09. August 2022
Im Sinne der Materialität
Wie denken und urteilen wir aus heutiger Sicht über Filme mit der theoretischen Perspektive von Siegfried Kracauer? Leonie Hunter und Felix Trautmann haben bei Bertz + Fischer ein sehr lesenswertes Buch mit zwölf Texten herausgegeben, das konkrete Antworten gibt. Beeindruckend zu Beginn: ein 30-Seiten-Gespräch mit Heide Schlüpmann über ihre persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Kracauers Theorie. Sechs Texte haben mir besonders gut gefallen. Nora Neuhaus befasst sich mit Kulissenwelt und Wirklichkeitserfahrung im Film nach Kracauer und schlägt einen Bogen vom CABINET DES DR. CALIGARI zu SOLARIS von Tarkowski und HIGH LIFE von Claire Denis. Leonie Hunter und Almut Poppinga analysieren die romantische Komödie MAID IN MANHATTAN (2002) von Wayne Wang „through Kracauer’s Lenses“. Sebastian Staab und Franziska Wildt reflektieren über die Anarchie des Virtuellen und erkennen einen Zusammenhang zwischen Karl Grunes DIE STRASSE (1923), Chuck Russels DIE MASKE (1994), Christopher Nolans THE DARK KNIGHT RISES (2010) und Todd Phillips‘ JOKER (2019). Daniel Fairfax empfand die Lektüre der „Theorie des Films“ 2022 als „a bittersweat experience“. Bei Lena Appel und Anneliese Ostertag geht es um „The Premise of the Real in Color, Ornament, and Film“ in Op Art, Alfonso Cuarons Schwarzweißfilm ROMA und den aggressiven Farben in SPRING BREAKERS von Harmony Korine. Felix Trautmann äußert sich zur Politik eines post-anthropozentrischen Realismus in Kracauers Filmtheorie und dem Film LEVIATHAN (2012) von Lucien Castsing-Taylor und Véréna Paravel). Auch die anderen Texte sind lesenswert. Mehr zum Buch: imsinnedermaterialitaet