Aktuelles
12. März 2015

Memoryscapes

2014.Memoryscapes14 Texte kreisen in diesem Buch assoziativ oder analytisch um Filmformen der Erinnerung. Sie sind das Resultat einer Tagung, die 2011 in Basel stattgefunden hat, und jetzt, teilweise über-arbeitet, vom Diaphanes Verlag in Zürich publiziert wurden. Ich nenne neun Beiträge, die mir besonders gut gefallen haben. Heike Klippel schreibt über „Gedächtnis und Kino um 1900“ und konkretisiert dies mit dem Film LE MYSTÈRE DES ROCHES DE KADOR (1912) von Léonce Perret, in dem die traumatisierte Protagonistin Suzanne ihr Gedächtnis über eine Filmleinwand wiederfindet. Perrets Film, den ich leider nicht kenne, spielt auch in Pasi Väliahos Essay „Die Gedächtnispolitik des Kinos“ eine zentrale Rolle. Die Film-im-Film-Szenen scheinen in ihrer Doppelreflexion fast avantgardistisch zu sein. Bei Matthias Wittman (sein Text trägt den Titel „You can’t put your arms around a memory“) geht es um filmische Gesten des Erinnerns, er fokussiert dies auf die Hände und wählt als wichtiges Filmbeispiel ORLACS HÄNDE (1924) von Robert Wiene. Akira Mizuta Lippit („Medium Desaster 311“) beschreibt den Umgang mit der Zukunft im jüngeren japanischen Film, bezieht sich vornehmlich auf den Film AFTER LIFE (1999) von Hirokazu Kore-eda und stellt eine Verbindung her zur Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011. Vorbildlich finde ich Daniel Eschkötters Analyse des Films SHOCK CORRIDOR (1963) von Samuel Fuller („Bilder der Welt und Inschriften von Kino und Geschichte“), weil er die schwarzweißen Filmbilder als traumatische Gegenwart interpretiert und mit den farbigen Phantomerinnerungen konfrontiert. Johannes Binotto erinnert in seinem klugen Text „There are no subbasements“ an den Film MIRAGE (1965) von Edward Dmytryk und schlägt einen Bogen zu Martin Scorseses GANGS OF NEW YORK (2002). Um Alfred Hitchcock geht es bei Sulgi Lie („Anamorphosen des Affekts“). Drei Filme werden zur Akusmatik der Erinnerung beispielhaft analysiert: REBECCA (1940), SPELLBOUND (1945) und MARNIE (1964). Empfindungen, Formen und Farben spielen hier eine große Rolle. Ute Holl widmet sich drei neueren Filmen, um die Erinnerung im post-digitalen Kino zu thematisieren: LA VIE NOUVELLE (2002) von Philippe Grandrieux, LA CAPTIVE (2000) von Chantal Ackerman und FILM SOCIALISM (2011) von Jean-Luc Godard. Auf der Basis eigener Erfahrungen beschreibt Michael Rohrwasser, was passiert, wenn man verschiedene Filme mehrfach sieht, wie sich der Blick verändert, wie Erinnerung und Gegenwart ineinander fließen. Ein wunderbarer Text und: ein sehr empfehlenswertes Buch. Mehr zum Buch: