25. April 2013
Wagner Kino
Rede zur Eröffnung der Reihe „Wagner Kino“
Lieber Jörg Frieß, liebe Kristina Jaspers, lieber Jan Drehmel, lieber Steffen Vogt, meine Damen und Herren,
ich freue mich sehr, heute die Film- und Veranstaltungsreihe „Wagner Kino“ mit zu eröffnen. Filmveranstaltungen haben es bei der Jury des Hauptstadtkulturfonds nicht ganz einfach. Sie konkurrieren dort mit der leidenschaftlichen Fürsprache von Tanz-, Theater- und Musikexperten für ihre Bereiche, und so habe ich in den vergangenen drei Jahren bei Filmanträgen auch manche Enttäuschung erlebt. Aber das gehört, wie man so sagt, zum Geschäft. Es gibt über die Juryentscheidungen eine Vertraulichkeitsvereinbarung – aber so viel kann ich sagen: das Wagner-Projekt hatte keine Probleme, eine große Mehrheit zu bekommen. Idee und Projektbeschreibung haben sofort überzeugt, da musste gar nicht mehr viel argumentiert werden. Und die Kuratoren hatten dann auch genügend Zeit, ihr Projekt vorzubereiten. Ihr Timing ist klug, die Wagnerwelle zum 200. Geburtstag rollt, aber es gibt noch keinen erkennbaren Überdruss.
Wie entdeckt man eigentlich Wagner als junger Mensch? Das ist heute relativ einfach. Sein Name, sein Bild, seine Musik haben natürlich eine große Präsenz. You Tube bietet zurzeit über 200.000 Wagner-Musik- und Filmstücke, und als ich das „Lohengrin“-Vorspiel mit schönen Landschaftsbildern auf meinem Monitor in Gang gesetzt habe, war ich der 795.803. Solche Möglichkeiten einer Annäherung oder Entdeckung gab es zu Wagners 150. Geburtstag noch nicht.
Ich habe mich damals, Anfang der 60er Jahre, sozusagen autodidaktisch an ihn herangearbeitet. In der Schule kam er nach meiner Erinnerung nicht vor, meine Eltern mochten ihn nicht, also musste ich die Sache selbst in die Hand nehmen. Es fügte sich, dass ich als Student der Theaterwissenschaft und Publizistik in Berlin von einer Art Opernsucht heimgesucht wurde. Sie wurde verstärkt durch die Eröffnung der Deutschen Oper Berlin in der Bismarckstraße im September 1961, wo man im zweiten Rang eine gute Sicht zu auch für Studenten erschwinglichen Preisen hatte. Voraussetzung war ein mehrtägiges Anstehritual mit Nummernsystem, das viel Zeit kostete.
Zurück zu Wagner. Mein Einstieg war „Der fliegende Holländer“ noch in der Städtischen Oper in der Kantstraße, dann folgten die „Meistersinger“ und „Tristan und Isolde“. Es war mit Sicherheit der Regisseur Wieland Wagner, der für mich eine wichtige Brücke zum Wagner-Verständnis gebaut hat, und wohl auch die Sängerin Anja Silja, deren Stimme und Figur so gar nicht opernhaft wirkten.
Als ich jetzt in den alten Programmen blätterte, beneidete ich mich selbst und wunderte mich, welche großen Sängerinnen und Sänger ich damals auf der Bühne erlebt habe. An den „Tristan“ im Februar 1962 unter Karl Böhm mit Hans Beirer und Gladys Kuchta und an den „Lohengrin“ im Mai 1963 mit James King und Anja Silja – beides Wieland Wagner-Inszenierungen – erinnere ich mich noch relativ gut. Es sind vor allem auch die Bühnenbilder, die im Gedächtnis bleiben, und die Atmosphären des Raums.
Gelernt habe ich viel von der damaligen Musik- und Opernkritik, von Joachim Kaiser, Hans Heinz Stuckenschmidt und Heinz Josef Herbort in der Süddeutschen, der FAZ und der Zeit. Man las ihre Texte selbstverständlich auch über Aufführungen, bei denen man nicht dabei sein konnte.
Die Verbindung zwischen dem Kino und der Oper stellte sich für mich erst allmählich her. Als ich 1955 den Film Ludwig II. gesehen habe, war ich natürlich mehr an Ruth Leuwerik und O.W. Fischer interessiert als an Paul Bildt, der damals den Wagner spielte. Und dass Herbert von Karajan an der Musikeinspielung beteiligt war, ging ganz an mir vorbei.
Bei Viscontis Ludwig-Film 1972 hatte sich meine Wahrnehmung verändert. Natürlich galt eine große Aufmerksamkeit dem Paar Helmut Berger und Romy Schneider, aber Trevor Howard als Wagner rückte mehr ins Zentrum, und die Musik bekam eine größere Bedeutung.
Noch eine persönliche Erinnerung, die sich im Veranstaltungs-programm wiederfindet: Im September 1962 habe ich in der Komischen Oper den „Fliegenden Holländer“ in der Inszenierung von Joachim Herz gesehen. Eine beeindruckende Aufführung noch unter der Intendanz von Walter Felsenstein. Zwei Jahre später realisierte Herz den „Holländer“ als DEFA-Film – mit Anna Prucnal als Senta und Fred Düren als Holländer, deren Stimmen von Sängern synchronisiert wurden. Für die sechziger Jahre war es eine phänomenale Idee, Sentas Realität im Normalformat zu zeigen und für ihre Fantasiewelt die Leinwand ins CinemaScope-Format zu öffnen, was damals in der DDR „Totalvision“ hieß, und den Ton zunächst von Mono-Lautsprechern wiederzugeben und ihn dann in einen Vierkanal-Stereoton zu erweitern. Das Ganze fand in Schwarzweiß statt, aber die Wirkung war sensationell. Sie wurde Wagner im Kino gerecht.
Wenn ich mir die Filmbeispiele der nächsten drei Wochen anschaue, dann wird klar, wie breit gefächert die Beziehungen zwischen Wagner und dem Kino sind, und natürlich ist auch Hollywood stark daran beteiligt. Immer wieder geht es dabei auch um ideologische Fragen, die ich jetzt nicht vertiefe. Wagner polarisiert. Das kann man auch als spezifische Qualität sehen. Aber: man muss ihn ernst nehmen und sich mit ihm auseinandersetzen. Nur ablehnen geht nicht.
Wie schön, dass es seit heute dieses Buch gibt, auf das ich sehr gespannt bin. Den Film über Richard Wagner aus dem Jahr 1913 habe ich bisher nie gesehen. Also bedanke ich mich auch ganz persönlich für diese Programmierung Und mache die Bühne frei für die Kuratoren, denen wir das Wagner-Kino zu verdanken haben.
Zeughauskino, Berlin, 23. April 2013