Filmbuch des Monats
September 2013
Elisabeth Bronfen/Norbert Grob (Hg.)
Classical Hollywood
Reclam Verlag, Stuttgart 2013
400 S., 12,00 €
ISBN 978-3-15-019015-9
Elisabeth Bronfen/Norbert Grob (Hg.):
Classical Hollywood
Dies ist ein kleines, aber umfängliches Buch über die große Zeit des Hollywood-Kinos, über die dominanten Studios, die klassischen Genres, die berühmten Stars, herausgegeben von Elisabeth Bronfen und Norbert Grob. Ihre Einleitung ist ein zugleich empathischer wie informativer Essay über die wohl bedeutendste Stilepoche des internationalen Films. Im Hauptteil werden 54 Filme von 29 Autorinnen und Autoren dargestellt, beginnend mit IN OLD ARIZONA (1929) von Irving Cummings, endend mit THE APARTMENT (1960) von Billy Wilder. Zu jedem Text gehört eine kleine Literaturliste; 21 Abbildungen sind sparsam übers Buch verteilt, aber gut ausgewählt und haben lesenswerte Legenden.
Es ist der zweite Band der Reclam-Reihe „Stilepochen des Films“, die zunächst auf acht Bände angelegt ist. Weil der Verlag für Sorgfalt und Seriosität bekannt ist, wird es wohl ein paar Jahre dauern, bis die Strecke zwischen dem Weimarer Kino (geplanter Band 1) und dem Neuen Ostasiatischen Kino (geplanter Band 8) absolviert ist. Parallel erscheint weiterhin die Reihe „Filmgenres“, herausgegeben von Thomas Koebner, die es inzwischen auf 17 Bände gebracht hat. Und Koebners fünfbändige „Filmklassiker“ sind in der fünften Auflage angelangt, sie werden immer wieder aktualisiert. Reclam ist ein erfolgreicher Filmbuchverlag.
Wer sich mit Filmgeschichte beschäftigt, weiß natürlich, dass in den 1980er und 90er Jahren sehr viel über das klassische Hollywood geforscht und geschrieben wurde, ich erinnere an „The Classical Hollywood Cinema“ von David Bordwell, Janet Staiger und Kristin Thompson, „The Genius of the System“ von Thomas Schatz oder „You Ain’t Heard Nothin’ Yet“ von Andrew Sarris. Mit ihrem Buch „Heimweh: Illusionsspiele in Hollywood“ (1999) hat auch Elisabeth Bronfen einen profunden Beitrag zur amerikanischen Filmgeschichte geleistet, der sie zur Mitherausgeberin von „Classical Hollywood“ prädestinierte.
Elisabeth und Norbert – aus meiner Freundschaft zu beiden will ich keinen Hehl machen – haben mit ihrer Einleitung einen fast definitiven Essay zur Stilepoche des klassischen Hollywoodfilms geschrieben. Es geht dabei um die mentale Haltung zur Welt, um Serielles und Klassisches, Stars und Studios, um Zauber und Abschied. Viel Stoff für 60 Druckseiten.
Unter den Autorinnen und Autoren der Texte findet man natürlich viele der üblichen Verdächtigen, die in so einem Buch nicht fehlen dürfen. Ich nenne nur Fritz Göttler (mit kompetenten Texten über TROUBLE IN PARADISE von Ernst Lubitsch und IT HAPPENED ONE NIGHT von Frank Capra), Sabine Horst (über A STAR IS BORN von William A. Wellman), Felicitas Kleiner (über BELLE OF THE NINETHIES von Leo McCarey, mit Mae West), Marion Löhndorff (über BLONDE VENUS von Josef von Sternberg, im Zentrum: Marlene Dietrich), Helmut Merker (über SINGIN’ IN THE RAIN von Stanley Donen und Gene Kelly), Karlheinz Oplustil (über TOP HAT von Mark Sandrich, mit Fred Astaire und Ginger Rogers), Manuela Reichart (über GONE WITH THE WIND von David O. Selznick und Victor Fleming; ein besonders schöner Text), Josef Schnelle (über A PLACE IN THE SUN von George Stevens), Georg Seeßlen (über FALLEN ANGEL von Otto Preminger), Anke Sterneborg (über CASABLANCA von Michael Curtiz), Marcus Stiglegger (über I AM A FUGITIVE FROM A CHAIN GANG von Mervyn LeRoy). Natürlich gefallen mir die Beiträge der Mainzer Grob-Kollegen Bernd Kiefer (über John Fords Kavallerie-Trilogie), Josef Rauscher (über den Anthony Mann-Western THE MAN FROM LARAMIE) und Ivo Ritzer (über den Raoul Walsh-Western HIGH SIERRA) besonders, weil sie so zugeneigt über ein von mir geliebtes Genre schreiben. Als gern gelesener Bronfen-Kollege ist Johannes Binotto aus Zürich mit drei Texten dabei, er würdigt u.a. das Melodram SOME CAME RUNNING von Vincente Minnelli.
Durch die Mainzer Filmwissenschaft kommt auch sehr bemerkenswerter Autorennachwuchs ins Spiel. Es sind Namen, die noch nicht bekannt sind: David Assmann schreibt über GRAND HOTEL von Edmond Goulding, Ines Bayer über THE FOUNTAINHEAD von King Vidor, Oliver Keutzer über drei Ernest Hemingway-Verfilmungen, Roman Mauer über vier Universal-Horrorfilme, Claudia Mehlinger und René Ruppert über DUCK SOUP von Leo McCarey mit den Marx-Brothers. Ihre Texte lesen sich sich nie wie eine Seminararbeit, melden keinen wissenschaftlichen Anspruch an, sondern gehen ganz nah an die Filme heran.
Das Herausgeberteam Bronfen/Grob hat sich selbst die Autorenschaft über 19 Filme gesichert, den letzten, über THE APARTMENT, haben die beiden gemeinsam verfasst. Besonders gefallen haben mir Elisabeths Text über THE LADY EVE von Preston Sturges und Norberts Analyse von GRAPES OF WRATH von John Ford. Bei allen Autorinnen und Autoren spürt man, dass keine Pflichttexte verfasst haben, sondern die Filme mit Zuneigung aus heutiger Sicht betrachten.
Die Folge solcher Bücher ist ja, dass man Lust bekommt, all die Filme (oder jedenfalls viele) wieder zu sehen. Ihre Verfügbarkeit (DVD) ist gegeben, und wenn man Glück hat, sind sie demnächst auch in Berlin oder in München, in Hamburg oder in Frankfurt, in Köln, Düsseldorf, Leipzig oder Weimar innerhalb irgendeiner Filmreihe im Kino zu sehen. Kommunale Kinos machen das möglich.
Titelfoto: Marilyn Monroe in dem Film HOW TO MARRY A MILLIONAIRE (1953) von Jean Negulesco; einen eigenen Text im Buch hat der Film nicht.