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11. November 2020

Scherbentanz

Chris Kraus, Absolvent der DFFB, hat seinen ersten Roman in den Jahren 2000-02 ge-schrieben, er wurde 2003 von der Frankfurter Verlagsanstalt publiziert. Jetzt ist es in einer überabeiteten Neuauflage im Diogenes Verlag erschienen. Erzählt wird das Psychodrama einer reichen Familie aus der Perspektive des Sohnes Jesko: er ist Modedesigner und an Leukämie erkrankt. Eine Knochenmarkspende könnte ihm helfen. Er wird in die Villa seiner Familie in der Nähe von Mannheim gelockt, wo sein Vater Gebhard Hyronimus von Solm, Zement-Fabrikant, und sein Bruder Ansgar das Sagen haben. Im benachbarten Tantenhaus am Seeufer liegt seine Mutter Käthe blutend und angekettet auf einer Tischtennisplatte. Sie hat versucht, ihren Ex-Mann zu erstechen. Aber sie wird gebraucht: als mögliche Spenderin für den todkranken Jesko. Er hatte seit zwanzig Jahren keinen Kontakt zu ihr. Sie ist inzwischen Alkoholikerin, obdachlos und verrückt. Die Ereignisse der nächsten Tage sind nicht vorhersehbar, es kommen viele ungewöhnliche Personen ins Spiel, Jesko als Erzähler behält mit Mühe den Überblick. Gelegentlich zieht er sich zur Seneca-Lektüre zurück, um etwas zu meditieren. Rückblenden führen uns in die Vergangenheit, in die Schulzeit der Brüder Jesko und Ansgar. Und es gibt noch eine Person im Verborgenen: die uneheliche Tochter von Gebhard, Renate. Auch sie käme als Spenderin in Frage. Es ist eine dramatische Geschichte, die Chris Kraus erzählt, die Spannung wird durch immer neue Wendungen erzeugt, wir glauben auch das Unglaubliche, weil die Sprache bildstark ist und in keinem Moment ermüdend. Kein Wunder, dass Chris seinen Roman schon 2003 verfilmt hat: mit Jürgen Vogel als Jesko, Margit Carstensen als Mutter Käthe, Nadja Uhl, Peter Davor und Andrea Sawatzki. Ein aktuelles Nachwort des Autors informiert über sein Hin und Her nach der Jahrtausendwende zwischen Literatur und Film: eine Autofahrt mit Volker Schlöndorff zu Günter Grass. Mehr zum Buch: scherbentanz-9783257071351.html