Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
September 2012

Chris Wahl, Marco Abel, Jesko Jockenhövel, Michael Wedel (Hg.)
Im Angesicht des Fernsehens
Der Filmemacher Dominik Graf
edition text + kritik, München 2012
356 S, 26 €
ISBN 978-3-86916-204-1

Chris Wahl, Marco Abel, Jesko Jockenhövel, Michael Wedel (Hg.):
Im Angesicht des Fernsehens.
Der Filmemacher Dominik Graf

Eine Festschrift schon zum 60. Geburtstag ist ungewöhnlich. Aber Dominik Graf, der dieses Alter gerade erreicht hat, ist auch ein ungewöhnlicher Regisseur, und die Festschrift ist die erste umfassende Publikation über sein Werk, war also dringend notwendig. Vier Herausgeber hat der Verlag dafür aufgeboten. Und im Titel wird das Fernsehen in eine Analogie zum Verbrechen gebracht. Darüber muss man nachdenken.

Zunächst gibt es ein kurzes, sehr zugeneigtes „Geleitwort“ zu lesen, verfasst von dem Kollegen Christoph Hochhäusler, dann ein Vorwort der Herausgeber und ein Interview mit Dominik Graf von Marco Abel. Es folgen 15 Texte, in denen das Werk vielfältig aufgefächert wird. Dieses Werk besteht inzwischen aus 61 Filmen, und wenn auch die Fernseharbeiten deutlich dominieren, mischen sich immer wieder Kinofilme hinein, und auch in diesem Herbst wird er eine historische Dreiecksgeschichte fürs Kino realisieren.

Chris Wahl führt in einem längeren Text als Orientierungshilfe durch die wechselhafte Karriere von Graf zwischen Kino und Fernsehen und ist auch Autor der kommentierten Filmografie am Ende des Bandes. Judith Früh rekonstruiert die Zeit an der Münchner HFF. Jesko Jockenhövel geht der Darstellung deutsch-deutscher Gesellschafts-politik in den Graf-Filmen nach, wobei es in der Tat auffallend ist, wie intensiv sich dieser Regisseur auf den Osten des Landes einlässt (MORLOCK – DIE VERFLECHTUNG, 1993, DER ROTE KAKADU und EINE STADT WIRD ERPRESST, beide 2006). Felix Lenz widmet sich den Coming-of-Age-Filmen TREFFER (1993), DIE FREUNDE DER FREUNDE (2002), HOTTE IM PARADIES (2002) und DER ROTE KAKADU. Daniel Eschkötter schreibt über die Firmen-Familien-Melodramen BITTERE UNSCHULD (1999), DEINE BESTEN JAHRE (1999) und KALTER FRÜHLING (2004), Chris Wahl, der fleißigste Autor und dominierende Herausgeber des Bandes, entziffert stilistische Muster im Graf-Werk wie Off-Kommentar, Zwischenbilder und Freeze Frame. Laura Frahm analysiert die beiden Dokumentarfilme DAS WISPERN IM BERG DER DINGE (1997) und MÜNCHEN – GEHEIMNISSE EINER STADT (2000), die Graf zusammen mit Michael Althen gedreht hat. Einmal geht es um die Annäherung an den Vater, den früh verstorbenen Schauspieler Robert Graf, das andere Mal um die Geschichte der Heimatstadt. In beiden Fällen sind es die stilistischen Mittel, die in ihrer Subjektivität faszinieren und den Charakter der beiden speziellen Filmessays ausmachen. Einzelanalysen sind den Filmen BEI THEA (1988, Autor: Tobias Ebbrecht), DIE SIEGER (1994, Marco Abel), DER SKORPION (1997), DER WEG, DEN WIR NICHT ZUSAMMEN GEHEN (2009, Jaimey Fisher), IM ANGESICHT DES VERBRECHENS (2010, Brad Prager), DAS UNSICHTBARE MÄDCHEN (2011, Sarah Kordecki) und der Serie DER FAHNDER ((1985-93, Michaela Krützen) gewidmet. Verweise auf andere Graf-Filme werden immer wieder gegeben. Und es wird deutlich, wie vielfältig das Gesamtwerk ist, auch wenn Kriminalfilm und  Thriller als Genre dominieren.

Als Michael Althen und ich unsere „Paten“ für den Film AUGE IN AUGE suchten, stand Dominik ganz oben auf der Liste. Wir machten ihm Vorschläge aus dem deutschen Kanon, die er alle rigoros ablehnte. Sein radikaler Gegenvorschlag: ROCKER von Klaus Lemke, den wir nicht auf der Agenda hatten. Nicht „groß“ sollte sein Patenfilm sein, sondern authentisch im Milieu und sprachlich ein Dokument seiner Zeit. Genau diesen Anspruch hat Dominik in unseren Film eingebracht und damit seinen ganz eigenen Akzent gesetzt, der vielleicht auch seine eigenen Filme charakterisiert.

Was ich persönlich sehr bewundere an Dominik, ist seine Haltung als Rezensent internationaler Filme. Wenn er über DVDs schreibt, ist dies nie ein vorsichtig abwägender Text, sondern immer ein Bekenntnis, eine aktivierende Erinnerung, eine Entdeckung für die Gegenwart. So sollte man heute auch an die Edition seiner Texte erinnern, die, herausgegeben und eingeleitet von Michael Althen, im Herbst 2009 im Alexander Verlag erschienen ist. (Filmbuch des Monats März 2010: texte-zum-film/)