Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
September 2015

DEFA-Stiftung (Hg.)
Bilder des Jahrhunderts
Staatliches Filmarchiv der DDR 1955-1990. Erinnerungen
Bertz + Fischer, Berlin 2015
372 S., 19,80 €
ISBN 978-3-86505-405-0

DEFA-Stiftung (Hg.):
Bilder des Jahrhunderts.
Staatliches Filmarchiv der DDR 1955-1990. Erinnerungen

„Filmerbe“ ist zurzeit ein häufig benutztes Wort. Wie kann dafür gesorgt werden, dass die deutsche Filmgeschichte langfristig gesichert wird und die Archivbestände verfügbar und nutzbar bleiben? Das Buch „Bilder des Jahrhunderts“ beantwortet diese Fragen nicht, aber es erinnert an die Pionierleistungen des Staatlichen Filmarchivs der DDR, in dem viele Jahrzehnte vorbildlich gearbeitet wurde und das international hohes Ansehen genoss. 56 Textbeiträge fügen sich zu einem Mosaik, das dieser Institution ein Denkmal setzt.

Die DEFA-Stiftung und ihr Vorstand Ralf Schenk wollten eigentlich eine Textsammlung von Wolfgang Klaue, dem langjährigen Direktor des Staatlichen Filmarchivs, zu seinem 80. Geburtstag publizieren. Das hat Klaue rigoros abgelehnt; er war nie an persönlichen Ehrungen interessiert, es ging ihm immer um die Sache. Sein Gegenvorschlag: ein Buch mit vielen Beiträgen zur Geschichte des Archivs, verfasst von ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von Dokumentaristen, die hier ihre Materialien verantwortungsvoll verwahrt sahen, von Kollegen und Kolleginnen anderer Filmarchive. Wolfgang Klaue übernahm zusammen mit Eva Hahm, Hans Karnstädt und Günter Schulz die Zusammenstellung der Texte. Zehn Kapitel strukturieren das Buch, ein Anhang enthält zusätzliche Dokumente und einige Listen mit interessanten Informationen.

„Von den Anfängen“ berichten zunächst Wolfgang Klaue („Vom Beschluss der Sowjetregierung bis zur Gründung des Staatlichen Filmarchivs“), der spätere Dokumentarfilmregisseur und Rektor der Filmhochschule Konrad Wolf, Peter Ulbrich, der in Babelsberg als „Umroller“ tätig war, und der älteste noch lebende Mitarbeiter des SFA, Gerd Meier, der an die Ausstellung „60 Jahre Film“ erinnert, die 1958 im Museum für Deutsche Geschichte im Zeughaus stattfand. Auszüge aus Presseberichten zur Ausstellung sind dokumentiert. Der Filmhistoriker Thomas Heilmann informiert über die Arbeit an dem Dokumentarfilm DU UND MANCHER KAMERAD von Annelie und Andrew Thorndike, der weitgehend mit Archivmaterial hergestellt wurde. Sehr persönlich sind die Erinnerungen von Wolfgang Klaue an den ersten Direktor des SFA, Rudolf Bernstein. Rolf Aurich porträtiert den Direktor Herbert Volkmann, der in einem Filminterview auch selbst zu Wirt kommt.

„Ein-Blick in die Technik“ geben Hans Karnstädt („Die Filmlagerung im Staatlichen Filmarchiv“ und „Das Kopierwerk des Filmarchivs“), Edelgard Pahlke („Die spannende Arbeit einer Lichtbestimmerin“), Egbert Koppe („Die Ton- und Videoumspielung in den Jahren 1986 bis 19990“) und Wolfgang Klaue (über den geplanten Farbfilmbunker: „Drei Millionen in den Sand gesetzt“).

„Vom Sammeln und Katalogisieren“ erzählen in persönlichen Erinnerungen Günter Schulz, Wolfgang Gogolin, Barbara Schütz (zwei Texte), Jutta Habedank, Barbara Heinrich-Polte, Gisela Hofmann und Julika Kuschke (unter dem beziehungsreichen Titel „Ich war 19“).

„’Camera’ – Retrospektiven – Ausstellungen – das Fernsehen“ heißt das Kapitel über öffentliche Präsentationen des Staatlichen Filmarchivs in Ostberlin, Leipzig und im DDR-Fernsehen. Die Texte stammen von Michael Hanisch, Holger Theuerkauf, Frank-Burkhardt Habel, Ralf Schenk, Fred Gehler, Bert Hogenkamp, Wolfgang Klaue, Eva Hahm und Ingrid Müller.

In vier Erinnerungen geht es um „Dokumentensamlung und Filmmuseum“. Sie stammen von Helmut Morsbach, Helene Kleine, Bärbel Dalichow und Jochen Mückenberger. Wolfgang Klaue erinnert dann an die Staatliche Filmdokumentation („Und plötzlich hatten wir ein eigenes Filmteam“), über die kürzlich ein interessantes Buch, herausgegeben von Anne Barnert, erschienen ist.

Fünf FilmemacherInnen erzählen über ihre Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Filmarchiv: Christel Gass („Unverzichtbare Expertenkenntnisse“), Günter Jordan („Das Filmarchiv hat seine Zukunft noch vor sich“), Winfried Junge („Wie ich mit Archivmaterial zu tun bekam“), Karlheinz Mund („Erwartungen und Erfahrungen“) und Kurt Tetzlaff („Ideal, wenn man miteinander kann!“).

Natürlich hatte das Staatliche Filmarchiv viele Kontakte zu anderen Ländern. Sieben Texte handeln davon: „Der Reiz von Auslandsbeziehungen“ von Wolfgang Klaue, „Insel der Seligen?“ von Eva Orbanz, „Ich habe einfach Lust, mich zu erinnern“ von Erika Gregor, „Das ‚Staatliche Filmarchiv der DDR’ und die ‚Freunde der Deutschen Kinemathek’“ von Ulrich Gregor, „Vom ‚Arsenal’ zur ‚Camera’?“ von Heiner Roß (Hamburg), „Unkompliziert und erfreulich: die Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Filmarchiv“ von Günter Knorr (Wien) und „Chapeau!“ von Gero Gandert.

Die FIAF (Fédération Internationale des Archives du Film) veranstalt regelmäßig ihre so genannte Summer School. Darüber erzählen im Kapitel „Lehrstunden“ Erlandur Sveinsson („Die Hälfte der Belegschaft kam zur Sommerschule“), Helmut Pfügl („1984 – Ein Sommermärchen“) und Ani Weltscheska („Gedankensplitter statt Lobgesang“). Und die Südvietnamesin Thu Ha berichtet über ihr Praktikum im Staatlichen Filmarchiv der DDR 1980.

Schließlich noch drei Texte zum Thema „Grundsätzliches und Erklärendes“: einer von dem Archivwissenschaftler Botho Brachmann („Macht und/oder Ohnmacht der Archivare“) und zwei von Wolfgang Klaue („An Geld hat es nie gefehlt, doch reich wurde keiner“ und „Von A bis Z – Was ich sonst noch in Erinnerung habe“).

Die fünf Dokumente im Anhang stammen „Aus den Gästebüchern“, sind eine „Chronologie des Staatlichen Filmarchivs 1954 – 1987“, informieren über „Die letzten elf Monate des Staatlichen Filmarchivs der DDR“ und listen in einer Auswahl „Mit Archivmaterial unterstützte Film- und Fernsehvorhaben der DEFA und des DDR-Fernsehens“ und „Mit Archivmaterial unterstützte Film- und Fernsehvorhaben aus dem Ausland, der BRD und Westberlin“ auf.

Wolfgang Klaue begann seine Arbeit am Staatlichen Filmarchiv 1957 als Praktikant nach einem abgeschlossenen Philosophiestudium. Er wurde dann fest angestellt und übernahm 1969 die Leitung des Archivs von Herbert Volkmann. Zehn Jahre später wurde er zum Präsidenten der FIAF gewählt. Er hat dem Staatlichen Filmarchiv der DDR zu großem internationalen Ansehen verholfen. Mit der deutschen Einigung endete die Autonomie der Institution, sie wurde in das Bundesarchiv integriert. Von 1992 bis 1997 übernahm Wolfgang Klaue viele Beratungsaufgaben. Für die Deutsche Kinemathek hat er 1994/95 die Veranstaltungen zum 100. Geburtstag des Kinos koordiniert. Er beteiligte sich dann intensiv an der Vorbereitung der Gründung der DEFA-Stiftung, deren erster Vorstand er von 1998 bis 2003 war. 2009 erhielt er den Ehrenpreis der DEFA-Stiftung. Er hat ihn damals mit Würde akzeptiert und mit dieser Publikation noch einmal deutlich gemacht, wie sehr er ihn verdient hat.

Schön an allen Texten in diesem Buch ist ihr persönlicher Bezug zur Vergangenheit, ihre Empathie bei dem scheinbar so nüchternen Thema Archiv und der damit verbundene Blick auf die „Bilder des Jahrhunderts“.

Mehr zum Buch: http://www.bertz-fischer.de/bilderdesjahrhunderts.html