Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
April 2007

Klaus Biesenbach (Hg.)
Berlin Alexanderplatz
Schirmer/Mosel, München 2007
664 S.,
ISBN 978-3-8296-0253-2

Klaus Biesenbach (Hg.):
Berlin Alexanderplatz

Ein großes Buch über einen langen Film.

Rainer Werner Fassbinders Berlin Alexanderplatz dauert 939 Minuten, also mehr als fünfzehn Stunden. Nach aufwendiger technischer Restaurierung wurde der vierzehnteilige Film zur Berlinale 2007 wiederaufgeführt. Er sieht jetzt besser aus als damals, 1980, als er im Deutschen Fernsehen gesendet wurde. Das Buch, herausgegeben von Klaus Biesenbach, hat 664 großformatige Seiten, ist zwei Kilo schwer und fungiert als Katalog zur Alexanderplatz-Ausstellung im „KW Institute of Contemporary Art“, den Kunst-Werken in Berlin.

Die Ausstellung ist konzipiert als Filmerlebnisraum. Alle Teile des Films werden simultan projiziert. In 14 Kammern kann man sich in jedes der 13 Filmkapitel und den Epilog vertiefen. So erlebt man eine Zeitreise in das Berlin der späten zwanziger Jahre, eine Begegnung mit großen Darstellern des deutschen Films der siebziger Jahre und eine Konfrontation mit dem Kosmos RWF.

Das Buch besteht vor allem aus Bildern: 570 Stills im Format 29,5 x 23,5 cm, im Halbformat oder im Viertelformat. Hergestellt und vergrößert aus dem neuen, digitalisierten Material. Unschärfen werden in Kauf genommen, sie verstärken den expressiven, emotionalen Ausdruck der Darsteller. Die Bilder suggerieren eine fast physische Nähe zu Lamprecht, Sukowa, Schygulla, John, Trissenaar, Mira und all den anderen Protagonisten. Mit Blut, Schweiß und Tränen.

Drei Texte sind dem Bildteil vorangestellt: der brillante Essay „Schwarze Bilder“ des Ausstellungskurators und Herausgebers Klaus Biesenbach, die Reflexion „Ein Roman wird Film“ von Susan Sonntag, erstmals publiziert in Vanity Fair im November 1983, und Fassbinders „ungeordnete Gedanken“ zu Döblins Roman aus der Zeit vom 14. März 1980: „Die Städte  des Menschen und seine Seele“. Biesenbach rekapituliert den Einfluss Fassbinders auf andere Künstler, er entschlüsselt die Figurenkonstellation des Alexanderplatz, beschreibt Farb-, Licht, Ton- und Musikwirkungen, spürt spezielle Motive auf (Fenster, Gitter, Käfig, Schlachthaus, Bühne, Wald), benennt religiöse Kontexte und verweist auf die unterschiedlichsten Quellen, von denen Fassbinder inspiriert wurde. Die komplexe und dabei immer konkret bleibende Interpretation des Kurators hat eine paradigmatische Qualität.

Der Band enthält schließlich in seinem letzten Teil als Faksimile das komplette Drehbuch, wie es 1980 bei Zweitausendeins zusammen mit dem Arbeitsjournal von RWF und Harry Baer publiziert wurde.

Also: ein angemessenes Buch zu einem großen Film.