Texte & Reden
17. Juli 2018

Das große Spiel (1942)

Text für das Reclam-Buch „Der NS-Film“

Das große Spiel – es ist das fiktive Finale um die Deutsche Fußball-meisterschaft – findet am 22. September 1936 im Berliner Olympia-stadion statt. Dort treffen Gloria 03 Wupperbrück und der FC Nord aufeinander. Sie haben zuvor, nach dem k.o.-System, die anderen deutschen Mannschaften ausgeschaltet. Es gibt keine Reichs- oder Bundesliga, die Spieler sind Amateure und haben einen Hauptberuf. Wupperbrück liegt im Ruhrgebiet, die meisten Männer arbeiten unter Tage, Fußball ist ihre Leidenschaft.

Es beginnt mit einem Traum. Heini Gabler, ein Nachwuchsspieler von Gloria 03, hat ein Tor geschossen und wird von seinen Kameraden ge-feiert. Sie hängen ihm einen Kranz um. Aber dann klingelt der Wecker, und Vater Gabler holt seinen Sohn in die Realität zurück. Wie sie denn am Vorabend gespielt haben? 2:1 gewonnen, aber Heini saß nur als Ersatzmann auf der Bank. Der Vater ist ungehalten, Konflikte kündigen sich an. Schauplatzwechsel: Bahnhof Wupperbrück. Auf der Treppe stolpert eine junge Frau, ein junger Mann ist ihr behilflich. Zwei Hauptfiguren kommen so ins Spiel: Werner Fehling, bisher Obersteiger im schlesischen Gleiwitz, ist ins Ruhrgebiet versetzt worden. Er trifft dort auf viele ihm von Fußballspielen bekannte Gesichter, zum Beispiel den Bergarbeiter und Torwart Jupp Jäger. Die stolpernde Frau ent-puppt sich als Grete Gabler, mit Jupp locker liiert, aber von Werner spontan entzückt. Dass die beiden auf der Bahnhofstreppe ihre Koffer vertauscht haben, öffnet der Dramaturgie neue Möglichkeiten; eine Zimmerwirtin drängt sich in den Vordergrund, eine Freundin von Grete mischt sich ins Geschehen ein, der Fußballtrainer Wildbrandt freut sich über die Verstärkung seiner Mannschaft durch Werner, den er offenbar gut kennt. Die Schauplätze wechseln relativ schnell: das Schuhgeschäft, in dem Grete arbeitet, die Trainingshalle in einer leer stehenden Fabrik, das Vereinslokal, aus dem sich eine Jungensgruppe mit dem Hitlergruß verabschiedet, die dunklen Arbeitsplätze unter Tage, das kleine Haus der Familie Gabler, deren Mutter verstorben ist.

Ein Zeitsprung: auf der Rückreise von Stettin, wo das Viertelfinale von der Mannschaft aus Wupperbrück gewonnen wurde, macht Werner in Berlin Station und führt mit seiner Freundin Annemarie, einer Kinder-fotografin, ein Abschiedsgespräch. Er will frei sein für Grete. Außerdem hat Annemarie kein Interesse am Fußball, sie war noch nie im Stadion. Aber: sie wollen Freunde bleiben… Nächste Station: Dresden. Gloria 03 gewinnt das Halbfinale gegen die Sportfreunde Dresden 3:1, ein ent-scheidendes Tor erzielt Werner. Bei der anschließenden Feier im Klub-haus gibt es nach den Reden ein musikalisches Programm: zuerst den Foxtrott „Was macht die Fußballbraut am Sonntagnachmittag?“, und dann verbrüdern sich die Mannschaften bei dem Lied „Elf Kameraden und ein Gedanke: Glauben an den Sieg!“ Schon in dieser Szene ist das Konkret-Sportliche mit dem Allgemein-Politischen vermischt. Und je länger der Film dauert, desto stärker wird dies betont.

Aber vor dem Endspiel in Berlin ist aber noch eine Katastrophe zu be-wältigen: ein Grubenunglück, bei dem Werner und Jupp eingeschlos-sen werden. Jupp erzählt von seiner Liebe zu Grete, Werner gerät in die Defensive. Beide werden gerettet. Grete ist zum Schauplatz geeilt, sie entscheidet sich vor Ort für ihre Liebe zu Jupp. Doch die Eifersucht zwischen den beiden Männern verlängert sich bis zum Endspiel in Berlin. Zum Spielbeginn erfolgt ein technisch-ästhetischer Bruch: die letzten 15 Minuten sind in Agfacolor.

Das Spiel ist natürlich ausverkauft. Auch Grete und Annemarie sind im Stadion. Der FC Nord spielt zunächst überlegen und führt zur Halbzeit 2:0. In der Pause geraten Werner und Jupp einander, Werner verletzt sich am Fuß, Wupperbrück spielt mit zehn Mann weiter. Ersatzspieler durften damals noch nicht eingewechselt werden. Dann geht ein Traum in Erfüllung: Heini Gabler schießt zwei Tore. Außerdem hält Jupp einen Elfmeter. Es gibt eine Spielverlängerung, das nächste Tor entscheidet. Der verletzte Werner kommt wieder auf den Platz. Nach vier Minuten schießt er das Tor zum 3:2. Der Jubel ist groß, viele Menschen rennen aufs Spielfeld, auch Grete und Annemarie, die eine umarmt Jupp, die andere Werner. Am Ende flattert eine weißblaue Fahne über die Leinwand.

Die Botschaften des Films? Es sind die gewünschten für die NS-Politik der Zeit. Nur gemeinsam ist man stark. Männer müssen zusammen-halten. Einer für alle, alle für einen. Persönliche Konflikte gehören nicht aufs Spielfeld (wie auch nicht auf die politische Bühne). Indivi-duelle Wünsche müssen unterdrückt werden. Die moralischen Werte gelten auch über die Generationsgrenzen hinweg. Sport und Politik haben gemeinsame Ziele. Es gibt, bei glücklichem Ausgang, eine geschlossene Volksgemeinschaft. Auch wenn nationalsozialistische Symbole nur am Rande zu sehen sind: das letzte Bild ist eine siegreiche Fahne.

Die Musik von Michael Jary ist von Anfang an mit Pathos und Span-nungsförderung aufgeladen. Ein Fußballmarsch wird zum Höhepunkt bei der Siegesfeier in Dresden. Da heißt es (im Text von Bruno Balz): „Elf Kameraden und keiner wanke / im Glauben an den Sieg! / Wie ein Mann geht die wilde Jagd / ans Leder ran! / Und dann: ‚Hinein!’ / Und dann: ‚Hinein!’ / Keiner kämpfe für sich alleine, / wir haben zweiund-zwanzig Beine ! / Und dann: ‚Hinein!’ / Und dann: ‚Hinein!’ / Da gibt’s keinen, der uns halten kann, / wir stürmen los, wir greifen an! / Das ist Musik für uns, / wenn die Tribünen schrei’n: / ‚Hinein! Hinein! Hinein!’“. Das singen am Ende die Sportfreunde aus Wupperbrück und Dresden gemeinsam.

Bei den Schauspielern stehen natürlich die Männer im Vordergrund. René Deltgen als Obersteiger und Mittelstürmer ist unter Tage und auf dem Spielfeld eine klare Leitfigur. Im Umgang mit Frauen macht er Fehler, und das bringt ihm nicht nur Sympathien ein. Heinz Engel-mann als Bergarbeiter und Torwart ist eine insgesamt positive Person, muss aber bis zum Ende um seine Liebe zu Grete bangen und kämpfen. Als er schließlich einen Elfmeter hält, liegen ihm alle zu Füßen. Gustav Knuth als Trainer Wildbrandt hat uns von Anfang an auf seiner Seite. Seine Zurückhaltung beim Endspiel am Spielfeldrand ist bewunderns-wert. Für Adolf Fischer als Nachwuchsspieler Heini Gabler gehen alle Träume in Erfüllung: zwei Tore in einem Endspiel! Undankbar ist die Rolle des Fotografen Richter für Karl Schönböck. Er kann nicht gewinnen. Josef Sieber als Vater Gabler agiert als Opponent gegen den „Neuen“ (Werner) und ist erst am Ende fröhlich, wenn er im Vereins-lokal am Radio den Sieg von Gloria 03 erlebt. Zwei Darstellerinnen – Maria Andergast und Hilde Jansen – müssen sich als Kinderfotografin Annemarie und Schuhverkäuferin Grete in dieser Männerwelt positionieren; das gelingt ihnen akzeptabel. Als prominente Zuschauer beim Endspiel sind der Boxer Max Schmeling, der Schauspieler Hans Söhnker, die Fußballer Sepp Herberger und Hanne Sobeck zu sehen. Und Fritz Walter (1. FC Kaiserslautern) ist einer von vielen bekannten Spielern auf dem Reichssportfeld.

Der Clou des Films ist natürlich der Übergang von Schwarzweiß zur Farbe. Zunächst sehen wir ein Plakat, dann den Aufkleber „Aus-verkauft“, dann eine Totale des Olympiastadions. Der grüne Rasen, die bunten Zuschauertribünen, der blaue Himmel – der Kontrast zur Arbeitswelt der Kohleförderer ist extrem. Und auch die Montage der originalen Aufnahme des Endspiels 1941 mit den nachgedrehten Reaktionen ausgewählter Zuschauer funktioniert gut. Der Rundfunk-reporter Rolf Wernicke sorgt am Mikrofon für Spannung und Information. An einem Happyend für Wupperbrück hat ohnehin kein Kinozuschauer einen Zweifel.

Für diesen glücklichen Ausgang der Handlung nimmt sich der Film erstaunlich wenig Zeit. Zwischen dem Abpfiff und dem Wort „Ende“ bleiben 80 Sekunden, in denen wir den humpelnden Werner im Kreis seiner Mannschaft sehen, der Reporter den Satz „Gloria heißt der neue deutsche Fußballmeister“ ins Mikrofon ruft, die Radiohörer in Wup-perbrück sich in die Arme fallen, Heini einen Kranz (mit Hakenkreuz) über die Schultern gehängt bekommt, Annemarie und Grete zu ihren Männern aufs Spielfeld laufen und die jubelnden Zuschauer das Bild füllen. Das Spiel ist entschieden, individuelle Glücksgefühle verlieren in den letzten Bildern ihre Bedeutung, die Musik bringt die gemeinsame Zielrichtung auf den Punkt: „Hinein! Hinein!“.

Es gibt Koinzidenzen zwischen Sport und Politik, die einem bestimm-ten Tag zu historischer Bedeutung verhelfen können. Am 22. Juni 1941 fand in Berlin das Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft zwischen Rapid Wien und Schalke 04 statt, das Wien mit 4:3 gewann (und aus dem Szenen in den Film integriert sind). An diesem 22. Juni 1941 erklärte Hitler der Sowjetunion den Krieg.

Das große Spiel

D 1942; s/w und Farbe; 80 / 85 min. – R: Robert A. Stemmte – P: Oskar Marion (Bavaria Filmkunst) – B: Robert A. Stemmle, Richard Kirn – K: Bruno Stephan (s/w), Erich Rossel (Farbe) – M: Michael Jury – D: René Deltgen (Werner Fehling), Gustav Knuth (Karl Wildbrandt), Heinz Engelmann (Jupp Jäger), Josef Sieber (Vater Gabler), Maria Andergast (Annemarie Sand), Karl Schönböck (Fotograf Richter), Hilde Jansen (Grete Gabler), Adolf Fischer (Heini Gabler).

Literatur:

Thomas Ernst: Das große Spiel. In: Kai Marcel Sicks / Markus Stauff (Hg.): Filmgenres. Sportfilm. Stuttgart 2010. – Jan Tilman Schwab: Fußball im Film. Lexikon des Fußballfilms. München 2002. – Ulrich von Berg: „Das große Spiel“, der beste Fußballfilm aller Zeiten. In: Steadycam Nr. 23, Dezember 1992.

Friedemann Beyer/Norbert Grob (Hg.): Der NS-Film. Ditzingen: Reclam 2018, S. 367-372.