. Nach dem Krieg trifft er in einem Lager einen ehemaligen Kollegen wieder. Es kommt zu Auseinandersetzungen über die damalige Tat. Der Film endet mit der Ermordung des Kollegen und dem Suizid des Arztes. Das Psychodrama, in dem Peter Lorre auch die Hauptrolle spielt, war ein großes künstlerisches Wagnis und wurde zu einem Misserfolg. Lorre ging aus Deutschland in die USA zurück. Gemünden beschreibt Inhalt und Form des Films sehr sensibel, nutzt das Kapitel („The Failure of Atonement“) für eine Hommage an Lorre und macht sich Gedanken über die Problematik der Reemigration, die dann zu einem kurzen „Epilogue“ führen. Damit rundet sich das Buch.

Gerd Gemünden, Professor am Dartmouth College, versteht sich nicht als forschender Einzelgänger, er zitiert an den geeigneten Stellen viele seiner Kollegen (Helmut G. Asper, Thomas Elsaesser, Chris Horak, Tony Kaes, Eric Rentschler), denen er sich dankbar verpflichtet fühlt. Die Bibliografie am Ende des Bandes ist umfänglich und gut strukturiert. Wichtig erscheint mir vor allem, dass ein Autor zu seinem Thema eine Meinung und eine Haltung hat, dass es sich nicht um eine Fleißarbeit handelt, sondern um eine Publikation mit neuen Erkenntnissen und eigener Substanz. Das ist hier der Fall.

Ich zitiere Eric Rentschler, der dem Buch ein kollegiales Kompliment mit auf den Weg gegeben hat: „Continental Strangers is a necessary and most compelling pendant to Thomas Doherty’s Hollywood and Hitler, 1933-1939. Indeed, these two recent releases provide an impressive ensemble. Doherty depicts how American film studios reacted to Nazi terror in both direct and less overt ways. Gemünden fills out the picture in a series of intriguing case studies devoted to filmmakers who fled Hitler and settled in Southern California. Sensitive to the variety of ways in which German film artists experienced emigration and exile, Gemünden’s book remains admirably attentive to the historical determinations and textual shapes of Hollywood’s anti-Nazi features.“