Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Februar 2014

Stephen Farthing & Ed Webb-Ingall (Hg.)
Derek Jarman
Die Skizzenbücher
Deutscher Kunstverlag, Berlin 2013
256 S., 48,00 €
ISBN: 978-3-422-07200-8

Stephen Farthing & Ed Webb-Ingall (Hg.):
Derek Jarman.
Die Skizzenbücher

Derek Jarman, geboren 1942, war Maler, Schriftsteller, Filmemacher, Gärtner, bekennender Schwuler und engagierter Denker im England der 1970er, 80er und frühen 90er Jahre. Er starb  vor zwanzig Jahren, im Februar 1994, an den Folgen von AIDS. In rund dreißig Skizzenbüchern hat er wie in einem chaotischen Tagebuch alles fixiert, was ihm für seine Arbeit (und sein Leben) wichtig war: kurze Texte, Dialoge, Ideen, Skizzen, Zeichnungen (manchmal haben sie die Form von Storyboards), Zeitungsausschnitte, Fotos (oft sind es Polaroids), Blumen, Gedankensplitter. In einer komprimierten Form sind diese Skizzenbücher jetzt publiziert worden und öffnen uns noch einmal den Blick in die kreative Gedankenwelt des großen Künstlers. Herausgegeben von Stephen Farthing und Ed Webb-Ingall. Mit einem Vorwort von Tilda Swinton und einem Epitaph seines Lebensgefährten Keith Collins. Im Deutschen Kunstverlag.

Derek Jarman hat ein umfängliches Werk hinterlassen: 13 lange Filme, an die hundert Kurzfilme, zwanzig Musikvideos und viele Bilder. Er hat experimentiert, „intuitiv“ gearbeitet (wie er selbst sagte) und die Geduld der Zuschauer oft herausgefordert; es wurden ihm Kitsch, Pathos und plakative Momente vorgeworfen. Aber seine Anhänger haben ihn immer mit Verve verteidigt. Ihre Zuneigung steigerte sich noch in seinen letzten Jahren, als er, am Ende erblindet, in den von ihm ersehnten Tod ging. Er hatte ein kleines Cottage in Dunganess (Kent) erworben und dort einen sehr speziellen Garten eingerichtet, der zum Symbol wurde. In den Skizzenbüchern sind viele Lebensstationen dokumentiert.

Sechs Kapitel strukturieren das Buch: „Frühe Filmexperimente 1964-1977“ (mit einem längeren Kommentar des Performance-Künstlers, Bildhauers und Schmuckkünstlers Andrew Logan). Von JUBILEE bis THE ANGELIC CONVERSATION 1978-1985 (Kommentar: Toyah Willcox, Schauspielerin und Musikerin). CARAVAGGIO 1986. (Christopher Hobbs, Bühnenbildner). THE LAST OF ENGLAND bis WAR REQUIEM 1987-1989 (James MacKay, Produzent). THE GARDEN 1987-1990 (Howard Sooley, Fotograf). EDWARD II bis GLITTERBUG 1991-1994 (Neil Tennant, Musiker). Die Kommentare sind aus einem persönlichen Bezug geschrieben, sie geben aufschlussreiche Hinweise auf zeitliche und künstlerische Kontexte. Kleine Seitenkommentare, oft von Keith Collins, sind hilfreich, lassen aber den Texten und Bildern ihre persönlichen Geheimnisse. Jarmans Handschrift ist relativ gut lesbar, oft schimmert unter der Tinte noch der erste Bleistiftentwurf durch.

Bewundernswert ist dabei die drucktechnische Qualität des Buches, nicht nur in der Brillanz und den Farbvarianten, sondern auch in der fast dreidimensionalen Wirkung, wenn mehre Ebenen von Bild und Schrift übereinander liegen. Man kann sich die Originale, die in der „Derek Jarman Special Collection“ des BFI National Archive verwahrt sind, sehr gut vorstellen, auch wenn man gern einmal einen Blick hinein werfen würde.

Michael Althen hat am 22. Februar 1994 in der Süddeutschen Zeitung einen Nachruf auf Derek Jarman geschrieben, aus dem ich mit Bewunderung zitiere: „Die Farben waren Jarmans Welt. In ihnen hat er das südliche Licht eingefangen, das durch seine frühen Arbeiten fällt. In ihnen hat er gebadet, wenn ihn die Finsternis in Thatchers England zu verschlucken drohte. In ihnen hat er jene Offenheit gefunden, die sich jeder Definition entzieht. Direkt vor BLUE hat Jarman WITTGENSTEIN gedreht, einen Film über jenen Philosophen, der über die Farben gehörig ins Grübeln gekommen ist: Weil man nie wissen kann, ob zwei, die ‚rot’ sagen, auch dasselbe meinen. So hat Jarman sich in dem Denker gespiegelt, der wie er selbst das Kino und die Männer liebte, hat ihn mit bunten Paradiesvögeln umgeben und ihn, vor schwarzem Hintergrund, in einen Kosmos aus Farbe getaucht. (…) In der Tat waren seine Talente vielfältig genug, um ihn als Wanderer zwischen den Künsten überall eine Bleibe finden zu lassen. Seine Filme waren deshalb stets auch Reflexionen über das Verhältnis zwischen dem Kino und den anderen Künsten: der Malerei in CARAVAGGIO, der Oper in WAR REQUIEM, der Philosophie in WITTGENSTEIN oder der Literatur in EDWARD II. Am liebsten setzte er jedoch zugleich alles zueinander in Beziehung, in einem ständigen Wechsel zwischen Stilisierung und Zärtlichkeit. (…) Indem er sein Sterben zum Kunstwerk gemacht hat, hat er dem Leben ein Denkmal gesetzt. Den Märtyrer hat er dabei für niemanden gespielt. Aber für einen Heiligen hätte es schon gereicht. Wie bei Pasolini oder Harvey Milk oder Caravaggio. Der letzte Satz seines autobiographischen Buches ‚Auf eigene Gefahr’ lautet: ‚I am in Love.’ Woran man vor allem sieht, daß er sich in seinem Zorn über die Selbstgerechtigkeit der britischen Öffentlichkeit nie vom rechten Weg hat abbringen lassen. Sein Werk erzählte immer wieder von der Liebe. Das war am Anfang so, und das blieb bis zum Ende so.“ (voll-ständiger Text: http://michaelalthen.de/personen/jarman-derek/ )

Die Skizzenbücher dokumentieren ein Künstlerleben. Es ist schön, dass sie jetzt, zwanzig Jahre nach Derek Jarmans Tod, erschienen sind.