27. April 2014
Kalter Krieg im Film
Einleitung zur Publikation im Peter Lang Verlag
Vor rund 22 Jahren ging der „Kalte Krieg“ zu Ende. Ohne Friedensvertrag, aber mit einer präsidialen Erklärung zur Lage der Nation: „Dank der Gnade Gottes hat Amerika den Kalten Krieg gewonnen. Eine einstmals in zwei bewaffnete Lager geteilte Welt erkennt jetzt eine einzige und herausragende Macht an, die Vereinigten Staaten von Amerika. Und sie betrachtet dies ohne Schrecken, denn die Welt vertraut in unsere Macht.“ [1]
Aus heutiger Sicht klingen die drei Sätze aus dem Januar 1992 wie der Beitrag für eine Satire, die das gegenseitige Vertrauen in der Weltpolitik zum Thema hat. Aber beim Datieren wird die Bush-Rede oft als Endpunkt des Kalten Krieges benannt. Symbolischer ist für uns Deutsche natürlich der 9. November 1989, der Tag des „Mauerfalls“, oder, etwas versachlicht, der Tag der Öffnung der Grenzen zwischen Ost und West.
Die Literatur über die Zeit des Kalten Krieges ist umfangreich und hat sich in den letzten Jahren noch vergrößert und differenziert. In diesem Buch geht es speziell um die Darstellung des Kalten Krieges im deutschen Film. Das ist, aus medialer Perspektive, ein sehr spannendes Thema und wurde bisher kaum bearbeitet. Im Zeughauskino gab es 2009 eine Retrospektive (deutscher_film_im_kalten_krieg.html ), aber keine Publikation. Im internationalen Kontext widmete die Berlinale dem Kalten Krieg zeitnah an seinem Ende 1991 eine große Retrospektive und zeigte 60 Filme aus Ost und West. Sie umfasste viele Genres – Drama, Thriller, Science-fiction-Film, Komödie – und bot einen repräsentativen Querschnitt von The Iron Curtain (1948) bis The Red Dawn (1984). Dazu erschien ein Katalog (Redaktion: Helga Belach, Wolfgang Jacobsen) mit einem zentralen Essay von Rolf Aurich („Geteilter Himmel ohne Sterne“), einer Chronik, verschiedenen Textbeiträgen und vielen Abbildungen. Das Buch hat bis heute seine Bedeutung behalten.
- Persönliche Erinnerungen
Wenn schon mit der ersten Phase des Kalten Krieges persönliche Erinnerungen verbunden sind, dann lässt einen das Thema nicht mehr los. Ich war neun Jahre alt, als im Juni 1948 die Berlin-Blockade begann und West-Berlin durch die Luftbrücke versorgt werden musste. Wir wohnten im amerikanischen Sektor, es gab ständig Stromsperren, kaum Kohle zum Heizen, bis zum Überdruss Trockenkartoffeln und Knäckebrot zum Essen. Im Mai 49 war die Blockade überstanden und die Dankbarkeit gegenüber den Amerikanern groß. Als im August 1961 die Mauer gebaut wurde, studierte ich an der Freien Universität Publizistik und Theaterwissenschaft. Ein westdeutscher Reisepass erlaubte mir den Übergang nach Ost-Berlin. Ich schrieb speziell über DEFA-Filme, zum Beispiel über den Geteilten Himmel von Konrad Wolf[2] und Spur der Steine von Frank Beyer[3]. Ich sah mich im Kalten Krieg durchaus zwischen den Fronten und versuchte, in dem mir vertrauten Filmbereich für Information und Orientierung zu sorgen: in Texten und Publikationen[4]. Ich betrachte mich als Zeitzeugen. Mein Interesse ist auf die Qualität der Filme gerichtet, nicht auf ihre Herkunft oder ihren Erfolg.
- Zehn ausgewählte Filme
Wenn ich persönlich eine kleine Reihe deutschsprachiger Filme zum Kalten Krieg zusammenstellen dürfte, wären dies zehn dafür nominierte Titel:
Die Vier im Jeep (Schweiz 1950) von Leopold Lindtberg. Der Film spielt im besetzten Wien unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Militärpatrouille mit drei Westalliierten und einem Rotarmisten sucht nach der Frau eines aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft geflohenen Österreichers. Es gibt interne Konflikte, private Verstrickungen und ein Happyend. Der Film ist spannend erzählt, wirkt noch heute authentisch und thematisiert den Kalten Krieg im Verhalten von vier beispielhaften Protagonisten.
Himmel ohne Sterne (1955) von Helmut Käutner. Der Film schildert die komplizierte Liebesbeziehung zwischen einem westdeutschen Grenzschutzbeamten und einer ostdeutschen Fabrikarbeiterin. Ihre Verbindung findet im Niemandsland statt. Auch das Kind der Fabrikarbeiterin, dessen Vater im Krieg gefallen ist, gerät zwischen die Fronten. Das Verhalten eines sowjetischen Soldaten wird missverstanden. Die Geschichte endet mit dem Tod des Liebespaares. Gefilmt als Plädoyer für mehr Menschlichkeit.
Eine Berliner Romanze (1956) von Gerhard Klein. Die Liebesgeschichte zwischen einer Ost-Berliner HO-Verkäuferin und einem West-Berliner Autoschlosser. Die Verkäuferin will Mannequin werden und wechselt nach West-Berlin. Als der Autoschlosser arbeitslos wird, sehen beide ihre Zukunft eher im Osten. Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase. Die Stärke des Films ist seine lakonische Beobachtung, der Verzicht auf Pathos oder melodramatische Zuspitzung.
Zwei unter Millionen (1961) von Victor Vicas und Wieland Liebske. Der Lastwagenfahrer Karl hilft dem jungen Mädchen Christine, vor dem Bau der Mauer, bei ihrer Flucht nach West-Berlin. Für Karl und Christine beginnt eine Liebesbeziehung, sie heiraten relativ schnell. Aber sie haben Probleme, eine solide Lebensexistenz aufzubauen. Der Film lebt von seinem authentischen Blick auf die Originalschauplätze des zerrissenen Berlin. Mit Hardy Krüger und Loni von Friedl in den Hauptrollen.
Der geteilte Himmel (1963) von Konrad Wolf. Ein ideologisches Psychodrama nach einem Roman von Christa Wolf. Die Beziehung zwischen einer Lehrerstudentin und einem Chemiker in der DDR zerbricht, als der Mann aus beruflichen Gründen in den Westen geht, während sich die Frau für ein Verbleiben in ihren Arbeitszusammenhängen entscheidet. Erzählt aus der Perspektive der Frau, ist der Film ein Bekenntnis zur ‚neuen Gesellschaft’ der DDR. Die Anstrengung, den Konflikt plausibel zu machen, ist bis in die metaphorische Bildsprache zu spüren.
Abschied von gestern (1966) von Alexander Kluge. Ein deutscher Lebenslauf: Anita G., Jahrgang 37, flieht aus Leipzig in den Westen, wird straffällig und auf Bewährung freigelassen, durchquert die Bundesrepublik, arbeitet als Vertreterin und Verkäuferin, will studieren, aber das Ost-Abi wird nicht anerkannt. Sie streunt, betrügt, wird von einem Ministerialrat schwanger und bringt ihr Kind im Knast zur Welt. Diese Lebensstationen in einem geteilten Land zeigt Kluge in Spielszenen, Interviews, Reportagen, mit improvisierten Dialogen, Literaturzitaten und Kommentaren.
Der Mann auf der Mauer (1982) von Reinhard Hauff. Die Tragikomödie, nach einer Erzählung von Peter Schneider, erzählt die Geschichte eines Mauerspringers, der es weder in der Bundesrepublik noch in der DDR lange aushält und die Behörden in Ost und West mit seinen Grenzwechseln in Atem hält. Mit Marius Müller-Westernhagen in der Hauptrolle. Der Film wirkt heute noch absurder als zu seiner Zeit.
Der Himmel über Berlin (1987) von Wim Wenders. Zwei Engel durchstreifen die geteilte Stadt. Sie können alles hören und sehen. Der eine (dargestellt von Bruno Ganz) verliebt sich und wird Mensch. 1993 dreht Wenders die Fortsetzung: In weiter Ferne, so nah!, in der auch der andere Engel (dargestellt von Otto Sander) zum Menschen wird, Michael Gorbatschow einen denkwürdigen Auftritt hat und der populäre deutsche Schauspieler Heinz Rühmann zum letzten Mal vor der Kamera steht.
Die Mauer (1990) von Jürgen Böttcher. Der Dokumentarfilm des Malers (Strawalde) und Filmemachers ist eine eigenwillige Sammlung von Impressionen kurz nach dem Fall der Mauer. Das Grenzgebiet zwischen Ost- und West-Berlin wird kurzfristig von Menschen bevölkert, die fassungslos, neugierig oder besessen sind. Böttcher beobachtet die „Mauerspechte“, die mit unzulänglichem Werkzeug den „Schutzwall“ zerstören wollen, eine Frau, die dort Geräusche sammelt, zwei Wachposten, die lange wortlos in die Kamera schauen, den ungenutzten U-Bahnhof Potsdamer Platz, der wie eine Katakombe wirkt. Die Bilder und Töne des Films opponieren gegen gängige Fernsehreportagen, sie nehmen sich Zeit. Der Film dauert 100 Minuten.
Die meisten dieser zehn Filme thematisieren den Kalten Krieg nicht unmittelbar, aber sie sind Resultate der politischen und gesellschaftlichen Situation, der Teilung und – am Ende – der Vereinigung. Sie erzählen individuelle Schicksale, oft mit tragischem Ausgang. Sie verweisen auf eine Anormalität, auf Diskrepanzen zwischen politischem Willen und privatem Wollen. Ihre Protagonisten sind in der Regel „normale“ Menschen mit Wünschen, Hoffnungen, Gefühlen. Sie müssen sich mit Trennung, Bewachung, Grenzsicherung auseinandersetzen. Es gibt einen so genannten „Eisernen Vorhang“ zwischen zwei Gesellschaftssystemen und eine sichtbare Mauer ab 1961. Mehrere deutsche Filmtitel nutzen den Himmel als Metapher (Himmel ohne Sterne, Der geteilte Himmel, Himmel über Berlin, Vom Himmel gefallen) oder metaphorisieren auf andere Weise: Abschied von gestern, Das Leben beginnt, … und Deine Liebe auch, Weg ohne Umkehr, Zwei unter Millionen, sie geben geografische Hinweise: Flucht nach Berlin, Verspätung in Marienborn oder bereiten auf ein Drama vor (Durchbruch Lok 234). Filmtitel sollen ins Kino locken. Viele vor allem der westdeutschen Filme über den Kalten Krieg haben das nicht geschafft. Das Thema war den Kinozuschauern nicht attraktiv genug.
Auch unter den ausländischen Filmen zum Thema Kalter Krieg gibt es vor allem in den 1950er und 60 Jahren viel versprechende Titel mit unterschiedlichem Genrebezug: I Married a Communist (1949), ein Melodram von Robert Stevenson, The Big Lift (1950), eine Liebesgeschichte zur Zeit der Luftbrücke von George Seaton, I Was a Communist for the FBI (1951), ein Agentenfilm von Gordon Douglas, Red Planet Mars (1952), ein Science-fiction-Film von Harry Horner, The Man Between (1953), ein Berlin-Drama von Carol Reed, One, Two, Three (1961), eine Komödie von Billy Wilder, die unmittelbar nach dem Mauerbau ein Flop war, From Russia with Love (1963), ein James Bond-Film von Terence Young, The Spy Who Came In from the Cold (1963), ein Agenten-Thriller von Martin Ritt nach dem Roman von John Le Carré, Turn Curtain (1966), ein Thriller von Alfred Hitchcock, The Kremlin Letter (1969), ein Spionagefilm von John Huston.
Die Filme über den Kalten Krieg sind vorwiegend von Düsternis geprägt, von Bedrohung, von kriminellen Handlungen, die mit den politischen Fronten im Zusammenhang stehen. Gut und Böse werden natürlich ideologisch definiert, eine neutrale Position gibt es im Prinzip nicht. Das betrifft auch die Bewertung der Spionage, sie soll der Beschaffung von geheimen Informationen oder der Entlarvung von Verrätern dienen, die im Auftrag des Gegners tätig sind. The Spy Who Came In from the Cold ist ein paradigmatischer Titel und steht für ein Genre, das vor allem in den 1960er Jahren sehr erfolgreich war.
Filme sind – auch wenn das Authentische oder Dokumentarische vielleicht gar nicht angestrebt wird – Dokumente ihrer Zeit, sofern sie an konkreten Orten spielen und die dargestellten Personen mit einer Realität verbunden sind. Sie verraten uns sogar im Science-fiction-Genre manches über die Gegenwart, in der sie gedreht wurden. Notwendig sind genaues Hinsehen, Informationen über den Produktionshintergrund und einige Kenntnisse über filmische Mittel. Insofern sind alle in diesem Band gesammelten Texte Rückblicke in eine spannende Zeit, die viele von uns zumindest partiell miterlebt haben.
[1] Zitiert nach: Götz Schwarzrock (Red.), Geschichtsbuch. Die Menschen und ihre Geschichten in Darstellung und Dokumentation. Frankfurt am Main 1992.
[2] Sozialistische Genesung. In: Film (München), November 1964, Nr. 10.
[3] Kinospuk in Ostberlin. Die überraschende Absetzung eines DEFA-Films und ihre Vorgeschichte. In: Die Zeit, 29. Juli 1966.
[4] Datenteil in: Peter W. Jansen/Wolfram Schütte (Hg.): Film in der DDR. München 1977. – Zus. mit Hans Günther Pflaum: Film in der Bundesrepublik Deutschland. München 1977/1992 ergänzt um einen DDR-Teil. – Chronik des deutschen Films 1895-1994. Stuttgart 1995.
Christin Niemeyer, Ulrich Pfeil (Hg.): Der deutsche Film im Kalten Krieg. Brüssel: Peter Lang 2014