Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
November 2016

Gundolf S. Freyermuth/Lisa Gotto (Hg.)
Der Televisionär
Wolfgang Menges transmediales Werk
Bielefeld: Transcript 2016
772 S., 69,99 €
ISBN: 978-3-8376-3178-4

Gundolf S. Freyermuth/Lisa Gotto (Hg.):
Der Televisionär.
Wolfgang Menges transmediales Werk

Er arbeitete zunächst als Journalist, dann als Drehbuchautor und später auch als Talkmaster. Mit seinen Drehbüchern zu den Fernsehspielen DAS MILLIONEN­SPIEL (1970) und SMOG (1973) und zu den Serien STAHLNETZ (1958-1968) und EIN HERZ UND EINE SEELE (1973-1976) hat er bundesdeutsche Fernseh­geschichte geschrieben. Auch zu einigen Kinofilmen hat er die Drehbücher verfasst. Wolfgang Menge (1924-2012) hat ein großes Werk hinterlassen. Es wird in einem beeindruckenden Buch gewürdigt, das Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto herausgegeben haben.

Ein schöner Titel: „Der Televisionär“. Mehrfach hat sich Wolfgang Menge auf seine eigenwillige Art mit der Zukunft beschäftigt und Entwicklungen voraus­geahnt, die später zur Realität wurden. Er war kreativ und fleißig; sein Name war mit einem Beruf verbunden, mit dem man eigentlich nicht populär wird: Drehbuchautor. „Fragmente einer bundesdeutschen Medienbiographie“ nennt Gundolf S. Freyermuth seinen 200-Seiten-Text im Untertitel. Es geht um „Authentizität und Autorschaft“. Seine spezielle Fähigkeiten und auch manche Zufälle haben Menge auf seinem Lebensweg begleitet und – mit seinem klaren Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse – zu all den Ideen verholfen, die er zu Papier gebracht hat und die dann von Regisseuren realisiert wurden. Freyermuth beschreibt damit auch den Aufbruch, die große Zeit und den Niedergang des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in der Bundesrepublik.

Im zweiten Teil des Buches – „Kritische Perspektiven“ – werden in acht Essays Wolfgang Menges Tätigkeiten für die einzelnen Medien untersucht. Barbara Naumann beschäftigt sich mit den Büchern, die Menge geschrieben hat, u.a. mit dem Theaterstück „Zeitvertreib“ (1962) und dem Kochbuch „Ganz einfach – chinesisch“ (1968), und macht sich Gedanken über den Leser Menge, der sich selten über seine Literaturvorlieben geäußert hat. Ein Blick in seine Bibliothek ist ihr dabei hilfreich. Wolfgang Hagen erinnert an die Hörfunkanfänge von Wolfgang Menge, speziell an die Serie „Hallo Nachbarn. Eine Sendung mit Adrian und Alexander“, NWDR 1951ff.). Ivo Ritzer richtet den Blick auf zwei Filmdrehbücher von Wolfgang Menge: DER ROTE KREIS (1960) und DER GRÜNE BOGEN­SCHÜTZE (1961). Das waren Edgar Wallace-Adaptionen, die Jürgen Roland für Rialto Film realisiert hat. Zwei Beiträge widmen sich Menges „großen“ Fernseh­spielen: Lisa Gotto analysiert sehr beeindruckend DIE DUBROW-KRISE (1969; Regie: Eberhard Itzenplitz), DAS MILLIONENSPIEL (1970; R: Tom Toelle) und SMOG (1973, R: Wolfgang Petersen). Bei Klaudia Wick geht es um Menges Reality-Fernsehen; sie schlägt den großen Bogen von der „Familie Schölermann“ (1954) bis zu dem Biopic KELLY BASTIAN – GESCHICHTE EINER HOFFNUNG (2001), das Andreas Kleinert nach einem Drehbuch von Menge gedreht hat und von dem sich der Autor nach der Ausstrahlung entschieden distanzierte. Lorenz Engell entdeckt in der Serie EIN HERZ UND EINE SEELE viele Elemente eines experimentellen Fernsehens. Stefan Münker und Jens Ruchatz widmen sich in zwei Texten dem Talkmaster Wolfgang Menge in der Reihe „III nach 9“.

Der dritte Teil – „Dokumentarische Perspektiven“ – ist eine Montage von 24 Texten von und über Wolfgang Menge. Hier findet man u.a. seinen Reisebericht „Land des müden Lächelns“ (1957), das Hörspiel „Das Wiedersehen“, eine Folge der Radioserie „Hallo Nachbarn“, einen Auszug aus dem Theaterstück „Zeit­vertreib“ und Friedrich Lufts Kritik der Aufführung (1962), Menges Antworten auf den FAZ-Fragebogen (1981), seine Dankesreden zum Grimme-Preis (1987) und zum Schiller-Preis (2000) und ein Protokoll des Gesprächs mit Günter Gaus (2004). Über Wolfgang Menge sprechen u.a. Günter Rohrbach, Gunther Witte und Gisela Marx, schreiben u.a. Marlies Menge, Hermann Schreiber, Gottfried Boettger, Michael Schmid-Ospach, Regine Sylvester und Hans Janke („Das letzte Foto. Zum Tod von Wolfgang Menge“).

Carmen Schneidereit hat für den Anhang ein Werkverzeichnis zusammengestellt (rund 60 Seiten).

Bei der Lektüre dieses Buches wird einem noch einmal klar, wie facettenreich das Leben und Werk von Wolfgang Menge war. Die Herausgeber nennen es im Untertitel „transmedial“. Es führt uns durch die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Auch kritische Stimmen kommen in diesem Band zu Wort, die sich aber mit Respekt äußern und zur Differenzierung beitragen.

Das Herausgeber-Duo ist ein Glücksfall. Gundolf S. Freyermuth hat das Cologne Game Lab der Technischen Hochschule Köln gegründet, war zuvor Professor für Angewandte Medienwissenschaft an der ifs (internationale filmschule köln), hat Erfahrungen als Drehbuchautor und kennt die internationale Medienszene. Lisa Gotto ist Professorin für Filmgeschichte und Filmanalyse an der ifs, war zuvor wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar und der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Beide haben im April 2014 – am 90. Geburtstag von Wolfgang Menge – in Köln eine Forschungskonferenz organisiert, die zum Ausgangspunkt dieser Publikation wurde.

Der Band enthält viele, zum Teil farbige Abbildungen. Mit dem Coverfoto (Leucht­reklame am Berliner Kurfürstendamm für die SFB-Talkshow „Leute“, Winter 1983) bin ich nicht ganz glücklich, es ist mir zu diffus.

Auch wenn dies im Kern kein „Filmbuch“ ist, habe ich es zu meinem Monatsbuch gemacht, weil ich es für einen wichtigen Beitrag zur Medienliteratur halte, die ich ja insgesamt kritisch im Auge behalte.

Mehr zum Buch: www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3178-4/der-televisionaer