Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Dezember 2014

Peter von Bagh (Hg.)
Kaurismäki über Kaurismäki
Alexander Verlag. Berlin 2014
288 S. 38,00 €
ISBN: 978-3-89581-342-9

Peter von Bagh (Hg.):
Kaurismäki über Kaurismäki

Er gilt als eine Inkarnation von Finnland. Er ist der wohl bekannteste Regisseur des Landes, auch wenn er seit vielen Jahren in Portugal lebt und sein letzter Film, LE HAVRE, in Frankreich entstand. Aki Kauris-mäki (*1957) ist einer der großen Protagonisten des europäischen Autorenfilms. Zu seinem Image gehört eine lakonische Schweigsam-keit. Auch in seinen Filmen wird wenig geredet. Im Buch von Peter von Bagh begegnet uns ein anderer Kaurismäki: er ist auskunftsfreudig und kommunikativ. Der Band dokumentiert in erster Linie die Gespräche, die der Herausgeber mit dem Regisseur geführt hat: sie öffnen den Blick auf sein Werk, sie sind klug und differenziert, teils lustig und pointiert, teils ernst und tiefsinnig. Sie fügen sich mit den Texten von Peter von Bagh und den zahlreichen Abbildungen zu einem sehr lesenswerten Kaurismäki-Buch. Fast zeitgleich ist bei Pandora eine DVD-Box mit allen Kinofilmen und vier Musik-Kurzfilmen des Regisseurs erschienen.

Es gibt bereits ein hervorragendes Kaurismäki-Buch in deutscher Sprache, herausgegeben von Ralph Eue und Linda Söffker 2006 bei Bertz + Fischer. Es enthält Essays, Einzelrezensionen seiner Filme und ein Gespräch mit der Schauspielerin Kati Outinen. Die Leser von epd Film haben es damals zum besten Filmbuch des Jahres gewählt.

Das Buch von Peter von Bagh, das zuerst 2006 und dann in erweiterter Form 2012 in Helsinki erschien und jetzt im Alexander Verlag in deutscher Sprache publiziert wurde, ist anders konzipiert. Es lebt von der Nähe zwischen dem finnischen Filmhistoriker und Aki Kaurismäki, die sich in den späten 1970er Jahren bei Vorführungen des finnischen Filmarchivs kennen gelernt haben und seither befreundet waren. Die meisten Interviews wurden in Portugal aufgenommen, „weit entfernt von der Hektik Finnlands“. Sie unternehmen eine Passage durch Kaurismäkis Leben und gehen auf all seine Filme ein. Peter von Bagh: „Es war unvermeidbar, dass viele Verweise im Text tief in der finni-schen Tradition angesiedelt sind. Ein wichtiges Anliegen dieses Buches ist es, diese den nichtfinnischen Freunden von Aki Kaurismäkis Filmen nahe zu bringen. Ich habe es für richtig gehalten, zu erläutern, welchen Platz Kaurismäki in der finnischen Kultur und Seelenland­schaft einnimmt und wie groß sein eigener Anteil daran ist.“

Neben den Gesprächen enthält das Buch Kommentare von Peter von Bagh zu allen Filmen, Hinweise auf zentrale Motive in Kaurismäkis Werk, Informationen über seine langjährigen künstlerischen Weg-gefährten und fast 200 meist farbige Abbildungen in bester Qualität.

Kaurismäkis Filme handeln vorzugsweise von Außenseitern, von Verlierern, beginnend mit seinem Debütfilm crime and punishment (1983) über SCHATTEN IM PARADIES (1986), ARIEL (1988), DAS MÄDCHEN AUS DER STREICHHOLZFABRIK (1990), DER MANN OHNE VERGANGENHEIT (2002), LICHTER DER VORSTADT (2006) und bisher endend mit LE HAVRE (2011). Eine Filmhochschule hat Kaurismäki nie besucht. Als seine Vorbilder nennt er Bresson, Ozu, Godard. Und gern zitiert wird seine Selbstaussage, in ihm steckten „60 Prozent von einem Existentialisten, 20 Prozent von einem Kommu-nisten, 10 Prozent von einem Öko-Linken, 10 Prozent von einem Anarchisten, der Rest ist Wasser und normale Sozialdemokratie.“

Meine persönlichen Lieblingsfilme von Aki Kaurismäki sind DAS MÄDCHEN AUS DER STREICHHOLZFABRIK, I HIRED A CON-TRACT KILLER und DAS LEBEN DER BOHÈME. 2005 haben wir ihm in der Akademie der Künste den „Großen“ Kunstpreis des Landes Berlin verliehen. Katja Nicodemus hat damals eine wunderbare Laudatio gehalten, Kaurismäki hat lakonisch geantwortet – und wir hatten mit ihm einen schönen Abend.

Peter von Bagh (*1943) war ein großer skandinavischer Filmhistoriker, hat unendlich viele Filmbücher publiziert, war viele Jahre Direktor des Finnischen Filmarchivs, leitete seit 2001 das Festival Il Cinema Ritrivato in Bologna, hat eigene Filme gedreht und war einer der sympathischsten und fleißigsten Kollegen, die ich kennen gelernt habe. Er ist am 17. September 2014 gestorben. Das Erscheinen dieses Buches hat er nicht mehr erlebt.

Coverfoto: Jean-Pierre Léaud in I HIRED A CONTRACT KILLER

Mehr zum Buch: KAURISMAeKI_UeBER_KAURISMAeKI.html