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05. Dezember 2015

Ottokar Runze

2015.RunzeIn einer Reha-Klinik an der Ostsee, ausgestattet mit Krücken und einem Rollstuhl, denkt Ottokar Runze (*1925) an wichtige Stationen seines Lebens zurück. An sein Elternhaus, die erste Liebe, den Besuch der Offiziersschule, den Einsatz in den letzten Kriegswochen, die Gefangenschaft, die Tätigkeit als Landarbeiter auf einem Hof in Vierlande, den Entschluss, nach Berlin zu gehen, wo er die Schauspielschule am Deutschen Theater besucht und erste kleine Rollen spielt, bis er sich einer Demonstration für Wilhelm Pieck verweigert und das Theater verlässt, nach Salzburg geht, das Europastudio leitet, mit einer Truppe aus Afrika großen Erfolg hat, der sich in Paris und Brüssel fortsetzt, wieder nach Berlin zieht, dort zunächst ein kleines Theater leitet, dann zum Film wechselt, als Autor, Regisseur und Produzent Erfolge und Misserfolge hat und schließlich, von der Reha nach Berlin zurückgekehrt, in seinem Archivkeller darüber nachdenkt, was mit all den dort verwahrten Dingen passieren soll. Runzes Text ist keine klassische Autobiografie, sondern eine literarische Reflexion über Haltung, Bewusstsein und Verantwortung in Deutschland in den 1940er Jahren und danach, über Schuld und Scham angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus, über die Ästhetik des Theaters und die Arbeit für den Film. In einem ständigen Wechsel zwischen „Ich“ und „Er“, zwischen Gegenwart und Vergangenheit gibt uns der Autor Einblick in sein Denken und Fühlen. Am Ende spricht er auch von seinen wichtigsten Filmen, ohne die Titel zu nennen, zum Beispiel von DER LORD VON BARMBECK und VERLORENES LEBEN und, sehr ausführlich, von dem nicht realisierten Projekt „Die vierzig Tage des Musa Dagh“, nach dem Roman von Franz Werfel über den Völkermord an den Armeniern im Jahr 1915. Ein beeindruckender Text. Coverfoto: Ottokar Runze mit seiner Mutter im April 1945 (Foto: Gudrun Hommers). Mehr zum Buch: leselust/ und dann zum Runze-Titel scrollen.