Aktuelles
27. November 2014

Anachronismen

2014.AnachronismenHistoriker haben ihre eigene Haltung zum Kino und zur Geschichte. Bei Botho Strauß (in seinem neuen Buch „Herkunft“) steht die schöne Einschätzung: „Sie sehen mit ihren aktuellen methodischen Klugheiten, ihrem habituellen Besserwissen unvermeidlich herab auf die frühere Epoche, die sie untersuchen. Anachro-nistisches Wissen ist der Fluch ihrer Profession.“ Das betrifft auch ihren Blick auf die Darstellung der Historie im Spielfilm. André Wendler thematisiert dies in seiner Dissertation, die an der Universität Weimar entstanden ist und jetzt im Wilhem Fink Verlag publiziert wurde: „Anachronismen: Historiografie und Kino“. Der Autor hat sechs Filme ausgewählt, an denen er die unterschiedlichsten Zeit- und Bildinformationen analysiert: SHUTTER ISLAND von Martin Scorsese, CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, CLEOPATRA von Joseph L. Mankiewicz mit Elizabeth Taylor und CARAVAGGIO von Derek Jarman. Er nutzt jeweils eine Sequenzanalyse, um die Widersprüche deutlich zu machen. Scorseses Film dient ihm dabei als Ausgangspunkt für die Darstellung von akustischen Erinnerungen, Geschichtston und den Umgang mit Bild und Geschichte. Im Einleitungskapitel entwickelt er auch eine kleine Genealogie der Anachronismen. Bei der CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH arbeitet er mit Referenzfiguren, problematisiert die technischen Bedingungen der Musik und den Musik-Historismus und positioniert Bach historiografisch in Berlin und Potsdam. Bei CLEOPATRA, dem am weitesten zurückliegenden Geschichtsepos, geht es vor allem um Zeittechnologien, den Cleopatra Look und ihr Netzwerk. Für CARAVAGGIO nutzt er theoretische Vorgaben von Siegfried Kracauer („Dinge des Films“) und konfrontiert sie in der Sequenzanalyse mit „Dingen der Gemälde“. Hier ist der Umgang mit den Bildern besonders konkret und deshalb auch der Anteil der Abbildungen am größten, zumal Jarman sehr frei ist in der Platzierung von anachronistischen Geräten aus dem 20. Jahrhundert. Die Lektüre des Buches müsste im Übrigen auch für Historiker interessant sein. Mehr zum Buch: 978-3-7705-5711-0.html