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16. Juni 2015

Dekonstruktion des Bürgerlichen im Weimarer Kino

6416-8 CraciunEs gibt immer wieder neue Untersuchungen zum Film der Weimarer Republik. Die rumänische Germanistin Ioana Crãciun (sie ist auch als Lyrikerin, Dramatikerin und Grafikerin tätig) hat mit Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung in Frankfurt und Marbach geforscht und ihre interessanten Erkenntnisse jetzt im Universitätsverlag Winter publiziert. Sie zitiert zwar sehr oft Siegfried Kracauer, relativiert aber dessen Thesen und kommt bei ihren Analysen zu ganz eigenständigen Ergebnissen. Sie fokussiert ihren Blick auf fünf Themenbereiche und begrenzt die Untersuchung auf die Zeit des Stummfilms. Im ersten Kapitel geht es um „Die Großstadt und ihre Psychopathologie“. Die ausgewählten Filme sind ASPHALT von Joe May, DIE FREUDLOSE GASSE und GEHEIMNISSE EINER SEELE von G. W. Pabst. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Darstellung der männlichen Homosexualität. ANDERS ALS DIE ANDERN von Richard Oswald und ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN von Ernst Lubitsch sind die Filmbeispiele, außerdem werden hier Friedrich Wilhelm Murnau und seine beiden Filme DER LETZTE MANN und NOSFERATU ins Spiel gebracht. Das dritte Kapitel mit der Überschrift „Was hast du armet Wesen auf dieser Welt zu verlieren?“ handelt von Kindergestalten und Kinderschicksalen, wie sie in BERLIN. DIE SINFONIE DER GROSSSTADT von Walther Ruttmann, in verschiedenen Filmen von Fritz Lang, in Murnaus FAUST und in Gerhard Lamprechts DIE UNEHELICHEN zu sehen sind. Die umfangreichste Analyse gilt hier der Figur der „kleinen Thymian“ (dargestellt von Louise Brooks) in Pabst TAGEBUCH EINER VERLORENEN. Das vierte Kapitel („Ich möchte etwas Böses sehen … etwas ganz, ganz Böses …!“) handelt von Verbrechen und Verbrechern. Acht Filme werden in diesem Zusammenhang genauer untersucht: WACHSFIGURENKABINETT von Paul Leni, VON MORGENS BIS MITTERNACHTS von Karlheinz Martin, PHANTOM und SCHLOSS VOGELÖD von F. W. Murnau, DR. MABUSE, DER SPIELER und SPIONE von Fritz Lang und DER BETTLER VOM KÖLNER DOM von Rolf Randolf. Im fünften und letzten Kapitel geht es um die Gestalt des Doppelgängers in DER STUDENT VON PRAG von Henrik Galeen (mit einem Blick auf die erste Verfilmung 1913), METROPOLIS von Fritz Lang und, zum Schluss, DAS CABINET DES DR. CALIGARI von Robert Wiene. Beeindruckend am Text von Ioana Crãciun finde ich ihre Vertrautheit mit der deutschen Literatur, ihren Blick „von außen“ und ihre Sensibilität in den Bildbeobachtungen. Mehr zum Buch: Dekonstruktion_des_Buergerlichen/