Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Dezember 2011

Paul Duncan/Barbara Peiró (Hg.)
Das Pedro Almodóvar Archiv
Taschen Verlag, Köln 2011
410 S., 150 €
ISBN 978-3-8365-0282-5

Paul Duncan/Barbara Peiró (Hg.):
Das Pedro Almodóvar Archiv

Nach Ingmar Bergman und Stanley Kubrick öffnet der Taschen Verlag zum dritten Mal die Tür zum Archiv eines großen Filmkünstlers. Im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern ist Pedro Almodóvar (* 1949)  gottlob noch am Leben und auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Der Spanier hat bisher 18 Filme gedreht. Sein neuester mit dem deutschen Titel DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE hatte leider nicht den erhofften Erfolg. Bisher sahen ihn in Deutschland nur knapp 100.000 Zuschauer. Das ist für Almodóvar-Fans enttäuschend und schwer zu verstehen. Für sie ist das vorliegende Buch aber ein großes Geschenk, auch wenn sie dafür tief in die Tasche greifen müssen.

Damit alle wissen, wovon hier die Rede ist – das waren die bisherigen Almodóvar-Filme, ich nenne, der Einfachheit halber, die deutschen Titel (die Originaltitel stehen unter P.S.): PEPI, LUCI, BOM UND DER REST DER BANDE (1980), ein Punkfilm, sein Debüt. – LABYRINTH DER ERINNERUNGEN (1982), eine etwas überdrehte Komödie aus dem Homosexuellen- und Rockmilieu, mit Antonio Banderas. – DAS KLOSTER ZUM HEILIGEN WAHNSINN (1983), eine ziemlich gequälte Komödie, bei der es um Drogen und Religion geht. – WOMIT HABE ICH DAS VERDIENT? (1984), eine Mixtur aus Komödie und Melodram mit Carmen Maura in der Hauptrolle und musikalischen Verweisen auf Zarah Leander. – MATADOR (1985), auch der fünfte Film von Almodóvar ist noch auf der Suche nach einer eigenen Form. Es geht um sadomasochistische Beziehungen zwischen einem Stierkämpfer und einer Rechtsanwältin, irgendwo dazwischen steht Antonio Banderas in der Sehnsucht nach einer Existenzfindung. – DAS GESETZ DER BEGIERDE (1986) erzählt vom Kuddelmuddel in einem Dreiecksverhältnis zwischen drei Männern, von denen einer nach einer Geschlechtsumwandlung zur Frau wurde. Wie geschaffen für einen Teddy-Award bei der Berlinale. Almodóvars erster Film mit deutschem Verleih. – FRAUEN AM RANDE DES NERVENZUSAMMENBRUCHS (1987), der erste internationale Erfolg, eine schrille Farce mit Carmen Maura und Antonio Banderas, die einen eigenwilligen Zusammenhang zwischen Filmwelt und Terrorismus herstellt. – FESSLE MICH! (1990), die Geschichte eines Kidnappings aus Liebe mit Victoria Abril und Antonio Banderas, im Berlinale-Wettbewerb, ohne Preis. – HIGH HEELS (1991), Melodram einer Mutter-Tochter-Beziehung (Marisa Paredes/Victoria Abril), in dem die Mutter sich am Ende für die Tochter opfert. – KIKA (1993), eine medienkritische Satire mit Verónica Forqué, Peter Coyote und Victoria Abril, in der die Kosmetikerin Kika eine undurchsichtige Rolle spielt. – MEIN BLÜHENDES GEHEIMNIS (1995), die Geschichte einer Schriftstellerin (Marisa Paredes), die keine Kitschromane mehr schreiben kann und mit einem Ghostwriter die Rollen tauscht. – LIVE FLESH (1997), basierend auf einem Roman von Ruth Rendell, eine Hommage an Luis Bunuel, ein Kriminalmelo aus der Zeit zwischen 1970 und 1996, mit Penelope Cruz, Liberto Rabal und Francsca Neri. – ALLES ÜBER MEINE MUTTER (1999), der erste unumstrittene internationale Erfolg, ein Mutter-Vater-Sohn-Melo, angesiedelt im Transvestiten-Milieu Barcelonas, mit Verweisen aus Douglas Sirk. Regie-Preis in Cannes, Europäischer Filmpreis, Golden Globe und Oscar als bester fremdsprachiger Film. – SPRICH MIT IHR (2002) ein Melodram zwischen Ballettschule und Krankenhaus, Gefängnis und Theater, mit Javier Cámara, Marco Zuluaga, Leonor Watling und Rosario Flores. Golden Globe und Europäischer Filmpreis. – SCHLECHTE ERZIEHUNG (2004), eine Vergangenheitserkundung, spielt im Internats- und im Filmmilieu, wird erzählt auf drei Zeitebenen, mit Gael Garcia Bernal und Fele Martinez. –

VOLVER (2006), ein raffiniert verknüpftes Frauenmelodram mit Penélope Cruz, Carmen Maura, Lola Duenas und Blanca Portilla; Drehbuchpreis in Cannes, Europäischer Filmpreis (Regie) Einer meiner Lieblingsfilme. – ZERRISSENE UMARMUNGEN (2009), die Geschichte einer Schauspielerin (Penélope Cruz), erzählt als Melodram, Film Noir und Komödie. – DIE HAUT IN DER ICH WOHNE (2011), ein melodramatischer Thriller, mit Horror-Elementen kühl inszeniert. Man sollte hier unbedingt die wunderbare Kritik von Fritz Göttler lesen, die den Film in einen größeren Zusammenhang stellt: www.sueddeutsche.de/kultur/im-kino-die-haut-in-der-ich-wohne-vom-design-der-begierde-1.1168094.

Alle genannten Filme werden im Almodóvar-Archiv umfänglich dokumentiert, mit Fotos, Texten, Plakaten. Der Regisseur selbst hat intensiv mitgearbeitet, er kommentiert in Interviews oder eigenständigen Texten sein Werk. Hinzu kommen Texte von Vicente Molina Foix, Gustavo Martin Garzo, Elvira Lindo, Juan Jos´r Millás und Angel Fernández-Santos. Von Thierry Frémaux stammt ein kurzes, sympathisches Vorwort.

Was man vermisst, sind Arbeitsmaterialien: Kostümentwürfe, Story-boards, Szenenbilder. Als ob der Regisseur Almodóvar nicht hinter die Kulissen blicken lassen möchte. Er erzählt lieber über die Arbeit mit seinen Schauspielerinnen und Schauspielern.

Was auffällt, sind die Farben, ist vor allem die spezifische Röte des Rots von Almodovar, über die schon vor neun Jahren Elisabeth Bronfen geschrieben hat (www.eurozine.com/articles/2002-09-04-bronfen-de.html). Die Fotos in diesem Buch sind von atemraubender Ausdruckskraft. Es sind über 600, und sie bilden das Kraftzentrum der Publikation, viele im großen Querformat 41 x 30 cm, brilliant gedruckt. Das Ganze wiegt fünf Kilo, die erste Auflage beträgt 12.500 Exemplare, in jedes Exemplar ist ein kleiner 35mm-Filmstreifen aus VOLVER eingeklebt. In ein normales Bücherregal passt dieses Buch nicht, es ist ein Prachtstück für einen speziellen Tisch, der das Blättern erlaubt.

P.S.: Hier sind, der Vollständigkeit halber, die Originaltitel und die Zuschauerzahlen in Deutschland bei den letzten fünf Filmen:

1980: PEPI, LUCI, BOM Y OTRAS CHICAS DEL MONTÓN / PEPI, LUCI, BOM UND DER REST DER BANDE

1982: LABERINTO DE PASIONES / LABYRINTH DER ERINNERUNGEN

1983: ENTRE TINIEBLAS / DAS KLOSTER ZUM HEILIGEN WAHNSINN

1984: QUE HE HECHO YO PARA MERECER ESTO? / WOMIT HAB’ ICH DAS VERDIENT?

1985: MATADOR

1986: LA LEY DEL DESEO / DAS GESETZ DER BEGIERDE

1987: MUJRES AL BORDE DE UN ATAQUE DE NERVIOS / FRAUEN AM RANDE DES NERVENZUSAMMENBRUCHS

1990: ÁTAME! / FESSLE MICH!

1991: TACONES LEJANOS / HIGH HEELS

1993: KIKA

1995: LA FLOR DE MI SECRETO / MEIN BLÜHENDES GEHEIMNIS

1997: CARNE TRÉMULA / LIVE FLESH

1999: TODO SOBRE I MADRE / ALLES ÜBER MEINE MUTTER (400.000 Zuschauer in Deutschland)

2002: HABLE CON ELLA / SPRICH MIT IHR (450.000)

2004: LA MALA EDUCACIÓN / SCHLECHTE ERZIEHUNG (220.000)

2006: VOLVER (725.000)

2009: LOS ABRAZOS ROTOS / ZERRISSENE UMARMUNGEN (240.000)

2011: LA PIEL QUE HABITO / DIE HAUT IN DER ICH WOHNE

P.S.2: Es gibt ein kleines lesenswertes Buch über den Regisseur von der Psychoanalytikerin Mechthild Zeul: „Pedro Almodóvar. Seine Filme, sein Leben“, erschienen 2010 im Verlag Brandes & Apsel (188 S., 19,90 €).