Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
2000
Filmbuch des Jahres

Peter Biskind
Easy Riders, Raging Bulls
Wie die SEX&DRUGS&ROCK’n’ROLL-Generation Hollywood rettete
Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Frankfurt 2000
852 S. (49,90 DM)
ISBN 3-8077-0208-3

Peter Biskind:
Easy Riders, Raging Bulls

Eine Handvoll wilder, kinobesessener Amerikaner verändert in den Siebzigern den Film: Robert Altman, Hal Ashby, Peter Bogdanovich, Francis Coppola, Peter Fonda, William Friedkin, Dennis Hopper, George Lucas, John Milius, Jack Nicholson, Bob Rafelson, Paul Schrader, Martin Scorsese, Steven Spielberg, alle zwischen 1935 und 1948 geboren, nur Altman ist ein Jahrzehnt älter. Aus einer perspektivlosen Produktionsfabrik machen sie eine erfolgreiche Phantasiemaschine: New Hollywood.

Peter Biskind, ehemals Chefredakteur der Zeitschrift „American Film“, mischt seriöse Produktionsgeschichte mit trivialem Klatsch. Der geschickt montiert Text basiert auf 400 Interviews, in denen die Gesprächspartner wenig verschwiegen haben. Dies ist ein „Film-sudelbuch“, wie es nur in Amerika entstehen kann, ein Spiegelkabinett, in dem man gelegentlich die Orientierung verliert, aber angesichts bizarrer und drastischer Details nie gelangweilt wird.

Die schönste Rezension hat Tobias Kniebe schon 1998 über die amerikanische Ausgabe in der Süddeutschen Zeitung geschrieben. Sie muss hier wenigstens auszugsweise zitiert werden:

„’Easy Riders, Raging Bulls’ ist ein Buch voller Leben, prall von Sex, Drugs und Rock’n’Roll, gegenseitigen Anklagen, zerbrochenen Freundschaften und Beziehungen, Zitaten für die Ewigkeit und Anekdoten zum Mitschreiben. Aber es handelt eben nicht nur von Klatsch. Es geht auch um die Liebe zu den Filmen und ihren Machern, um die Sehnsucht nach einer Zeit, wo solcher Wahnsinn überhaupt nur möglich war – und darum, welche Verluste die minutiös beschriebene Selbstzerstörung dieser Generation gebracht hat. Man kann nur staunen über die Kooperationsbereitschaft der Protagonisten, den schieren Aufwand der Recherche – mehr als 400 Interviews, darunter allein 15 Stunden mit Martin Scorsese. Was überraschende Fakten angeht, ersetzt dieses Werk mühelos eine halbe Filmbibliothek.

Die einzelnen Geschichten mögen wahr sein oder nicht – sie werden sich in einer Branche, die seit jeher die Legenden im Zweifelsfall immer über die Wahrheit stellt, nun kaum mehr aus der Welt schaffen lassen. Und es ändert auch nichts, wenn der Autor gewissenhaft vermerkt, daß die Betroffenen oftmals alles in Abrede stellen. Biskind zeigt Helden oder Monster, immer im Kampf für ein neues Kino: Der junge Warren Beatty, der dem vergreisten Jack Warner die Füße küßt, um das Geld für Bonnie und Clyde zu bekommen; der schon früh völlig abgedrehte Dennis Hopper, der sich am ersten Tag vor die Crew von Easy Rider stellt, um ein paar Dinge klarzustellen: ‚Es gibt nur eine kreative Person hier, und das bin ich. Ihr seid nur Hilfskräfte, Sklaven’; und der Möchtegern-Mogul Coppola, der einen epileptischen Anfall bekommt und zu einem Häufchen Elend kollabiert, als die Bosse von Paramount Brando für seine später Oscar-gekrönte Rolle in The Godfather zunächst ablehnen.

Es scheint, als habe Biskind immer noch ein Detail mehr auf Lager als andere Quellen: Wenn Peter Bogdanovich in seinem eigenen Buch beschreibt, wie er mit seiner Frau Polly Platt bei Howard Hawks zu Besuch ist, und der alte Haudegen väterlich-frauenverachtend verkün-det, Bogdanovich solle sich doch lieber ein junges Starlet suchen – dann erwähnt er auch, daß Hawks in diesem Moment ein besonders hübsches Starlet dabei hatte. Biskind aber weiß sogar, daß es sich bei diesem Starlet um Sherry Lansing handelte, die damals eine Nebenrolle in Rio Lobo spielte, heute aber selbst Chefin von Paramount und mit Sicherheit die mächtigste Frau Hollywoods ist. Diese kleine Szene sagt mehr als ein ganzer Essay über Sex, Macht und Feminismus – und der Autor gönnt sich den Luxus, sie in einem Nebensatz abzuhandeln. Das trägt zu dem schönen Gefühl bei, daß hier jeder selbst seine Entdeckun-gen machen kann.

Natürlich hat die ganze Industrie diese Geschichten sofort verschlun-gen. „Kein Buch hat in letzter Zeit in Hollywood mehr Aufsehen erregt als ,Easy Riders, Raging Bulls‘”, schrieb Variety-Chefredakteur Peter Bart an die Adresse von Biskind. „Diese Reaktionen, Peter, dürften Dir große Freude machen.” Ein bißchen gequält klingt diese Anerkennung, denn Bart kommt selbst in vielen Anekdoten vor, als junger Produzent bei Paramount. Er zieht die Fakten nicht in Zweifel, beharrt aber darauf, daß alles doch ganz anders war: Biskind habe die Begeisterung für das Neue, die Entdeckungsfreude und den Optimismus jener Zeit nicht richtig verstanden – und auch seine Auflistung endloser Drogen-exzesse gehe am Kern der Dinge vorbei. Was Drogen damals bedeutet hätten, könne man aus der nüchternen Sicht der neunziger Jahre einfach nicht mehr verstehen.

Biskind selbst hat eine andere Erklärung dafür, warum sein Werk nicht nur die Feier einer Epoche wurde, sondern auch ein Konvolut persön-licher Abrechnungen: „Viele der Befragten haben keine Macht mehr, sie haben nichts zu verlieren. Wenn Friedkin heute etwas Schreckliches über Bogdanovich sagt, passiert gar nichts.” Die Egomanen der Vergangenheit hätten außerdem nie die Technik gelernt, ein ganzes Gespräch mit Nichtigkeiten zu füllen, wie es heute üblich sei. Einige Betroffene, wie Scorsese, haben das Buch inzwischen als „bloßen Klatsch” abgetan. Die meisten halten sich jedoch bedeckt: Sie werden sich zunächst gedacht haben, daß dies die Gelegenheit sei, ein paar Dinge klar- und ein paar ehemalige Freunde bloßzustellen. Nun müssen sie lesen, daß die ehemaligen Freunde auf dieselbe Idee gekommen sind. Eines scheint jedenfalls klar: So offen wie hier wird wohl keiner mehr über diese Zeit reden – was das Buch von selbst zu einer Art Standardwerk macht.

Bei allen Differenzen sind sich Biskind, seine Opfer und seine Kritiker in einem Punkt doch einig: Die Siebziger waren eine Epoche der singu-lären Kreativität, ein Jahrzehnt voll absoluter Meisterwerke – bis mit Star Wars und den Folgen alles zerstört wurde. Was danach kam, gilt ihnen nur noch als kindischer Unsinn. Die Filme der Gegenwart? Formelhafter Actiondreck, zahme Independents, kein Lichtblick weit und breit. Das erinnert ein wenig an vierzigjährige Musikredakteure, deren Denken bei den Rolling Stones stehengeblieben ist. Natürlich hat jede Generation das Recht, ihre eigene Zeit zu verklären. Wenn man diese Zeit nicht selbst erlebt hat, versteht man aber die Verklärung auch nicht ganz – durch das einfache Betrachten der fraglichen Filme ist der Mythos nicht in jedem Fall zu halten. Im Diskurs über die Musik ist eine derart rückwärtsgewandte Haltung längst diskreditiert – in der Filmkritik regiert sie nahezu unreflektiert.

Auch das zeigt ‚Easy Riders, Raging Bulls’: Die Siebziger waren nicht nur das Jahrzehnt der Regiestars, sondern auch das der Kritiker. Allein anhand der New Yorker-Autorin Pauline Kael ließe sich veranschau-lichen, wie sie etliche Filme „gerettet” und etliche Regisseure schrei-bend erfunden hat. Biskind erklärt sehr gut, wie die Einführung von Fernsehwerbung und der Kult des Startwochenendes (seit dem „Weißen Hai”) eine ganze Schreiber-Zunft entmachtet hat – aber die offensicht-liche Schlußfolgerung zieht er nicht. Wenn alte (und auch junge) Filmautoren heute die siebziger Jahre zum verlorenen Traumjahrzehnt des Kinos erklären, dann gedenken sie nicht nur einer irre spannenden Zeit – sie gedenken vor allem der eigenen verlorenen Größe.

Süddeutsche Zeitung, 13. August 1998