Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
August 2021

1. Kayo Adachi-Rabe
Der japanische Film
München, edition text + kritik 2021
126 S., 19,00 €
ISBN: 978-3-96707-478-9
2. Wolfgang Jacobsen
Der Film im Nationalsozialismus
München, edition text + kritik 2021
132 S., 19,00 €
ISBN: 978-3-96707-528-1

Kayo Adachi-Rabe / Wolfgang Jacobsen:
Der japanische Film / Film im Nationalsozialismus

„Filmgeschichte kompakt“ heißt eine neue Buchreihe des Verlages edition text + kritik. Jeder Band ist der Filmgeschichte eines Landes oder einem ­nationalen Spezialthema gewidmet. Kayo Adachi-Rabe führt uns durch die Geschichte des japanischen Films, Wolfgang Jacobsen kommentiert den Film im Nationalsozialismus. Beide Bände haben exemplarische Qualitäten.

Die Vielfalt der Genres und die eigenständigen Entwicklungen des Films in Japan sind beeindruckend. Adachi-Rabe erzählt den histori-schen Prozess in 15 Kapiteln, beginnend mit dokumentarischen und experimentellen Anfängen um die Jahrhundertwende, endend mit der Phase zwischen 2010 und 2021. Im Blickpunkt stehen vor allem die Regisseure (und einige wenige Regisseurinnen), die für die Filme des Landes wichtig waren. Die politischen Hintergründe werden vermittelt, die technischen Entwicklungen nicht ausgespart. So fand der Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm erst Mitte der 1930er Jahre statt, also sehr viel später als in den USA und Europa. Kenji Mizoguchi und Yasujiro Ozu drehten ihre ersten Filme stumm in den 20er Jahren.

Die Kriegszeit dauerte von 1937 bis 1945, sie war geprägt von Propa-gandafilmen, aber auch zur Unterhaltung wurde beigetragen. Unge-wöhnlich war 1943 DER RIKSCHAMANN von Hiroshi Inagaki, und Akira Kurosawa drehte in diesem Jahr seinen ersten Film: JUDO SAGA – DIE LEGENDE VOM GROSSEN JUDO.  Die 1950er Jahre entwickel-ten sich zu einem Goldenen Zeitalter für den japanischen Film, der auf den internationalen Festivals mit Werken von Kurosawa, Mizuguchi, Ozu, von Mikio Naruse, Keisuke Kinoshita und Kon Ichikawa sehr präsent war. Parallel etablierte sich in Japan das Genrekino mit Horror- und Science-Fiction-Filmen.

Nagisa Oshima war in den 1960er Jahren der Initiator der japanischen Nouvelle Vague, zu der u.a. Shohei Imamura und Kaneto Shindo gehörten. Gleichzeitig gab es eine Nouvelle Vague der Kunstavant-garde. Auch wenn der Kinofilm gegenüber dem Fernsehen an Bedeu-tung verlor, wurden weiterhin Unterhaltungsfilme gedreht, und es kam Nachwuchs von den Filmhochschulen. Kurosawa drehte mit auslän-discher Unterstützung bis in die 1990er Jahre. In dieser Zeit begann die Karriere von Takeshi Kitano, der mit seinem Film HANA-BI 1997 den Goldenen Löwen in Venedig gewann. Die Diversität der Filme vergrößerte sich, die internationale Wahrnehmung hat nicht nach-gelassen, neue Namen wie Shinji Aoyama, Hirokazu Koreeda, Kazuyoshi Kumakiri oder Koji Fukada stehen im Kanon des japani-schen Films der vergangenen zwanzig Jahre, den die Autorin im Anhang ihres Buches präsentiert.

Ihre kurzen Regisseursporträts, ihre Filmbeschreibungen und die Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung ver-binden sich zu einer kompakten Geschichte des japanischen Films, die höchst lesenswert ist. Sie erfüllt alle Ansprüche der neuen Reihe. Ein Personenregister erschließt den Text. Die Abbildungen haben eine akzeptable Qualität.

Coverabbildung: JOURNEY TO THE SHORE (2015) von Kiyoshi Kurosawa.

Der Blick von Wolfgang Jacobsen auf den Film des Nationalsozialismus ist nicht chronologisch ausgerichtet, sondern thematisch fokussiert. So werden verschiedene Genres in ausgewählten Beispielen dargestellt und mit den ideologischen Vorgaben in Verbindung gebracht. Ein längeres Kapitel, „Kapriolen – Lenkung“, ist dem Unterhaltungsfilm gewidmet. Hier werden die Verfilmungen der Romane von Heinrich Spoerl, „Die Feuerzangenbowle“, „Wenn wir alle Engel wären“ und „Quax der Bruchpilot“, alle mit Heinz Rühmann, KAPRIOLEN von und mit Gustaf Gründgens, ICH BRAUCHE DICH und FASCHING von Hans Schweikart, AMPHITRYON von Reinhold Schünzel auf differen-zierte Weise analysiert.

Eigene Kapitel behandeln den Arztfilm (ROBERT KOCH, ICH KLAGE AN), den Künstlerfilm (REMBRANDT, FRIEDEMANN BACH, WEN DIE GÖTTER LIEBEN), den historischen Film (DER CHORAL VON LEUTHEN, DER GROSSE KÖNIG, OHM KRÜGER, KOLBERG). Vier Kapitel befassen sich mit der Wochenschau, dem Wechsel der Film-kritik zur „Filmbetrachtung“, Leni Riefenstahls Parteitagsfilm TRI-UMPH DES WILLENS, den anti-semitischen Propagandafilmen DIE ROTHSCHILDS, DER EWIGE JUDE und JUD SÜSS. Erinnert wird auch an wichtige Regisseure, zum Beispiel Carl Froelich, Veit Harlan, Helmut Käutner, Gerhard Lamprecht, Wolfgang Liebeneiner, Detlef Sierck, Hans Steinhoff, die auf unterschiedliche Weise mit den Nazis kooperierten oder eigene Wege zu gehen versuchten.

Detailliert werden in den ersten Kapiteln – „Anspruch/Einstimmung, Stimmungsmache/Deformation, Verordnungen/Strukturen, Finanzen/ Verstaatlichung“ – die ideologischen Vorgaben durch Adolf Hitler und seinem Propagandaminister Joseph Goebbels dargestellt. Im Einlei-tungskapitel dient der Film HEIMKEHR INS GLÜCK von Carl Boese als Übergang von einem alten System in ein neues. Im Schlusskapitel werden wir mit Wim Wenders und seinem Film FALSCHE BEWE-GUNG  aus der zwölfjährigen Phase des NS-Films verabschiedet.

In den gesamten Text sind längere Zitate zeitgenössischer Kommentare eingefügt, die aus der Perspektive von Exilanten oder in Deutschland Untergetauchten zu Sachverhalten und Filmen Stellung beziehen. Sie stammen von Antoni Graf Sobanski, Curt Siodmak, Hanns Brodnitz, Manfred George, Thomas Mann, Klaus Mann, Ruth Andreas-Friedrich, Victor Klemperer, Lion Feuchtwanger, Carl Zuckmayer, Hans Sahl, Ruth Klüger. Kurzbiografien der Genannten sind im Anhang zu lesen.

Natürlich verfügt Wolfgang Jacobsen über eine genaue Kenntnis der einschlägigen Literatur zum NS-Film, die an den entsprechenden Stellen auch zitiert wird. Dennoch ist sein Blick subjektiv, er entdeckt neue Zusammenhänge und erweitert unsere Erkenntnisse über eine Zeit, die uns immer wieder beschäftigen muss.

Einen „Kanon des nationalsozialistischen Films“ versagt sich der Autor, er verweist auf wichtige Filme, die als DVDs vorliegen. Ein Personen-register erschließt den Band. Auf Abbildungen wurde verzichtet.

Coverabbildung: Ufa-Theater am Kurfürstendamm 1939 mit Werbung für den Film EIN HOFFNUNGSLOSER FALL von Erich Engel.

Der dritte Band der Reihe erscheint im Dezember: „Der chinesische Film“ von Stefan Kramer.