17. November 2018
Klaus Wildenhahn (1930-2018)
Nachruf in der Mitgliederversammlung der Akademie der Künste
Geboren 1930 in Bonn, aufgewachsen in Berlin, Austauschstudent in den USA, in London zum Krankenpfleger ausgebildet, ab 1960 ver-ankert in Hamburg mit wechselnden Zweitwohnungen in Berlin, Köln, Ostende. Klaus Wildenhahn war viel unterwegs. Festangestellt beim Norddeutschen Rundfunk hat er rund 40 lange Dokumentarfilme gedreht. Ich nenne – zur Erinnerung – einige Titel: Bayreuther Proben, In der Fremde, Heiligabend auf St. Pauli, Harlem Theater, Die Liebe zum Land, Emden geht nach USA, Was tun Pina Bausch und ihre Tänzer in Wuppertal?, Bln., DDR und ein Schriftsteller, Der König geht – Schloss Dresden Sommer 90, Ein kleiner Film für Bonn, Sommer 99. Es war sein letzter Film, ausgestrahlt vom ZDF auf 3sat.
Klaus war ein aufmerksamer Beobachter und neugieriger Zuhörer. Das prägte seine Filme, die zwei Themen hatten: Arbeit und Kulturpro-duktion, vor allem: Musik. Er war für den Ton zuständig, hinter der Kamera stand immer jemand, dem er vertrauen konnte: Rudolf Körösi, Rainer Komers, Wolfgang Jost und vor allem Gisela Tuchtenhagen.
Ich habe Klaus 1969 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie kenngelernt, er war Dozent, ich war Studienleiter. Wir haben in der sogenannten Wochenschaugruppe zusammengearbeitet, zu der auch Gisela Tuchtenhagen gehörte, und waren seither eng befreundet.
Über den Dokumentarfilm hat er sich viel Gedanken gemacht, ein Buch geschrieben, Seminare veranstaltet. Seine Vorbilder waren Richard Leacock und Jerzy Bossak, über die er 1984 einen eigenen Film realisiert hat.
Das Direct Cinema mit 16mm-Kamera und separatem Synchronton-gerät war für ihn die entscheidende Erfindung. Er wollte Chroniken des Alltags aufnehmen. Die Protagonisten kannten die Spielregeln: Es wurden keine Szenen arrangiert, keine Situationen für den Film wiederholt und natürlich keine Scheinwerfer aufgestellt. Privateste Bereiche blieben tabu. Zu sehen sind Momente des Alltags, Entstehungsprozesse, soziale Konflikte. Wir sind dabei nicht Voyeure, sondern Augenzeugen.
Ende der 70er Jahre war Klaus für die Fokussierung der „Duisburger Filmwoche“ auf den Dokumentarfilm verantwortlich. Die Diskussionen hatten hohes Niveau und wurden protokolliert.
„Liebe zum Fernsehen“ heißt das Buch von Egon Netenjakob über Klaus Wildenhahn aus dem Jahr 1984. Liebe zu einem Fernsehen, das es in dieser Form nicht mehr gibt.
Er war 1986 Gründungsmitglied der Sektion Film- und Medienkunst dieser Akademie, kam gern zu den Mitgliederversammlungen, liebte die Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen.
Gern erinnere ich mich an eine viertägige Veranstaltung in der Akademie der Künste am Hanseatenweg Anfang November 1989 mit Hans Dieter Grabe, Jürgen Böttcher und Klaus Wildenhahn mit dem Titel „Abenteuer Wirklichkeit“, ein spannender Disput übers Dokumentarfilmmachen.
Im November 1990 wurde Klaus Wildenhahn die Retrospektive der Leipziger Dokumentarfilmwoche gewidmet. Zu einer Retrospektive im September 2000 hat das Kino Arsenal mit Hilfe von Ulrich Gregor ein Heft über Klaus publiziert, das Kommentare zu all seinen Filmen enthält.
Bei Absolut Medien ist zu seinem 80. Geburtstag 2010 eine DVD-Box mit 14 von ihm selbst ausgewählten Filmen erschienen.
Er schätzte amerikanische Kriminalromane, schrieb gern Gedichte, konnte streitbar, aber auch ironisch debattieren und hatte natürlich eine Meinung zu politischen Fragen. Was er nicht mochte, war das Internet.
In den letzten Jahren hat er Hamburg nicht mehr verlassen. Aber man konnte mit ihm wunderbar telefonieren. Und so wird es auch seine Stimme sein, die ich – wie seine Filme – nicht vergessen werde.
Am 8. August 2018 ist Klaus Wildenhahn in Hamburg gestorben.
Berlin, Akademie der Künste, 17. November 2018