Texte & Reden
07. Dezember 2016

Laudatio auf Claudia Dillmann

Anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes

Sehr geehrter Herr Staatsminister Rhein, sehr verehrte Frau Dr. Hartwig, sehr geehrter Herr Dr. Hensel, liebe Claudia, meine Damen und Herren,

es ist für mich eine Ehre und eine schöne Aufgabe, heute eine Laudatio zu halten, also ein Loblied zu singen, auf Dich, liebe Claudia, mit der ich viele Jahrzehnte kollegial verbunden war. Als Direktor der Deutschen Kinemathek in Berlin habe ich Deine Arbeit und Deine Erfolge in Frankfurt und Wiesbaden, zuerst als Kuratorin, dann als stellvertretende Direktorin des Deutschen Filmmuseums, als Direktorin des Deutschen Filminstituts und nach der Fusion der beiden Institutionen als Direktorin des gemeinsamen Hauses mit Respekt und Bewunderung verfolgt. Ja, manchmal kam auch Konkurrenzneid auf, denn in Berlin mussten wir bis zur Eröffnung unseres Filmmuseums viele Umwege gehen. Ihr wart uns in Frankfurt um Jahre, genauer: um 16 Jahre, voraus.

Als Du 1989 das Archiv des Produzenten Artur Brauner für das Deutsche Filmmuseum akquiriert hast, war das für uns zunächst ein Schock. Hatten wir als Berliner Institution nicht ein Vorrecht auf dieses Archiv? Aber Du hattest da keinen Überraschungscoup gelandet, sondern mit persönlichem Einsatz ein stabiles Fundament gelegt: Du hast den Katalog für die Artur Brauner-Ausstellung erarbeitet und die Ausstellung konzeptioniert und kuratiert, die 1990 im Deutschen Filmmuseum eröffnet wurde. Eine herausragende Publikation, eine beeindruckende Ausstellung.

In Berlin haben wir zu dieser Zeit den Fall der Mauer und die deutsche Einigung erlebt. Wir mussten uns von den Plänen eines Filmmuseums im ehemaligen Hotel Esplanade verabschieden und zehn Jahre auf den Bau des Sony-Centers warten. Manchmal hat mich der Berliner Blick nach Frankfurt an das Märchen vom Hasen und vom Igel erinnert. Ihr wart immer schon da, wir waren atemlos auf der Strecke unterwegs.

Seit 1978 gibt es den Deutschen Kinematheksverbund, dem anfangs das Bundesarchiv, das DIF und die Deutsche Kinemathek angehörten. In den 80er Jahren wurden das Deutsche Filmmuseum, das Münchner und das Düsseldorfer Filmmuseum, in den 90er Jahren CineGraph Hamburg und das Potsdamer Filmmuseum kooptiert. Du kamst als Direktorin des DIF in den Kreis, der sich zweimal im Jahr trifft. Natürlich hast Du die Interessen Deines Hauses vertreten, aber das geschah mit großer Kompetenz und vor allem auch mit dem Blick auf Zusammenhänge, auf mögliche Kooperationen.

Die Herausforderungen an den Verbund sind in den letzten Jahren angesichts der Verantwortung für das deutsche Filmerbe und der medialen Veränderungen durch die Digitalisierung größer geworden. Ich denke, dass Du da eine Schlüsselrolle spielst, und vertraue Deiner Erfahrung und Deinem Verantwortungsgefühl.

Vor allem zwei Projekte, die Du initiiert hast, habe ich in ihrer Entwicklung verfolgt: Das Festival „goEast“ in Wiesbaden und die Internet-Plattform „filmportal.de“.

Es war ein wichtiger Schritt, den mittel- und osteuropäischen Film mit einem Festival in der westlichen Bundesrepublik präsent zu machen. Das geschieht seit 2001, und der Erfolg ist aus meiner Sicht beeindruckend. Du hast damals gesagt: „Es ist an der Zeit, sich zu öffnen. Für Gedanken, Bilder, Mythen und Geschichten der östlichen Nachbarn. Für ihre Kultur. Für ihre Filme“.Dieses „Sich öffnen“ prägt Dein Denken und Handeln. Es geht Dir nicht nur um das Bewahren unseres Filmerbes, sondern auch um die Gegenwart und Zukunft des Films und der Kultur in Europa.

Mit der Internet-Plattform „filmportal.de“ hast Du 2005 eine in unserem Land neue Informationsquelle zum deutschen Film initiiert. Inzwischen findet man dort zu mehr als 90.000 Filmen und zu fast 200.000 Personen kostenfrei die wichtigsten Fakten. Ich nutze die Quelle oft, ich kann einschätzen, wie viel Arbeit dafür geleistet werden muss. Ich weiß, dass Du das Portal weiter entwickeln willst, ich bin sicher, Ihr werdet damit erfolgreich sein.

Du hast Dich viele Jahre im Verband der europäischen Filmarchive ACE engagiert. Von 2004 bis 2012 warst Du Präsidentin der ACE. Immer schaust Du über die Stadt, in der Du lebst, und das Land, in dem Du arbeitest, hinaus. Weil es notwendig ist, in einem größeren Zusammenhang Verantwortung zu übernehmen und die Zukunft mitzudenken.

Ein folgenreicher Schritt war der Umbau des Filmmuseums, der vor fünf Jahren mit der Neueröffnung zunächst abgeschlossen wurde. Die architektonischen Einschränkungen des Hauses wurden damit eindrucksvoll überwunden, die Attraktivität des Filmmuseums ist noch größer geworden und die neu entwickelte Dauerausstellung ist beispielhaft. Respekt!

Die Sonderausstellungen der letzten Jahre haben weit über Frankfurt hinaus Aufmerksamkeit erregt, ich denke nur an Film & Games, Kinofotografien, Fassbinder Jetzt, den filmischen Surrealismus, die Oscars, Charlie Chaplin oder den Film Noir. Einige Ausstellungen Eures Hauses touren um die Welt, ich nenne in diesem Zusammenhang speziell die Stanley Kubrick-Ausstellung, die von Anfang an eine Attraktion war. Sie beweist, dass in Frankfurt international gedacht wird. Und es gibt virtuelle Ausstellungen, die man im Netz sehen kann: Curd Jürgens, Volker Schlöndorff.

Nicht zu vergessen: das Kino im Filmmuseum, in dem wir Dich heute feiern, mit all seinen Programmreihen, die sich zu einem Spektrum der weltweiten Filmgeschichte fügen. Dieses Kino richtet aber auch einen speziellen Fokus auf unser Land, wenn monatlich ein Werkstattgespräch zum Thema „Was tut sich im deutschen Film?“ stattfindet. Es ist ein Ort des Sehens und Erlebens, des Denken und Redens. Der Ort hat sich – seit der Gründung des Kommunalen Kinos 1971, mit der ersten Spielstätte im Theater am Turm und der zweiten im Historischen Museum – sehr verändert. Wer sich an die alten Orte erinnert, weiß das zu schätzen.

Natürlich sind all diese Aktivitäten nur möglich, wenn die Direktorin ein verlässliches Team hat, auf das sie sich verlassen kann, das mitdenkt, selbständig handelt, Verantwortung übernimmt. Zwei Deiner Mitarbeiter kenne ich besonders lange: Winfried Günther und Hans-Peter Reichmann. Sie sehe ich in ihrer Identifikation mit dem Haus beispielhaft für ein Team. In den verschiedenen Bereichen sind in Frankfurt und Wiesbaden insgesamt 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Das ist, gemessen an den vielen Aktivitäten, keine sehr große Zahl. Man wünscht dem Haus – und seiner Direktorin – auch hier ein Wachstum.

Damit kommen wir zu einem schwierigen Terrain: der Politik. Deinen Einstieg in den Film hattest Du, liebe Claudia, zu den Zeiten des von mir sehr verehren Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann, der Dich später auch zur Direktorin des DIF berufen hat. Wie schön, dass er heute hier ist.

Inzwischen wirken Stadt, Land und Bund an der Finanzierung mit, und die Zuwendungen wachsen nicht automatisch. Für ein so großes Haus sind Mittel einzuwerben, die Kulturhaushalte sind begrenzt, Sponsorengelder kommen nicht von selbst, auch der Freundeskreis will gepflegt werden. Das kann man als Direktorin nicht delegieren, das muss man selbst in die Hand nehmen. (Und wir wollen uns lieber nicht daran erinnern, dass eine Kulturdezernentin 1993 das Kommunale Kino ganz abschaffen wollte…). Die Kommunikation in den Bereichen Politik und Wirtschaft ist eine ganz eigene Profession. Sie erfordert Zeit, Geduld und gute Argumente. Das ist eigentlich Dein Kerngeschäft.

Dass Du es dann noch geschafft hast, einen Masterstudiengang zur Archivierung, Programmierung und Präsentation der Filmkultur mit der Goethe-Universität ins Leben zu rufen und die Studierenden hier im Haus selbst zu unterrichten, ist aller Bewunderung wert.

Und es erstaunt mich immer wieder, wie groß der filmhistorische Horizont ist, den Du im Blick hast oder an den Du Dich heranarbeitest. Er reicht von Eisenstein bis in die Gegenwart, von Hans Poelzig bis zum Neuen Deutschen Film. Und niemand weiß wohl soviel wie Du über das Jahrzehnt des bundesdeutschen Films, in dem Du geboren bist. Deine Publikationsliste ist beeindruckend.

Einerseits hast Du ein schönes Büro im fünften Stock des Filmmuseums mit Blick auf den Main, anderseits gehört eine Ubiquität, eine Präsenz an vielen Orten zu Deinen Verpflichtungen. Es verdient den größten Respekt, dass Du bei all diesen Erfordernissen den Überblick und die Haltung bewahrst, die für die Leitung eines so großen und wichtigen Hauses notwendig sind. Deine Tätigkeit hat die Filmkultur in der Bundesrepublik Deutschland bereichert. Deshalb ist es konsequent, dass Du heute mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wirst. Ich gratuliere Dir dazu.

Frankfurt am Main, 7. Dezember 2016, Kino des Deutschen Filmmuseums

(Foto: Anna Meuer)