15. Februar 2013
YELLA (2007)
Text für die Süddeutsche Zeitung und die DVD
Die filmische Realität dauert zehn Minuten. Sie beginnt in der Eisenbahn. Yella Fichte, eine junge, ehrgeizige Frau, kehrt noch einmal in den Osten, in ihre Heimatstadt Wittenberge an der Elbe zurück. Sie hat einen neuen Job in Hannover und will sich von ihrem Vater verabschieden. Erwartet wird sie aber auch von Ben, ihrem Ex-Mann, dessen Firma insolvent ist, der Yella nicht freigeben will. Eine Nacht verbringt sie bei ihrem Vater zuhause. Am Morgen steht Ben mit seinem Auto vor der Tür. Er will sie zum Bahnhof fahren. Sie steigt ein, es gibt Streit, sie möchte aussteigen, er lenkt das Auto auf der Elbbrücke in den Abgrund.
Dann beginnt der Traum. Yella und Ben können sich aus dem Auto befreien. Auch die Reisetasche wird angeschwemmt. Den Zug nach Hannover erreicht sie im letzten Moment. Aber die Ankunft verbindet sich mit schlechten Nachrichten: kein neuer Job, weil die Firma pleite ist. Im Hotel lernt sie Philipp kennen, einen toughen Kapitalsammler, der für eine Private-Equity-Firma tätig ist und ihre Hilfe gebrauchen kann. Sie wird zur Assistentin, sie bewährt sich, weil sie die Spielregeln der Kreditverhandlungen bis an die Grenzen ausreizt, weil sie souverän das System von Venture Capitals, Shareholder-Darlehen und Abschreibungen beherrscht. So stellt man sich eine clevere Mitarbeiterin vor. Der Übergang zur Liebesbeziehung ist fließend.
Wenn es denn ein Lebenstraum ist, den Yella hier träumt, so ist es einerseits ein Liebestraum, weil Philipp ein attraktiver, erfolgreicher Mann ist. Aber es ist andererseits auch ein Albtraum, weil es offene Türen, zerbrochene Gläser, Geistererscheinungen, Telefonstörungen, schreiende Krähen und Beziehungszoff gibt. Und am Ende verzockt sich Yella, als sie bei einem Deal eine Erpressung versucht und der Erpresste sich umbringt. Damit geht ihr Traum zu Ende.
Dann gibt es noch zwei Minuten Realität. Da werden die Leichen von Yella und Ben aus der Elbe geborgen.
Es sind klare Bilder (Kamera: Hans Fromm) – Autofahrten, Hotelzimmer, lange Flure, gläserne Büros, Straßen, Flussufer – , die den Traum grundieren. Blicke stellen Verbindungen her. Und es sind vor allem Töne, die von der Realität abheben, Geräusche, Atmosphären, Wind in den Bäumen, glucksende Wasser. Die Schnitte (Bettina Böhler) sind abrupt, sie verunsichern uns, wir entwickeln ein Misstrauen gegenüber der Realität der erzählten Geschichte.
Das ist ja auch eine der Stärken von Christian Petzold: Ambivalenzen zu inszenieren, eine Doppelbödigkeit herzustellen, den Zuschauer nicht in Sicherheit zu wiegen, sich um die Brüche im Plot zu kümmern. Er nennt Marnie von Hitchcock als Bezugsfilm.
Nina Hoss: eine Traumfrau. Lange braune Haare, rote Bluse, schwarzer Rock. Ihre Körpersprache ist auf der Höhe ihrer beruflichen Ziele: aufrecht gehen, erfolgreich sein. Gefühle sehen wir nur in ihren Augen. Angst. Sehnsucht. Ihr Blickspiel mit Devid Striesow (Philipp) nimmt an Intensität zu, bis es am Ende hilflos zerbricht.
Süddeutsche Zeitung, 15. Februar 2013