23. Oktober 2014
Haneke – eine Wiener Dissertation
Michael Haneke (*1942) ist ein herausragender Regisseur, für seinen Film AMOUR hat er 2012/13 die „Goldene Palme“ in Cannes, den Europäischen Filmpreis, den Bayerischen Filmpreis und den César, den Oscar und den Golden Globe als bester fremdsprachiger Film gewonnen. Er ist sehr selbstbewusst, auf wissenschaftliche Analysen seines Werkes lässt er sich eher ungern ein, er findet sie in der Regel „masturba-torisch“. Katharina Müller, Medienwissenschaftlerin in Wien, hat eine ungewöhnliche Dissertation über Haneke geschrieben. Ihre zwei Teile (1. Masturbation, 2. Komposition) unterscheidet sie in der Einleitung in „einen säuberlich gewichsten Wissenschaftlichkeits-teil und einen divergent geilen zweiten Teil, der eine Versammlung von Stimmen und Material von und zu ‚Haneke’ ist, inszeniert als eine Chronik des Zufalls, von der anzunehmen ist, dass sie viel beschreibt und nichts erklärt.“ „Keine Biografie“ ist der Untertitel der Publikation. Und der Text ist natürlich auch keine klassische Werkanalyse, sondern eine sehr individuelle Mischung von subjektiven Gedanken zu Hanekes Filmen und zitierten Dokumenten der Haneke-Rezeption. Die Autorin ist bestens vertraut mit dem Werk, sie spielt damit in ihrer Struktur, wenn sie nach der „Masturbation“ (90 Seiten), die von nationalem Kino und internationalem Erfolg, vom Autorenfilm und globalem Filmmarkt handelt, im Teil „Komposition“ (270 Seiten) auf alle Haneke-Filme eingeht, beginnend mit DAS WEISSE BAND, dann weitgehend chronologisch im Rückwärtsgang ihre Gedanken mit der zeitgenössischen Rezeption verknüpft und am Ende mit AMOUR den Kreis schließt. Es gibt viele kluge Assoziationen zum österreichischen Kino, zum Verhältnis zwischen Film und Fernsehen, zu Hanekes Umgang mit Schauspielerinnen und Schauspielern. Vielleicht sollte man gleich zu Beginn den am Ende abgedruckten „Auszug aus einem Gespräch mit Michael Haneke“ lesen, weil er die Haltung der Autorin zu ihrem Protagonisten erkennbar macht. Aber man kann das Buch auch zurate ziehen, wenn man gerade irgendeinen Haneke-Film gesehen hat (und das lohnt sich ja immer), zu dem man mehr wissen möchte. So gesehen ist das Buch so etwas wie verbales Bonus-Material. Die Bibliografie ist umfangreich, auf Abbildungen wurde verzichtet. Mehr zum Buch: 978-3-8376-2838-8/haneke