Aktuelles
15. Oktober 2015

Die alte Tante ist noch munter…

Text für den Filmdienst 

I. Gefährdet, aber beharrlich

In Deutschland erscheinen in jedem Jahr rund 200 Filmbücher: Biografien, Bildbände, Anthologien, Dissertationen. Das ist eine erstaunlich hohe Zahl, noch immer, wobei in ihr die Publikationen zum Fernsehen und zur Medienwissenschaft nicht enthalten sind. Filmbücher haben freilich meist eine kleine Auflage, man findet sie in den Bestsellerlisten nur, wenn ein großer Star eine Autobiografie verfasst hat. Zur Vielfalt unserer Filmliteratur tragen viele Verlage bei, es gibt mehr als 30 spezielle Filmbuchreihen, allerdings ist ihre Existenz von Förderungen abhängig, die nicht automatisch gewährt werden.

Vor 20 oder 30 Jahren war das Interesse an Filmbüchern größer, sie hatten im Durchschnitt höhere Auflagen, aber schon damals machte sich die Konkurrenz der Video-Kassette bemerkbar, die später dann von DVD und Blu-ray abgelöst wurde. Das Verlegerpaar Katrin Fischer und Dieter Bertz, das 1996 in Berlin einen Filmbuchverlag gründete, beschreibt die Tendenz: „Filmbücher waren früher Erinnerungs- und Vertiefungsmedium, aber auch Sammlerobjekt. Diese Rollen haben DVD und Blu-ray übernommen. Hinzu kommt, dass sich Diskussionen über Filme ins Internet verlagert haben. Filmbücher, wenn sie sorgfältig gemacht und inhaltlich anspruchsvoll sind, können eigentlich nur noch in Kooperation mit Institutionen und mit Zuschüssen produziert werden.“ Ähnlich, aber bildhafter formuliert es die Verlegerin Annette Schüren, seit 20 Jahren Geschäftsführerin ihres Verlags in Marburg: „Das Buch ist die gute alte Tante, die auch immer zu den Festen kommt, auf denen die freie Verfügbarkeit des Weltwissens – online und umsonst – gefeiert wird. Aber ich denke, die alte Tante ist noch munter, wenn die jungen Neffen und Nichten erschöpft von der Dauerparty der informativen Reizüberflutung den Überblick verloren haben.“ Andererseits: „Es ist ja kein Geheimnis, dass die Auflagen sinken.“ (Zitiert aus Mail-Antworten an den Autor).

II. Sieben Filmbuchverlage

2015.JahrbuchSieben Verlage haben in unserem Land den Film zu ihrem Schwerpunkt gemacht. Schüren nimmt dabei eine führende Rolle ein. Dort erscheinen neun Filmbuch-Reihen – u.a. die „Marburger Schriften zur Medienforschung“ mit bisher 59 Bänden, die Reihe „Film und Theologie“, die „Zürcher Filmstudien“ sowie das einzig noch verbliebene Jahrbuch in der Reihe „Lexikon des internationalen Films“. Jährlich erscheinen zudem mindestens 20 neue Filmbücher, darunter viele Dissertationen. Edition text + kritik in München, gegründet 1975, publiziert zurzeit sechs Filmbuchreihen, darunter die CineGraph-Bücher, die Reihe „Film + Schrift“ und die „Film-Konzepte“, die manche auch als Zeitschrift wahrnehmen. Der Verlag schafft in der Regel 15 Neuerscheinungen pro Jahr. Ob das auch in Zukunft so bleibt, ist allerdings offen, nachdem der Lektor Clemens Heucke das Haus verlassen hat.

2015.SpätvorstellungBei Bertz + Fischer werden fünf Filmbuch-Reihen betreut. Dazu gehören das „Bremer Symposium zum Film“, „Deep Focus“, der Film- und Drehbuch-Almanach „Scenario“, der 2016 zum zehnten Mal erscheinen wird, und die Schriftenreihe der DEFA-Stiftung. Beispielhaft sind die Publikationen in der Bildqualität. Jährlich bringen Bertz + Fischer mindestens zwölf Filmbücher auf den Weg. Sehr praxisorientiert ist der Universitätsverlag Konstanz (uvk), der sich vor allem an die Filmschaffenden wendet und Anleitungen zum Drehbuchschreiben, zur Filmfinanzierung oder zum Casting publiziert. Zwei kleine Verlage in Berlin widmen sich der Literatur zu Film und Theater: der Alexander Verlag (geleitet von Alexander Wewerka) und Vorwerk 8 (Leitung: Reinald Gußmann). Hier sind immer wieder interessante Entdeckungen zu machen, zuletzt mit der Neuauflage der Autobiografie von Max Ophüls („Spiel im Dasein“, Alexander) und den Texten von Birgit Hein („Film als Idee“, Vorwerk 8). Eine Neugründung ist der „Mühlbeyer Filmbuchverlag“ in Frankenthal, der vor einem Jahr ins Rennen gegangen ist und bisher sechs Bücher publiziert hat, darunter ein zweibändiges Werk über „Die Kunst der Filmkomödie“ von Franz Stadler und Manfred Hobsch. Man wünscht dem Filmenthusiasten Harald Mühlbeyer einen langen Atem.

III. Biografien

2015.Marcel OphülsTraditionell gelten Biografien aus der Filmwelt als sehr populär. Es gibt aber immer wieder Beispiele, wie auch auf diesem Feld ein hohes Niveau erreicht werden kann. Das beweisen die Biografien aus dem Aufbau Verlag. Hier ist in den letzten Jahren an Theo Lingen (von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen), Horst Buchholz (von Werner Sudendorf), Romy Schneider (von Günter Krenn), Loriot (von Stefan Lukschy) und zuletzt an Lilli Palmer (von Heike Specht) in beein-druckenden Lebens- und Werkgeschichten erinnert worden. In diesem Herbst erscheint bei Aufbau eine Biografie über Curd Jürgens, ebenfalls von Heike Specht. Es wäre schön, wenn der Verlag diese Tradition fortsetzen würde. Auch der Propyläen Verlag ist hier beispielhaft: mit der Fassbinder-Biografie des früh verstorbenen Jürgen Trimborn, der Fritz Lang-Biografie von Norbert Grob und der originellen Autobiografie von Marcel Ophüls („Meines Vaters Sohn“). Der Verlag Neues Leben hat zwei wichtigen Protagonisten des DDR-Films Bücher gewidmet: dem Regisseur Günter Reisch, dessen Autobiografie „… will Regisseur werden“ postum publiziert wurde, und dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der unter dem Titel „Um die Ecke in die Welt“ auf seine unnachahmliche Weise von Filmen und Freunden erzählt.

2015.Edgar ReitzMit zwei Biografien hat der Reclam Verlag das Terrain betreten, um seine kleinen gelben Reihen über Filmgenres und Stilepochen des Films in größerem Format zu ergänzen; beide stammen von Thomas Koebner, führen uns in das Werk von Roman Polanski und Edgar Reitz ein, aber es ist eher ungewiss, ob die Reihe fort-gesetzt wird. Die Zukunft des Filmbereichs scheint bei Reclam gefährdet. Klein, aber fein ist dieser Bereich bei der Deutschen Verlagsanstalt bestückt. Im vergangenen Jahr erschien dort die Autobiografie des Kameramannes Michael Ballhaus (erzählt mit Unterstützung des Publizisten Claudius Seidl), für das kommende Jahr ist eine Biografie der Schauspielerin Ingrid Bergman von Thilo Wydra angekündigt, auf die man gespannt sein kann. Und schließlich lohnt noch ein Blick ins Programm des Verlages Hentrich & Hentrich, der sich intensiv dem jüdischen Leben in Vergangenheit und Gegenwart widmet. Drei interessante Biografien sind dort zu finden: die Memoiren des Kritikers und Kinoleiters Hanns Brodnitz, die Biografie des Universal-Gründers Carl Laemmle von Udo Bayer und ein Porträt des Theaterregisseurs, Filmproduzenten und Schriftstellers Moriz Seeler von Wolfgang Jacobsen.

IV. Bildbände

2015.Audrey HepburnBildbände sind die Spezialität einiger Verlage. Der Knesebeck Verlag hat in seiner Reihe „Seine Filme, sein Leben“ sehr repräsentative Bücher über Johnny Depp, Roman Polanski und Martin Scorsese publiziert. Die Texte wurden jeweils aus dem Englischen übersetzt. Demnächst folgt ein Band über Woody Allen. Auch Schirmer/ Mosel hält berühmten Filmstars die Treue, mit Büchern über Jean Seberg, Grace Kelly, Audrey Hepburn und (herausragend!) Ingrid Bergman. Etwas verspätet erscheint hier im Herbst ein Bildband zum 70. Geburtstag von Rainer Werner Fassbinder mit Fotos zu seinen 43 Filmen. Auch der Taschen Verlag überrascht immer wieder mit Bildbänden zur Filmgeschichte. Gerade sind zwei neue Titel erschienen: einer zum „Making of Kubrick’s 2001“, der andere zum Leben und Werk von Charles Chaplin. Das ist übrigens – mit 150 € – das teuerste Buch, das hier vorgestellt wird, aber irgendwann wird der Preis sicher reduziert.

V. Nicht zu unterschätzen

2015.PrümmSehr preiswert und immer originell sind die Filmbücher aus dem Verbrecher Verlag. Dort gibt es die Reihe „Filit“, die von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen herausgegeben wird. Die drei neuesten Bände sind eine Textsammlung von Klaus Wildenhahn („Abendbier in flacher Gegend“), eine Referenz von Britta Lange an den Science-fiction-Film „Die Entdeckung Deutschlands durch die Marsbewohner“ aus dem Jahr 1916 und eine herausragende Monografie von Karl Prümm über Niklaus Schilling und seine Filme („Ein notorischer Grenzverletzer“). Außerhalb der Reihe ist gerade ein Textband von Peter Nau mit Miniaturen zu Reisen im Film erschienen („Unter dem Regenmond“). Die kleinformatigen Bände werden leicht unterschätzt.

2015.FarbfilmDer Belleville Verlag von Michael Farin in München mutet sich gern große Publikationen zu. Zuletzt waren das „Der Caligari-Komplex“ von Olaf Brill und „Der Farbfilm marschiert“ von Dirk Alt – beeindruckend in der Recherche und in der Verknüpfung von Bildern und Texten. Seit langem angekündigt sind Bücher über Albin Grau (von Stefan Strauß), Carl Raddatz (von Renata Helker) und Frankenstein (zwei Bände, von Hans Schmid). Die Vorfreude wird vom Verleger extrem ausgedehnt.

Und es gibt noch immer den Suhrkamp Verlag, der die klassische Filmtheorie präsent hält – Rudolf Arnheim, Béla Balázs, Siegfried Kracauer – und gelegentlich auch neue Filmbücher publiziert, zuletzt „Kino!“ von Florian Henckel von Donnersmarck.

VI. Autoren

2015.Drei MeisterWer schreibt heute eigentlich in Deutschland Bücher über Film oder beteiligt sich daran mit einzelnen Beiträgen? Das sind vor allem Filmwissen-schaftler/innen, für die das eine Nebentätigkeit ist. Einige von ihnen sind inzwischen über die Universitätsgrenzen hinaus bekannt geworden. Ich nenne beispielhaft neun Namen: Elisabeth Bronfen, Professorin für Anglistik an der Universität Zürich, hat zuletzt ein Standardwerk über „Hollywoods Kriege“ publiziert und in der Reclamreihe „Stilepochen des Films“ zusammen mit Norbert Grob den Band „Classical Hollywood“ ediert. Joseph Garncarz, Privatdozent an der Universität Köln, hat kürzlich ein interessantes Buch über Filmpräferenzen der Europäer 1896 bis 1939 publiziert („Wechselnde Vorlieben“), Norbert Grob, inzwischen Senior-Professor für Mediendramaturgie in Mainz, porträtiert in seinem jüngsten Buch „Drei Meister in Hollywood“ (Stroheim, Wyler, Preminger).

2015.Krützen.kleinThomas Koebner, emeritierter Professor für Filmwissenschaft an der Universität Mainz, ist Herausgeber verschiedener Buchreihen und Autor vieler Filmpublikationen, zuletzt „Grenzgänge zwischen Literatur und Film“; Michaela Krützen, Professorin an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, hat gerade ihr großes Werk „Klassik, Moderne, Nachmoderne. Eine Filmgeschichte“ veröffentlicht. Winfried Pauleit, Professor an der Universität Bremen, beschäftigt sich intensiv mit der Geschichte der Filmfotografie und ist eng mit der Buchreihe „Bremer Symposium zum Film“ verbunden; Irmbert Schenk, emeritierter Professor an der Universität Bremen, schreibt sehr kompetent vor allem über die italienische Filmgeschichte; Marcus Stiglegger, in vielen Universitäten unterwegs, hat zuletzt eine Monografie über Akira Kurosawa publiziert. Michael Wedel, Professor an der Filmuniversität Konrad Wolf in Potsdam, verfasste mehrere Bücher zur deutschen Filmgeschichte verfasst.

2015.WachEs gibt auch interessante Autorinnen und Autoren im nichtaka-demischen Bereich. Das sind zum Beispiel Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen, Mitarbeiter der Deutschen Kinemathek, die fleißig schreiben und herausgeben, Ralph Eue, der zuletzt Bücher über die Folgen des Oberhausener Manifests und über Susan Sonntag edierte, Kristina Jaspers, Kuratorin an der Deutschen Kinemathek, die zuletzt an Büchern über Werner Herzog, Ken Adam und Richard Wagner beteiligt war, der Schriftsteller Patrick Roth, der „Die amerikanische Fahrt“ geschrieben hat, Rainer Rother, künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek, der interessante Biografien über Leni Riefenstahl und Nina Hoss publizierte, Georg Seeßlen, der freiberuflich als Autor für Zeitschriften, Netzwerke und verschiedene Verlage tätig ist und seit den 1970er Jahren zahlreiche Filmbücher verfasst hat, Michael Töteberg, Leiter der Rowohlt Agentur für Medienrechte, der nicht nur die Hamburger Filmgeschichte aufarbeitet, Margarete Wach, künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kunsthochschule für Medien in Köln, die die polnische Filmgeschichte zu ihrem Schwerpunkt gemacht hat oder Thilo Wydra, Filmjournalist, der inzwischen über große Erfahrung als Autor von Filmbiografien verfügt (zuletzt: Grace Kelly, demnächst Ingrid Bergman). Nur vom Schreiben von Filmbüchern kann niemand leben.

VII. Liebe zum Film

2015.TarantinoDie thematischen Interessen der Käufer sind wechselhaft. Annette Schüren: „Indien ist out, Western und Nouvelle Vague gehen immer. Angesagte Themen sind der Doku-mentarfilm und der Animationsfilm.“ Die erfolgreichsten Bücher im Schüren Verlag waren „Das Dick & Doof“-Buch von Norbert Aping mit mehr als 6.000 Exemplaren und das Buch „Filmsprache“ von Alice Bienk mit bisher knapp 6.000 Büchern in vier Auflagen. Katrin Fischer: „Wir haben ja eine gewisse Vorliebe für die eher verachteten, als trivial gescholtenen Genres wie Horror, Sex und Action, aber die Zeiten, in denen man Bücher über diese Genres noch gut verkaufen konnte, sind auch vorbei.“ Als Bestseller von Bertz + Fischer gilt das Buch über Quentin Tarantino mit 12.000 Exemplaren. In diesem Jahr waren das Buch zur Berlinale-Retrospektive „Glorious Technicolor“ und die Reminiszenz an den Spielberg-Film JAWS: Der weiße Hai revisited“ sehr erfolgreich.

Die Auflagen der Filmbücher sind in den letzten Jahren reduziert worden. Bei den Dissertationen und in vielen Filmbuchreihen werden in der Regel zunächst 300 Exemplare gedruckt. Dank der digitalen Technik können weitere Exemplare schnell hergestellt werden. An den Druckkosten beteiligen sich zahlreiche Stiftungen, die von den Autorinnen und Autoren zu Hilfe gerufen werden müssen.

Ereignisse – Ausstellungen, Retrospektiven, runde Jahrestage – sind oft für den Erfolg von Filmbüchern ausschlaggebend. Aber auch sie befreien die Verlage nicht von Risiken.

Es gehören Filmliebe und Enthusiasmus dazu, diesen Beruf klaglos auszuüben.

Hans Helmut Prinzler, Filmdienst, Nr. 21, 15. Oktober 2015