Texte & Reden
12. Oktober 2017

Fragile Gewächse

Text für den Filmdienst

Große deutsche Buchverlage hatten in den 1980er und 90er Jahren noch eigene Filmbuchreihen, wir erinnern uns gern an die blaue Reihe Film des Hanser Verlages, an Fischer Cinema oder die Heyne Film-bibliothek. Sie sind inzwischen alle eingestellt worden. Für Stabilität im Bereich der Filmliteratur sorgen jetzt kleinere Unternehmen: der Schüren Verlag in Marburg, die edition text + kritik in München, die Verlage Bertz + Fischer und Vorwerk 8 in Berlin. Neben Einzelbänden publizieren sie jeweils mehrere Filmbuchreihen.

Die älteste Reihe in Deutschland heißt CineGraph-Buch, sie existiert seit 1989. In jedem Herbst erscheint bei edition text + kritik ein neuer Band, der die Beiträge des Hamburger CineGraph-Kongresses des vergangenen Jahres dokumentiert. Initiator und Gründer ist Hans-Michael Bock. Angefangen hat es mit vier Regisseurs-Bänden (Reinhold Schünzel, Richard Oswald, Joe May, E. A. Dupont), seit 1993 sind europäische Länder, Filmstudios, Genres und Schauplätze die Themen. Zuletzt erschien der Band „Film-Bühne Hotel“, im November werden Filmautoren im Exil behandelt: „Ach, sie haben ihre Sprache verloren“. Die Beiträge haben immer ein sehr hohes Niveau.

Ein paar Jahrzehnte älter ist Cinema, das Jahrbuch des Schweizer Films. Das gibt es seit 1955, es hat sich natürlich in der Form sehr verändert, als Kern ist die Dokumentation des Filmjahres erhalten geblieben. Seit langem gibt es jeweils ein Schwerpunktthema, das aus verschiedenen Perspektiven dargestellt wird. Zuletzt hießen die Themen: Sicherheit, Schön, Stadt, Politik, Bewegt, Begrenzungen, Manipulation, Ende, Rausch, Verwandlung und Problemzone. Seit 2004 wird Cinema vom Schüren Verlag publiziert. Das Thema des nächsten Bandes ist „Zukunft“.

Auch in Österreich gibt es eine Filmbuchreihe, sie hat den etwas spröden Namen „FilmmuseumSynemaPublikation“, existiert seit 2005, richtet ihren Blick vor allem auf das Werk von Regisseurinnen und Regisseuren – Claire Denis, James Benning, Apichatpong Weerasethakul, Romuald Karmakar, Dominik Graf, Hou Hsiao-hsien, Jean-Marie Straub & Danièle Huillet, Ruth Beckermann – , fällt durch ihr fast quadratisches Format auf und ist für mich eine Reihe, die ich besonders gern empfehle. Anfang 2018 erscheint Band 31: das Lexikon „The Real Eighties“ zum amerikanischen Kino der Achtziger Jahre, herausgegeben von Lukas Foerster und Nikolaus Perneczky.

Die höchste Titelzahl (78) haben inzwischen die Marburger Schriften zur Medienforschung erreicht, die seit 2008 im Schüren Verlag erscheinen. Man findet dort viele Dissertationen, aber auch gesammelte Essays zu Regisseuren (James Grey, Abbas Kiarostami, Wolfgang Staudte) und Genres (Science-Fiction, Horror, Melodram). Zuletzt sind hier zwei Bücher über Storyboarding und Nonnen im Film publiziert worden. Gesamtherausgeberin ist die Verlegerin Annette Schüren.

Auch die Reihe „Filmstudien“, gegründet von Thomas Koebner, kommt mit inzwischen 72 Bänden auf eine hohe Zahl. Es gibt sie seit 1996, sie erschien zunächst im Gardez! Verlag in Remscheid und ist 2011 zum Nomos Verlag nach Baden-Baden gewechselt. Als Herausgeber fungieren inzwischen Oksana Bulgakowa und Norbert Grob. Es sind vor allem Examensarbeiten (Dissertationen, Magisterarbeiten) des Instituts für Filmwissenschaft an der Universität Mainz, die hier publiziert werden. Demnächst dürfen wir eine Werkanalyse über Atom Egoyan von Julia von Lucadou erwarten.

Die Reihe Film-Konzepte, ebenfalls gegründet von Thomas Koebner, beheimatet bei der edition text + kritik, nähert sich ihrem 50. Band. Inzwischen sind Fabienne Liptay (Zürich), Michaela Krützen und Johannes Wende (München) die Herausgeber der Reihe. In jedem Jahr erscheinen vier Bände, die jeweils dem Werk einer Person gewidmet sind, zuletzt waren dies Bernd Eichinger und Chantal Akerman. In diesem Herbst wird Luchino Visconti gewürdigt, dann folgt Ken Loach, und der Jubiläumsband nimmt Wim Wenders ins Visier.

Nicht auf Personen, sondern auf Motive und Schauplätze richtet die Reihe Projektionen den Blick. Sie erscheint ebenfalls bei edition text + kritik und wird inzwischen von Hans Richard Brittnacher herausge-geben. Themen der letzten Bände waren Ekstase, Kindheiten, Gespenster, Verräter, Inseln. Band 11 heißt „Schauplatz Berlin“ und darf im kommenden Jahr erwartet werden.

Seit mehr als zwanzig Jahren verantwortet der Verlag Vorwerk 8 zwei Buchreihen. Texte zum Dokumentarfilm (seit 1996, bisher 19 Bände) beschäftigt sich auf höchstem Niveau mit den Schwierigkeiten dokumentarischer Filmarbeit. Bei vier Bänden war Gabriele Voss Autorin oder Herausgeberin, viermal hat Eva Hohenberger diese Aufgabe erfüllt. Der bisher letzte Band enthielt Texte von Raymond Depardon („Irrfahrt“, 2016). Traversen (seit 1995, bisher 15 Bände) widmet sich wichtigen Phasen der europäischen Filmgeschichte, theoretische Einflüsse kommen von Hermann Kappelhoff (Berlin) und Bernhard Groß (Wien). Besonders beeindruckend war der Band „Eine offene Geschichte des Kinos“ von Ilka Brombach“ (2014).

Vor 24 Jahren erschien der erste Band der Reihe Filmgeschichte international, herausgegeben von Uli Jung in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque de la Ville de Luxembourg im Wissenschaftlichen Verlag Trier: „Der deutsche Film. Aspekte seiner Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart“; er dokumentierte die Beiträge einer Tagung, die 1991 in Luxemburg stattgefunden hat. Inzwischen sind in dieser Buchreihe 24 Bände erschienen, zuletzt 2017 die Dissertation von Andrea Heller über „Frühes Kino in Deutschland“. Man sollte diese Reihe im Auge behalten.

Große Bedeutung hat die Schriftenreihe der DEFA-Stiftung, in der aus verschiedenen Perspektiven die Geschichte des DDR-Films aufge-arbeitet wird. Über 30 Titel sind bisher publiziert worden, seit 2013 ist der Verlag Bertz + Fischer für die Reihe zuständig, die in Ralf Schenk einen sachkundigen Begleiter hat. Die letzten beiden Bände waren eine Würdigung des Regisseurs Rainer Simon („Die Zeit, die Welt und das Ich“) und ein Bildband des inzwischen verstorbenen Kameramannes Roland Gräf („Meine LAST PICTURE SHOW“). Im Frühjahr wird eine Dokumentation über die DDR-Filmplakate 1945 bis 1990 erscheinen („Mehr Kunst als Werbung“).

Mit dem beeindruckenden Buch „Wie der Film unsterblich wurde“ von Rolf Aurich und Ralf Forster wurde 2015 die Reihe Film-Erbe eröffnet, die Chris Wahl in der edition text und kritik herausgibt. Band 2 beschäftigte sich mit dem Werk von Dziga Vertov („Kollision der Kader“). Geplant sind Publikationen über die Amateurfilmkultur in der DDR, das Studentenfilmarchiv der HFF „Konrad Wolf“ und die Verwendungsgeschichte von Filmen und Filmsequenzen aus der Nazizeit.

Der Reclam Verlag verabschiedet sich von seinen Filmbuchreihen. „Tierfilm“, herausgegeben von Ingo Lehmanns und Hans Jürgen Wulff (2016), war der 18. und letzte Band der Reihe Filmgenres. Die Biografien-Reihe von Thomas Koebner (Roman Polanski, Edgar Reitz, Steven Spielberg) wird nicht fortgesetzt. Und die Reihe Stilepochen des Films, herausgegeben von Norbert Grob mit Partnern, wird nach dem vierten Band zum NS-Film (Frühjahr 2018) abgebrochen. Das finde ich sehr bedauerlich.

Die Reihe Aufblende, 1990 gegründet von Heinz B. Heller und Knut Hickethier, wird es weiter geben. Bisher sind 17 Bände erschienen, zuletzt „Die Hamburgische Dramaturgie der Medien“, herausgegeben von Julia Schumacher und Andreas Stuhlmann. Eine Werkbiographie über Egon Monk von Julia Schumacher folgt im Frühjahr 2018.

1995 hat Christine N. Brinckmann die Reihe Zürcher Filmstudien gegründet, die zunächst im Chronos Verlag erschien und 2001 zum Schüren Verlag wechselte. Inzwischen gibt es 39 Bände, die von der beeindruckenden Arbeit des Instituts für Filmwissenschaft der Universität Zürich Zeugnis geben. Herausgeber sind jetzt Jörg Schweinitz und Margrit Tröhler. Mein Favorit? „Farbe, Licht, Empathie“ von Christine N. Brinckmann. Angekündigt ist ein Band über „PostProduction“, herausgegeben von Fabienne Liptay.

Das jährlich stattfindende Bremer Symposium zum Film wird in einer eigenen Buchreihe dokumentiert, die der Verlag Bertz + Fischer publiziert. Zuletzt ist als Band 15 „Kino und Kindheit“ erschienen, herausgegeben von Bettina Henzler und Winfried Pauleit. In Vorbereitung ist der Band über „Film als Forschungsmethode“.

Die wichtigste Filmbuchreihe bei Bertz + Fischer heißt Deep Focus, es gibt sie seit 2009, bisher sind 25 Bände erschienen, beginnend mit „Hollywood heute“ von Thomas Elsaesser, zuletzt gab es Texte zum Kino der Moderne von Norbert Grob und Bernd Kiefer („Bruch der Weltenlinie“) und über den Film als Medium gesellschaftlicher Konfliktbearbeitung von Jörn Ahrens („Einbildung und Gewalt“). Angekündigt sind Publikationen über Ida Lupino und über die Aneignung von Vergangenheit durch Filme und ihre Zuschauer.

Medien/Kultur ist die dritte Filmbuchreihe bei Bertz + Fischer, seit 2010 wurden hier zehn Bände publiziert, zuletzt die Dissertation von Lars Robert Krautschick „Gespenster der Technokratie“. Demnächst erscheinen die Bände „Radikale Erschütterungen“ von Susanne Kappesser und „Vom Abbild zum Affekt“ von Thomas Morsch. Als Herausgeber der Reihe fungiert Marcus Stiglegger.

Zwei Filmbuchreihen werden von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen in Kooperation mit der Stiftung Deutsche Kinemathek herausgegeben. Film & Schrift erinnert an Persönlichkeiten der deutschen Filmkritik, die jüngsten Bände waren Brigitte Desalm und Wilfried Berghahn gewidmet. Ein umfangreicher Essay würdigt jeweils die filmkritische Arbeit, im Hauptteil werden Texte aus unterschiedlichen Lebensphasen dokumentiert. Band 21 ist für den kommenden Sommer geplant und beschäftigt sich mit Peter W. Jansen.

Filit ist der Titel der zweiten Reihe, die Aurich und Jacobsen edieren. Sie erscheint seit 2007 im Berliner Verbrecher Verlag, es gibt bisher 16 Titel, die beiden letzten waren eine Monografie über den Filmproduzenten Helmut Schreiber, der als Zauberer „Kalanag“ Karriere gemacht hat (Autor: Rolf Aurich), und Reflexionen über „Spiegelungen“ im Film (Autor: Jörg Becker). Geplant ist ein Band über den DDR-Dokumentaristen Hans Wintgen.

Der Verlag Wilhelm Fink in Paderborn offeriert zwei Filmbuchreihen. Directed by ist Regisseuren gewidmet. Es sind bisher Bände über Stanley Kubrick, David Lynch, Alfred Hitchcock und Quentin Tarantino erschienen, in Planung befinden sich Martin Scorsese und Michael Haneke. Eine wichtige Rolle spielen hier als Herausgeber Susanne Kaul und Jean-Pierre Palmier. Mit hohem theoretischem Anspruch ist die Reihe Film Denken verbunden. Zuletzt wurden die Bücher „Zwischen Raubtier und Chamäleon“ mit Texten von Gertrud Koch und „Die Leinwand“ von Dennis Göttel publiziert, geplant sind Bände über Jean-Luc Godard und Andy Warhol.

In aller Kürze verwiesen sei noch auf die Reihen Cadrage, herausge-geben von Ursula von Keitz im Verlag V & R Unipress (bisher drei Bände), On location im Schüren Verlag (vier Bände), Schriftenreihe zur Textualität des Films, ebenfalls im Schüren Verlag (neun Bände) und die Regisseurs-Reihe Sein Leben, seine Filme im Knesebeck Verlag (bisher fünf Bände).

Und was wird aus dem Lexikon des Internationalen Films, wenn zum Jahresende die Printausgabe des „Filmdienstes“ eingestellt wird? Zumindest für 2018 ist das Erscheinen gesichert. Es gibt die Hoffnung, dass das Lexikon in veränderter Form fortbestehen wird. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Das betrifft auch all die anderen Filmbuch-reihen, die ich hier kurz und knapp vorgestellt habe. Sie sind die Grundlage für einen Filmbuchmarkt, der fragil ist. Ein Filmbuch in der Hand zu haben und zu lesen, ist für mich aber noch immer so unverzichtbar wie der regelmäßige Kinobesuch.

Filmdienst, 12. Oktober 2017, Nr. 21