Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Juni 2019

Ines Bayer
Anthony Mann
Kino der Verwundung
Berlin, Verlag Bertz + Fischer 2019
304 S., 36 €
ISBN: 978-3-86505-333-6

Ines Bayer:
Anthony Mann.
Kino der Verwundung

Dies ist die erste deutschsprachige Publikation über den amerikani-schen Regisseur, sie beschreibt sein Leben und analysiert sein Werk auf höchstem Niveau. 39 Filme hat Anthony Mann zwischen 1942 und 1968 realisiert, darunter Film Noirs, Western und historische Epen. Er hat mit zahlreichen amerikanische Stars zusammengearbeitet und ist leider, im Alter von 60 Jahren, viel zu früh verstorben.

Das Buch ist zweigeteilt: 1. Der Mann (65 Seiten), 2. Die Filme (200 Seiten). Anthony Mann ist der Künstlername von Emil Anton Bundsmann, geboren 1906 in San Diego als Sohn eines aus Europa eingewanderten Ehepaares. Aufgewachsen in der musisch orientierten Einrichtung Lomaland und, nach dem Tod des Vaters, in der Umgebung von New York. Nach Abbruch der High School Arbeit am Theater, zuerst als Schauspieler, dann als Regisseur. 1941 Wechsel nach Hollywood, Regieassistenzen, erste Regietätigkeiten für Universal und RKO. In den 1950er Jahren wurde Anthony Mann vor allem als Western-Regisseur berühmt. 1960 Übersiedlung nach Europa. Gestorben am 19. April 1967 nach einem Herzinfarkt im Hotel Kempinski in Berlin während der Produktion von A DANDY IN ASPIC.

Die Filme werden von Ines Bayer nicht in chronologischer Reihenfolge analysiert, sondern in fünf Genre- und Themenkapiteln, beginnend mit Komödien und Musicals, die mir eher unbekannt sind, gefolgt von Kriminalfilmen und „ausgesprochen schwarzen Noirs“, zu denen THE GREAT FLAMMARION (1945) mit Erich von Stroheim, T-MEN (1947) mit Dennis O’Keefe und BORDER INCIDENT (1949) mit Ricardo Montalban gehören. Es ist beeindruckend, wie präzise die Autorin in diesen Filmen Obsessionen, Ohnmacht und Paranoia zu beschreiben weiß, wie sie Darstellung, Bildsprache und Montage charakterisiert. Dies steigert sich noch im wichtigsten Kapitel (60 Seiten) über die zehn Western der 50er Jahre, von BEND OF THE RIVER bis MAN OF THE WEST, die als Körper-Variationen interpretiert werden: Die Geschun-denen, die Hysteriker, Tyrannei der Zivilisation, Gender-Trouble, Schemen und Gespenster. Hier geht es u.a. um „Unversehrtheit“, „Körperbeherrschung“, „ethnische Adäquatheit“ und „männliche Autorität“. Heldendarsteller waren bei Anthony Mann damals Robert Taylor, James Stewart (sechsmal), Henry Fonda, Victor Mature und Gary Cooper. Die einzelnen Analysen sind herausragend.

Zwei abschließende Kapitel widmen sich den Themen „Ideologie: Amerika“ (mit Interpretationen von THUNDER BAY, STRATEGIC AIR COMMAND, THE GLENN MILLER STORY und GOD’S LITTEL ACRE) und „Geschichte: Europa“ (hier geht es um die Filme CIMARRON, EL CID, THE FALL OF THE ROMAN EMPIRE und A DANDY IN ASPIC, der leider sein letzter war). An Stelle eines Fazits wird ganz zum Schluss der Film MEN IN WAR (1957) beispielhaft analysiert. Der Anhang enthält einen biografischen Abriss, eine Filmgrafie und ein Literaturverzeichnis.

Es ist die Dissertation von Ines Bayer, die hier publiziert wird. Sie wurde, betreut von Norbert Grob und Elisabeth Bronfen, von ihr an der Universität Mainz erarbeitet. Sie unterscheidet sich von vielen anderen Dissertationen durch ihre klare Struktur, ihre gut verständliche Sprache und die konkreten Erkenntnisse, die von der Autorin vermittelt werden. Dass sie dabei die wissenschaftlichen Ansprüche erfüllt, versteht sich fast von selbst. Wir haben es hier mit einer beispielhaften Monografie über einen großen amerikanischen Regisseur zu tun.

Zwei persönliche Erinnerungen: Anthony Mann war 1964 Jury-Präsident der Berlinale. Damals wurde der türkische Film TROCKENER SOMMER mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichnet, was Ulrich Gregor für eine „Verhöhnung des Publikums und der Kritiker“ hielt, weil es im Wettbewerb andere, viel bessere Filme gegeben habe, zum Beispiel MANAHAGAR von Satjayit Ray oder THE PAWNBROKER von Sidney Lumet. Als wir 1982 im Rahmen der Berlinale eine Hommage für James Stewart veranstalteten, liefen dort drei Filme von Anthony Mann. Stewart kam zur Verführung von WINCHESTER 73 ins Astor und würdigte damals auch den Regisseur. Er wohnte im Hotel Kempinski.

Band 30 der Reihe „Deep Focus“ mit Abbildungen in hervorragender Qualität. 16 Farbseite in der Mitte des Buches. Coverfotos: THE FURIES (oben) und THE FAR COUNTRY (unten).

Mehr zum Buch: http://www.bertz-fischer.de/anthonymann.html