Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
November 2008

Daniel Semler
Brigitte Helm
Der Vamp des deutschen Films
Belleville Verlag, München 2008
240 S., 24 €
ISBN 978-3-936298-56-7

Daniel Semler:
Brigitte Helm.
Der Vamp des deutschen Films

Sie hieß eigentlich Brigitte Eva Gisela Schittenhelm und wollte Astronomin werden. Aber ihre verwitwete Mutter sieht in ihr schon früh einen Filmstar und schafft es, Thea von Harbou und Fritz Lang für Brigitte zu interessieren. Da ist sie eine knapp siebzehnjährige Internatsschülerin. Sie macht Probeaufnahmen für das Ufa-Großprojekt METROPOLIS, bekommt die weibliche Doppelrolle der Maria, bewältigt die Drehzeit von 17 Monaten offenbar ohne Schaden und wird 1927 aus dem Stand heraus ein deutscher Weltstar.

Sie kriegt von der Ufa einen Zehnjahresvertrag, dreht mit Karl Grune (AM RANDE DER WELT, 1927), Georg Wilhelm Pabst (DIE LIEBE DER JEANNE NEY, 1927), Henrik Galeen (ALRAUNE, 1928). Ihr Image wird der deutsche Vamp mit der statuenhaften Schönheit. Weil sie mit diesem Klischee unzufrieden ist, prozessiert sie (vergeblich) gegen die Ufa, um andere Rollenangebote zu bekommen. Sie schafft den Übergang zum Tonfilm (DIE SINGENDE STADT, 1930), spielt noch einmal die ALRAUNE (unter Richard Oswald, 1930), dreht in England (THE BLUE DANUBE, 1932), verkörpert in Karl Hartls DIE GRÄFIN VON MONTE CHRISTO (1932) eine Filmkomparsin, die zuerst zur Hochstaplerin und dann zum Star wird. Ihr letzter Film hat den Titel EIN IDEALER GATTE (1935). Dann zieht sie sich vom Film zurück und heiratet einen reichen Unternehmer.

So erzählt, ist das die Geschichte einer kurzen, heftigen Karriere mit einem zweifelhaften Happyend. Aber der Brigitte Helm-Mythos gibt mehr her. Er handelt von einer Branche, die sich damals radikal verändert, von einem Land, das in den Abgrund einer rassistischen Diktatur gerät, von Frauenbildern, die zu verkörpern einer Schauspielerin Lust und Frust bereiten kann, von Regisseuren, Produzenten, Kameraleuten, Schauspielpartnern, von denen sie gehasst oder geliebt wird, die ihr aber nicht nahe kommen können.

Das ist eine Menge Stoff für einen Biografen, und Daniel Semler hat sich tief in die Archive vergraben. Weil er dort viele Fundstücke gemacht hat, versteckt er sich über weite Strecken hinter all den wunderbaren Texten und Zitaten, die er entdeckt hat. Insofern ist dieses Buch vor allem eine Dokumentation jener spannenden zehn Jahre zwischen 1925 und 1935, in denen Brigitte Helm Objekt der publizistischen Begierde war und sich viele an ihr abgearbeitet haben: Arnheim, Eisner und Kracauer, aber auch die Filmkritiker und Gesellschaftsreporter, deren Namen heute keiner mehr kennt. Schön und zugleich schrecklich sind die Geschichten ihrer Leidenschaft für schnelle Autos, die mit zwei schweren von ihr verschuldeten Verkehrsunfällen endete.

Es gibt keine Autobiografie von Brigitte Helm, sie hatte keine Fernsehauftritte, ging in keine Talkshow, gab keine Interviews. Sie starb am 11. Juni 1996. Ihr Rückzug aus der Öffentlichkeit besitzt eine Garbo-Dimension. Und wenn man die vielen Szenenfotos, die faksimilierten Zeitschriftenartikel und die Illustriertenporträts dieses Buches betrachtet, wundert man sich, dass es nicht schon früher erschienen ist. Denn es erzählt uns von deutscher Filmgeschichte, deutscher Zeitgeschichte, deutscher Kulturgeschichte und deutscher Frauengeschichte. Aber so ein Buch braucht seine Zeit.

In die Gestaltung und den Druck dieses Bandes hat der Verleger viel Mühe investiert. Am Ende weiß man, dass dies auch ein Fanbuch ist, das nur einer wie Michael Farin zustande bringen kann. Und man verzeiht ihm wieder einmal, dass er so lange gebraucht hat, ein Versprechen einzulösen.