30. Dezember 2014
Kracauer. Fotoarchiv
Er war Soziologe, Filmkritiker, Filmhistoriker, Filmtheoretiker. Siegfried Kracauer (1889-1966) hat die Filmrezeption in Deutschland seit den 1960er Jahren stark beeinflusst. Vor allem die Mitarbeiter der Zeitschrift Filmkritik fühlten sich sehr mit ihm verbunden. Sein Buch „Von Caligari bis Hitler“ habe ich als Rowohlt-Taschenbuch 1958 mit großer Neugier gelesen, seine „Theorie des Fims“ hat mich 1964 intensiv beschäftigt. Mit Interesse habe ich verfolgt, wie Karsten Witte in den 70er Jahren Kracauers Schriften zu edieren begann. Natürlich war Kracauer auch ein beispielhafter Exilant: 1933 nach Paris emigriert, 1939 interniert, 1941 über Lissabon nach New York ausgereist. Dort entstanden seine wichtigsten Publikationen. Ab 1956 war er regelmäßig zu Gast in Europa, auch in Deutschland. Im November 1966 starb er in New York. Ich habe mich eher mit seinen Texten als mit seinem „Leben“ beschäftigt. So hat sich für mich mit dem Buch „Kracauer. Fotoarchiv“, das Maria Zinfert beim Züricher Verlag diaphanes herausgegeben hat, ein neuer Kosmos geöffnet. Sorgfältige Recherchen im Marbacher Kracauer-Archiv haben zu einer Erschließung des Foto-Nachlasses geführt, die uns viel von der Realität in Kracauers Biografie vor Augen führt. Eine Schlüsselrolle hat in diesem Zusammenhang Lili Kracauer, seine Ehefrau und engste Mitarbeiterin seit 1930, von der die meisten Fotos stammen. Es sind vor allem Reisefotos und Porträts aus den 30er Jahren in Paris, aus den 40er und 50er Jahren in den USA, aus den 50er und 60er Jahren in Europa, die in Kontakt- oder Papierabzügen in diesem Buch reproduziert sind. Mitzubedenken ist, dass sich Siegfried und Lili Kracauer über das Fotografieren auch theoretisch viele Gedanken gemacht haben. In ihrem begleitenden Text stellt Maria Zinfert sehr einleuchtende Verbindungen zwischen den fotografischen Motiven, den technischen Gegebenheiten und den gewählten Blickwinkeln her. Besonders interessant finde ich ihre biografische Skizze von Lili Kracauer, die als Exkurs eingefügt ist. Auch die Lebenschroniken von Siegfried und Lili Kracauer im Anhang sind sehr informativ. Zu den außerordentlichen Qualitäten des Buches gehören der reflektierte Umgang mit den Fotos und die Empathie, die mich zunehmend erfasst hat, als ich die Texte gelesen und die Bilder angeschaut habe. Mehr zum Buch: buch/detail/2471