Texte & Reden
25. April 2013

Richard Wagner und das Kino

Grußwort zur Publikation „Wagner Kino“

Als vor hundert Jahren der hundertste Geburtstag von Richard Wagner gefeiert wurde, kam der erste Richard-Wagner-Film in die Kinos. Ein Bio-Pic, inszeniert von William Wauer und Carl Froelich. Es ist mehr als eine Pointe, dass die Hauptrolle, der Komponist, vom umtriebigsten Filmkomponisten der 1910er und 20er Jahre gespielt wurde: von Giuseppe Becce, der aus Italien stammte und in Berlin lebte. Becce schrieb auch die Musik des Films, denn Wagner-Originalton konnte man sich nicht leisten, die Rechte waren zu teuer, weil Cosima, die Witwe, den Film eigentlich verhindern wollte.

1913 war der Film vielleicht noch zu weit von der Kunst entfernt, um ihn ernsthaft mit der Welt Richard Wagners in Verbindung zu bringen. Immerhin entstanden damals in Deutschland die ersten Filme, die einen Kunstanspruch anmeldeten: „Der Andere“ von Max Mack mit Albert Bassermann und „Der Student von Prag“ von Stellan Rye mit Paul Wegener. Die erzählten Geschichten handelten von Ambivalenzen. Von Bewusstseinsspaltung. Sie galten als sehr deutsch.

In den hundert Jahren seit 1913 hat sich der Film sichtbar, hörbar, fühlbar verändert. Der Stummfilm wurde zum Tonfilm, der Schwarzweißfilm zum Farbfilm, die Leinwand wurde breiter, der 3-D-Film expandiert, die Digitalisierung dominiert. Und das Kino ist nur noch ein Ort von vielen, in denen Film rezipiert wird. Man kann Filme inzwischen in Opernhäusern sehen und auf dem Handy. In Opernhäusern entfalten sie größere Wirkungen. Aber das Kino ist noch immer ihr Stammhaus.

Es ist erstaunlich, wie Richard Wagner in all diesen Veränderungen sichtbar, hörbar und fühlbar erscheint. Natürlich kann man den Film generell zum Gesamtkunstwerk erklären und damit eine Brücke zu Wagner bauen, dem es vor allem darum ging, eine Gleichwertigkeit von Kunst und Leben herzustellen. Künstler, die mäandernd und auf hohem Niveau in mehreren Metiers zu Hause sind, haben in den letzten dreißig Jahren existentielle und höchst individuelle Gesamtkunstwerke geschaffen. Ich denke dabei an Werner Herzog, Ulrike Ottinger, Christoph Schlingensief, Werner Schroeter, Hans-Jürgen Syberberg – und das sind nur Namen aus der geographischen Nähe von Richard Wagner. Man könnte den Radius bis nach Hollywood erweitern, dessen Filmmusik ohne Wagner kaum denkbar ist.

Wagner als Figur in Filmen über ihn selbst, über Ludwig II., über Franz Liszt, über das 19. Jahrhundert. Verfilmte Wagner-Opern. Wagner als zitierte oder von ihm inspirierte Filmmusik. Film als Gesamtkunstwerk. „Wagner und das Kino“ ist ein höchst originelles Projekt für das Jubiläumsjahr, das von den Kuratoren Jan Drehmel, Kristina Jaspers und Steffen Vogt umfassend und dabei auch querdenkend vorbereitet wurde. Das Zeughauskino bietet alle Voraussetzungen für einen guten Schauplatz. Die Kooperationspartner – Deutsche Kinemathek, Akademie der Künste – sind profilierte Institutionen. Und wenn alle Veranstaltungen vorüber sind, alle Filme vorgeführt wurden, alle Diskussionen stattgefunden haben, bleibt etwas, das Bestand hat: dieses Buch.

Grußwort zum Buch „Wagner Kino“, erschienen im Junius Verlag 2013.