Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Juni 2014

Johannes Wende
Der Tod im Spielfilm
Eine exemplarische Analyse
Verlag edition text + kritik, München 2014
414 S., 39,00 €
ISBN 978-3-86916-336-9

Johannes Wende:
Der Tod im Spielfilm

Im Kino, auf der Leinwand, wird viel gestorben. Im Kriegsfilm, im Kriminalfilm, im Western, im Melodram und gelegentlich auch in der Komödie. Über den Tod im Film ist häufig geschrieben worden, aber noch nie so grundlegend wie von Johannes Wende in seiner Dissertation, die jetzt bei edition text + kritik publiziert wurde. Natürlich sind uns viele Filmtode in Erinnerung: ihre effektvollen Inszenierungen, ihre dramaturgischen Folgen, ihre Herausforderungen für die Schauspielerinnen und Schauspieler, ihre Wirkungen auf uns, die Zuschauer. Der Autor erweitert unser Spektrum, liefert historische Hintergründe und konzentriert sich dabei auf eine exemplarische Auswahl, die den internationalen, vorzugsweise den amerikanischen und westeuropäischen Kinospielfilm in den Mittelpunkt stellt. Selbstverständlich erfüllt das Buch wissenschaftliche Ansprüche, aber es ist mit seinen konkreten Beschreibungen von Figuren und Szenen gut zu lesen und verliert sich nicht in einem theoretischen Nirgendwo.

Der Autor gliedert seinen umfänglichen Stoff in vier Kapitel. 1. Der personifizierte Tod im Spielfilm. 2. Die Toten im Spielfilm. 3. Der Tod in der Dramaturgie. 4. Die Darstellung des Sterbens im Film. Als Einstieg ins Thema erweisen sich die Überlegungen zur Personifizierung des Todes als erstaunlich originell. Natürlich fallen einem sofort DER MÜDE TOD von Fritz Lang, FÄHRMANN MARIA von Frank Wisbar, DAS SIEBENTE SIEGEL von Ingmar Bergman ein, in denen der Tod als Person wirklich eine Hauptrolle spielt. Oder wir denken an die kurzen Auftritte des „Sensenmannes“ in METROPOLIS von Fritz Lang oder DECONSTRUCTING HARRY von Woody Allen. Wende erinnert an rund fünfzig Tod-Figuren und konzentriert sich für seine Analysen vor allem auf ORPHÉE von Jean Cocteau (hier haben wird es mit einer „Tödin“ zu tun), auf den Bergman-Film, MONTY PYTHON’S THE MEANING OF LIFE von Terry Jones, TERMINATOR 2: JUDGEMENT DAY von James Cameron, MEET JOE BLACK von Martin Brest, CLICK von Frank Corazi, NO COUNTRY FOR OLD MEN von den Coen Bros. und die Filme der FINAL DESTINATION-Reihe, in denen der Tod allerdings keine „menschliche“ Figur annimmt. Wende untersucht u.a. die allegorische Herkunft der Tode, ihre Selbstidentifikation, ihre Kleidung, ihre dramaturgische Funktion. Eine kleine Retrospektive der Filme mit einer Personifikation des Todes würde sich anbieten.

Im zweiten Kapitel geht es um die Toten (und die Untoten) im Film. Ausgangspunkt sind die beiden Filme BEETLEJUICE von Tim Burton und LOS OTROS – THE OTHERS von Alejandro Amenábar, in denen Lebende und Tote zusammen auskommen müssen. Natürlich werden auch die Zombiefilme ins Spiel gebracht, angeführt von THE NIGHT OF THE LIVING DEATH von George A. Romero bis hin zu 28 DAYS LATER von Danny Boyle. Auch der Tote als Verdrängungsfigur (Beispiel: THE SHINING von Stanley Kubrick), die Leiche als Objekt (ROPE, Alfred Hitchcock) und der tote Geliebte (BIRTH, Jonathan Glazer) werden von Wende klug analysiert. Hier kommen logischerweise auch Aspekte der Psychoanalyse zur Sprache.

Im dritten Kapitel wird die „Dramaturgie“ thematisiert. Welche Bedeutung hat das Sterben für den Plot? Was unterscheidet es von einer bloßen Trennung oder einem Verschwinden? Als Einstieg dient der Film BIG FISH von Tim Burton, der den Übergang des Vaters vom Leben zum Tod als kleine Reise darstellt und damit den Sohn von seinem größten Antagonisten befreit. Als Musterbeispiele für die Bedeutung des Todes in der Filmdramaturgie dienen Wende u. a. die Filme LE FEU FOLLET von Louis Malle, DER ZUFALL MÖGLICHWEISE von Krzystof Kieslowski, LOLA RENNT von Tom Tykwer, SONGS FROM THE SECOND FLOOR von Roy Andersson und DEAD MAN von Tim Burton. Querverweise auf andere Filme sind selbstverständlich. Ab und an kommt auch die wissenschaftliche Literatur ins Spiel. Aber die 750 Zitate sind keine Hürden im Text, sondern gut eingearbeitete Erkenntnisse anderer Autoren, auf die verwiesen wird.

Das vierte Kapitel – „Die Darstellung des Sterbens im Film“ – empfand der Autor als größte Herausforderung, denn er wollte nicht die unterschiedlichen physikalisch-biologischen Ausprägungen des Sterbens in ihren formalen Differenzen beschreiben, zumal das Sterben in vielen Fällen selbst nicht fotografisch-konkret darstellbar ist. So konzentriert er sich auf mediale Unterschiede, zum Beispiel auf Stillstand und Bewegung, auf visuelle und akustische Synchronitäten, auch auf ein „Diesseits und Jenseits des Bildkaders“. Seine Filmbeispiele sind u. a. TROPIC THUNDER von Ben Stiller, PLATOON von Oliver Stone, COOKIE’S FORTUNE von Robert Altman, THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE von John Ford, LEAVING LAS VEGAS von Mike Figgis, THE THIRD MAN von Carol Reed, IKIRU von Akira Kurosawa. In kleinen Exkursen zieht Wende Parallelen zur Malerei. Das bereichert das analytische Spektrum.

Was mir an Johannes Wendes Buch gefällt, sind die weiten Horizonte und die konkreten Beschreibungen, die sensiblen Beobachtungen und die vielen Hinweise, die persönliche Erinnerungen auslösen. Er hat sich ein schwieriges Thema für seine Dissertation ausgewählt und nimmt seine Leser auf eine Reise mit ins Land zwischen Diesseits und Jenseits. Er vermeidet dabei alle nahe liegenden Effekte, reflektiert, wo es notwendig ist, und ist spürbar nicht nur im Film sondern auch in der Literatur zuhause. In seiner kurzen Danksagung, ganz am Ende des Buches, steht der schöne Satz „Danke für ein Elternhaus voller Bücher.“

Johannes Wende (*1978) hat an der Ludwig-Maximilian-Universität, an der Hochschule für Fernsehen und Film und an der Akademie der Bildenden Künste in München studiert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der von mir sehr geschätzten Michaela Krützen an der HFF. Ich freue mich auf künftige Texte und Bücher von ihm.

Titelbild: aus AMERICAN BEAUTY (1999). Mehr zum Buch: U4ekDxyWGT0