Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
November 2021

Stefanie Kreuzer (Hg.)
FilmZeit
Zeitdimensionen des Films
Marburg, Schüren Verlag 2021
486 S., 58,00 €
ISBN 978-3-7410-0388-2

Stefanie Kreuzer (Hg.):
FilmZeit.
Zeitdimensionen des Films

Zwei Zeiten werden in diesem Buch erforscht: die Zeit im Film und die Zeit des Films. Es geht um die Handlungsebene und die Darstellungsebene. Fünfzehn Texte hat die Herausgeberin Stefanie Kreuzer dafür ausgewählt. Sie sind überarbeitete Vorträge aus Universitätscolloquien und fügen sich zu einer komplexen Darstellung des Themas.

Das Forschungsprojekt von Stefanie Kreuzer fand an den Universitäten Hannover, Saarbrücken und Kassel zwischen 2013 und 2017 statt. In ihrem Einleitungstext beschreibt sie Anspruch und Dimension des Unternehmens und verweist auf die entsprechenden Defizite in der filmwissenschaftlichen Literatur.

Vier Kapitel strukturieren das Buch I. Zeitkategorien des Films (drei Texte). II. FilmZeit und ihre kinematografischen Verfahren (sechs Texte). III. Zeitdokumentation/-konstruktion und filmisches Material (drei Texte). IV. Zeit im Film: kulturelle Zeitkonzeptionen (drei Texte).

Markus Kuhn analysiert die Zeitstruktur des brasilianischen Films CIDADE DE DEUS (2002) von Fernando Meirelles und Kátia Lund, der die brutalen Zustände in einer Favela schildert und mehrere Handlungsebenen hat. – Julia Eckel richtet ihren Blick auf Story, Style, Raum, Figuren und Zeit in drei Filmen von Christopher Nolan: MEMENTO (2000), INCEPTION (2010) und INTERSTELLAR (2014). – Hans Jürgen Wulff beschreibt aus der Zuschauerperspektive Zeitanomalien in den Filmen ZABRISKIE POINT (1970) von Michelangelo Antonioni (Schluss-Sequenz), DON’T LOOK NOW (1973) von Nicolas Roeg (Liebesszene) und TEN MINUTES OLDER: THE CELLO (2002) (Episode von Jiri Menzel).

Susanne Kaul eröffnet mit ihrem Text das Kapitel „FilmZeit und ihre kinematografischen Verfahren“. Sie befasst sich mit der Echtzeit im fiktionalen Film, zu ihren Filmbeispielen gehören CACHÉ (2005) von Michael Haneke, MICHAEL KOHLHAAS (2013) von Arnaud des Pallières, THE TREE OF LIFE (2011) von Terrence Malick und VICTORIA (2015) von Sebastian Schipper. – Sabine Zubarik unter-sucht Effekte der Gleichzeitigkeit, die durch Simulationen entstehen, ihre Filmbeispiele sind SLIDING DOORS (1998) von Peter Howitt, FORESTILLINGER (2007) von Per Fly und CLOUD ATLAS (2012) von Tom Tykwer, Andrew und Lana Wachowski. – Auch bei Lucia Krämer geht es um Effekte der Gleichzeitigkeit, hier in Form von Split Screen. Zu ihren Filmbeispielen gehören PILLOW TALK (1959) von Michael Gordon, REQUIEM FOR A DREAM (2002) von Darren Aronofsky und 127 HOURS (2010) von Danny Boyle. Genau analysiert wird von ihr der Film CONVERSATIONS WITH OTHER WOMEN (2005) von Hans Canosa, der durchgehend als Split Screen montiert ist. – Matthias Brütsch befasst sich mit dem Rückwärtserzählen in Film, Fernsehserie und Literatur. Zu seinen Beispielen gehören TWO FRIENDS (1986) von Jane Campion, IRRÉVERSIBLE (2002) von Gaspar Noé, 5 X 2 (2004) von François Ozon, THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON (2008) von David Fincher und die Fernsehserie STAR TRECK: VOYAGER (1995-2001). – Henry Keazors Beitrag ist eine kleine Typologie der (Film-)Zeit in Musikvideos. – Die Herausgeberin Stefanie Kreuzer beschäftigt sich mit filmischer Achronie, also dem Erzählen ohne chronologische Ordnung. Vier exemplarische Analysen sind den Filmen BEFORE THE RAIN (1994) von Milčo Mančevski, RECONSTRUCTION (2003) von Christoffer Boe, MULHOLLAND DRIVE (2001) von David Lynch und STAY (2005) von Marc Forster gewidmet.

Jörg Schweinitz eröffnet das dritte Kapitel mit einem Text über Federico Fellinis E LA NAVE VA (1983) und die ästhetische Eigenzeit des Films. Im Mittelpunkt steht hier die Anfangssequenz. – Bei Stefan Tetzlaff geht es um den Chronotopos der filmischen Zeitreise. Zu seinen Filmbeispielen gehören PLANET OF THE APES (1968) von Franklin J. Schaffner, BACK TO THE FUTURE III (1990) von Robert Zemeckis, TERMINATOR II (1991) von James Cameron, THE TIME MACHINE von George Pal (1960) und Simon Wells (2002). – Birk Weiberg schildert Zugänge der Bildenden Kunst zum Medium Film: „Zeit als Material“.

Das letzte Kapitel wird von Thomas Köhler eröffnet. Er befasst sich mit Zeitdarstellungen in Großstadtfilmen der 1920er Jahre. Dies sind seine Beispiele: MANHATTA (1921) von Charles Sheeler und Paul Strand, DIE STADT DER MILLIONEN (1925) von Adolf Trotz, RIEN QUES LES HEURES (1926) von Alberto Cavalcanti, BERLIN. DIE SINFONIE DER GROSSSTADT (1927) von Walther Ruttmann, MOSKVA (1927) von Mikhail Kaufman, CHEVOLEK S KINO-APPARATOM (1929) von Dziga Vertov und SAO PAULO, SINFONIA DA METRÓPOLE von Adalberto Kemeny und Rudolf Rex Lustig. – Andreas Becker, mit dem Werk von Yasujiro Ozu bestens vertraut, richtet seinen Blick auf die Zeit in Ozus Film TOKYO MONOGATARI (1953). Hier spielt auch der japanische Zeitbegriff eine Rolle. – Susanne Marschall befasst sich mit Zeit, Zeitlichkeit und Zeitstrukturen in der TV-Serie. Zu ihren Beispielen gehören BREAKING BAD, GAME OF THRONES, GREY’S ANATOMY, LORD OF THE RINGS, SIX FEET UNDER, TWIN PEAKS und THE WALKING DEAD.

Alle Beiträge haben ein hohes Niveau, sind wissenschaftlich fundiert und erfüllen den Anspruch eines Grundlagenwerkes. Zahlreiche Abbildungen in guter Qualität geben den Analysen eine konkrete Anschaulichkeit. Beim Lesen der Texte erinnert man sich an viele Filme, die das Spektrum erweitern und die Erkenntnisse vertiefen. Die bibliografischen Hinweise am Ende jedes Beitrags sind hilfreich, die filmografischen Angaben verlässlich. Die lange Arbeit an diesem Buch hat sich gelohnt, es ist ein Basiswerk zum Thema Filmzeit.

Coverabbildung aus dem Film HUGO (2011) von Martin Scorsese.

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