Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Juli 2022

Raimund Fritz/Martina Zerovnik (Hg.)
100 Jahre Oskar Werner
Mensch, Kunst, Mythos
Wien, Filmarchiv Austria 2022
340 S., 29,90 €
ISBN 978-3-902-781-963

Raimund Fritz/Martina Zerovnik (Hg.):
100 Jahre Oskar Werner.
Mensch, Kunst, Mythos

In diesem Jahr ist der 100. Geburtstag des österreichischen Schauspielers Oskar Werner zu feiern. Das Filmarchiv Austria widmet ihm eine Ausstellung im METRO Kinokulturhaus und hat dazu einen Katalog publiziert, der sich als wahre Schatztruhe erweist. Herausgegeben von Raimund Fritz und Martina Zerovnik.

Eigentlich hieß er Oskar Josef Bschliessmayer. Geboren am 16. Novem-ber 1922 in Wien. Er spielte Rollen am Schultheater und als Komparse in Filmen, erhielt ein Engagement am Burgtheater, nannte sich Oskar Werner, entzog sich 1944 dem Kriegsdienst und begann seine Filmkarriere 1948 in DER ENGEL MIT DER Posaune mit Paula Wessely und Maria Schell. Ein englisches Remake des Films führte zu inter-nationalen Verbindungen und einem Vertrag mit 20th Century Fox. DECISION BEFORE DWAN (1951) mit Hildegard Knef als Partnerin war sehr erfolgreich, aber Werner wollte keine deutschen Soldaten mehr spielen und kehrte nach Österreich zurück. Es begann eine Theaterphase, unterbrochen von drei Filmrollen 1955, darunter MOZART in der Regie von Karl Hartl. Bei dem Film EIN GEWISSER JUDAS (1958) führte er selbst Regie und spielte die Hauptrolle.

Der Regisseur François Truffaut verehrte Oskar Werner und gewann ihn für die Mitwirkung in JULES ET JIM (1962). Die Zusammenarbeit in FAHRENHEIT 451 vier Jahre später endete im Streit. Dazwischen lagen drei Hollywood-Engagements, in SHIP OF FOOLS (Regie: Stanley Kramer), THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD (Regie: Martin Ritt) und INTERLUDE (Regie: Kevin Billington). Mit zwei Filmen (THE ODESSA FILE und VOYAGE OF THE DAMNED) und einer Episode der COLUMBO-Reihe endete seine Karriere Mitte der siebziger Jahre.

Oskar Werner galt als sehr schwieriger Schauspieler. Er forderte ein Mitspracherecht fast wie ein Regisseur und verweigerte bei der Gestaltung seiner Rollen oft die Zusammenarbeit. Die Liste der Projekte, die nicht realisiert werden konnten, weil Werner die Bedingungen ablehnte oder spezielle Forderungen stellte, ist sehr viel länger als die der entstandenen Filme. Es kam nicht zu geplanten Rollen u.a. bei Jean Renoir, Robert Wise, Sydney Pollack, Henry Hathaway, Stanley Kubrick, Fred Zinnemann, Volker Schlöndorff, Joseph Losey, Luchino Visconti. In 23 Filmen hat er zwischen 1948 und 1976 Haupt- oder Nebenrollen gespielt. Viele davon sind unvergesslich. Er starb am 23. Oktober 1984 in Marburg an der Lahn an einem Herzinfarkt.

Das Kapitel über den Filmschauspieler Oskar Werner von Raimund Fritz („Eins werden mit der Rolle“) steht im Mittelpunkt des Katalogs. Christina Mühlegger-Henhapel beschreibt seine Theaterarbeit mit „Hamlet“ als Schlüsselfigur („Ich kann nicht Fürstendiener sein“). Zu seiner Stimme im Radio, bei Lesungen und auf Platten äußern sich Raimund Fritz und Robert Werba. Martina Zerovnik informiert beeindruckend über Oskar Werners ereignisreiches Leben. Elisabeth Haberler erinnert sich an ihren Großvater, die Schauspielerin Erika Pluhar schildert frühe und späte Begegnungen. Raimund Fritz hat den Nachlass erschlossen, der bis 2010 in der Schweiz deponiert war und dann dem Filmarchiv Austria übertragen wurde („Ein Puzzle“).

Der Reichtum an Bildern und Dokumenten ist überwältigend. Nur für die künstlerischen Aktivitäten zwischen 1948 und 1960 gibt es offenbar Lücken im Nachlass. Aber auch hier vermitteln zahlreiche Fotos konkrete Eindrücke von der Film- und Theaterarbeit. Ins Kino zu gehen, war eine Leidenschaft von ihm. Die Ansprüche an sich selbst waren groß und führten zu Konflikten mit Kolleginnen und Kollegen, Regisseuren, Kameraleuten und Produzenten, die oft im Zerwürfnis endeten. Eine Psychotherapie wäre vielleicht hilfreich gewesen.

Der Katalog aus Wien öffnet den Mikrokosmos eines großen Schau-spielers, der in der Film- und Theatergeschichte einen wichtigen Platz einnimmt. Sein 100. Geburtstag im November ist ein schöner Anlass für die Veröffentlichung, die Ausstellung kann noch bis Anfang nächsten Jahres besucht werden.

Mit einem Vorwort von Ernst Kieninger, Direktor des Filmarchiv Austria.

Das Coverfoto stammt von Sam Shaw (1965).

Mehr zum Katalog: www.filmarchiv.at/bestellen/shop/oskar-werner/