Texte & Reden
14. Februar 2010

Thomas Koebner

Sonderpreis der Ökumenischen Jury, Laudatio auf den Preisträger

Sehr geehrte Frau Dr. Bahr, sehr geehrter Herr Bischof Fürst, meine Damen und Herren, lieber Thomas,

einen Sonderpreis verleiht man, wenn die vorhandenen Kategorien für einen Kandidaten (oder ein Kandidatin) nicht ausreichen und wenn der potentielle Empfänger für einen Ehrenpreis offensichtlich noch nicht alt genug ist. So gesehen tun die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche mit ihrer Auszeichnung für Thomas Koebner genau das Richtige. Koebner passt nicht in ein Schema oder eine Kategorie, und er gehört noch zur Gruppe 65+, ist gerade mal emeritiert Seine Kreativität ist ungebrochen, seine Verdienste lassen sich aber schon auf eine verallgemeinernde Formel bringen: er hat der „Wahrnehmung und Anerkennung des Films als Kunstform“ entscheidende Impulse gegeben.

Wie schafft man so etwas in einer Zeit zunehmender Mediengloba-lisierung, in der von Filmkunst immer weniger die Rede ist? Man schafft es als Autor und als Lehrer durch Hinsehen und Hinhören, durch Nachdenken und Vergleichen, durch Reden und Schreiben, durch Überzeugungskraft und pädagogischen Eros.

Das sagt sich so einfach, aber erst einmal muss man durch Erziehung, Bildung, Neugierde, Lesesucht und Schreibmanie zu einer für die Künste offenen Sozialisierung kommen. Ich nenne nur einige biografische Stichworte für Thomas Koebners frühe Affinitäten zu einem Leben als Vermittler der Kunst:

das Heranwachsen in einer Familie mit überwiegend jüdischer Her-kunft, die Zuneigung des Großvaters Josef von Baky, die Schallplatten des Vaters Hans Koebner, der Einfluss des Deutschlehrers Erwin Kitzinger, die Förderung durch den Musikredakteur Antonio Mingotti, die Entdeckung des Autors Hermann Broch, das Studium der Germa-nistik, Kunstgeschichte und Philosophie.

Das Zusammenwirken unterschiedlichster Einflüsse und Interessen hat es verhindert, dass Thomas Koebner je auf eine schmale Spur geriet. Er näherte sich dem Film, wenn man das so sagen darf, auf breiter Front, fürs Hören und Sehen bestens ausgerüstet, oder, etwas neumodisch formuliert, „gut aufgestellt“. Das war vielleicht entscheidend für seinen selbständigen Blick aufs Kino.

Denn wer in den sechziger Jahren begonnen hat, sich wissenschaftlich mit Film zu beschäftigen, war schnell von konkurrierenden Theorien und Lehrmeinungen umzingelt. Ausgehend von der Publizistik, der Theaterwissenschaft, der Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft entstanden Kommunikations- und Medienwissenschaft, deren Prota-gonisten nichts Besseres zu tun hatten, als einen ständigen Methoden-streit auszufechten. Im Dschungel von Strukturalismus, Semiologie oder Filmphilologie gerieten die Filme selbst oft in den Hintergrund, sie wurden zu Objekten einer obskuren Wissenschaftsbegierde. Und das alles zur Zeit der Studentenbewegung, die mehr an der Enthüllung von Ideologie als am Entziffern von Filmbildern interessiert war.

Wer da, über das Kino lehrend und schreibend, einen eigenen Kopf behielt, war prädestiniert zum Wegbereiter einer eigenständigen Schule. Thomas Koebners akademische Stationen hießen München, Köln, Wuppertal, Marburg. Die Leitung der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin Anfang der neunziger Jahre war so etwas ein interessanter Zwischenaufenthalt. Folgenreich wurden vor allem seine 14 Jahre als Gründungsprofessor der Filmwissenschaft in Mainz. Sein Bekenntnis zur Hermeneutik und zum konkreten Begreifen des Films ist, glaube ich, die Brücke, über die er seine Studentinnen und Studenten, wie auch die Leserinnen und Leser seiner Texte auf ein festes Land des Filmverstehens geführt hat. In einer zugänglichen Sprache, mit logischen Schlussfolgerungen, ohne Absicherungen durch hundert Zitate und Definitionen. Auf diesem Niveau hätte ich selbst gern Filmwissenschaft studiert.

Wenn man Thomas Koebners „Schriften zum Film“ in fünf Bänden mit über 100 Texten vor allem aus den letzten zwanzig Jahren durchsieht, wird einem schlagartig klar, wie weit der Horizont seiner Interessen und Wahrnehmungen gespannt ist. Die Geschichte des deutschen und des europäischen Films bildet die Basis. Ausflüge in andere Kontinente sind Reisen eines Neugierigen. Das Werk großer Regisseure – ich nenne nur Lang, Murnau, Kubrick, Bergman, Fellini, Fassbinder – ist in seinem Kopf präsent. Motive werden fast mühelos assoziiert. Genre – natürlich nicht alle – formen sich zu neuen Zusammenhängen. Schauspielerinnen und Schauspieler in ihrer Typologie und Film-variation zu beschreiben und zu charakterisieren ist für ihn eine besondere Lust.

Der Autor Thomas Koebner war und ist auch ein inspirierender Herausgeber. Ihm verdanken wir unter anderem die Gründung der Zeitschriften „Diskurs“, „Medienwissenschaft: Rezensionen“, „Augenblick“, des Jahrbuchs „Exilforschung“, der „Filmstudien“, der „Film-Konzepte“ und der kulturwissenschaftlichen Reihe „Projektionen“.

Die von ihm herausgegebenen Standardwerke „Filmregisseure“, „Film-Klassiker“, „Sachlexikon des Films“ – alle im Reclam Verlag – wechseln häufig ihr Aussehen, weil sie immer wieder in überarbeiteter Neuauflage erscheinen. Selbst Kenner der Bücher haben Mühe, im Inneren das Alte und das Neue genau zu unterscheiden. Nichts ist ewig festgeschrieben, und Thomas schreibt immer mit.

Seine Produktivität hält verschiedene Verlage in Atem, alt eingesessene wie Reclam oder edition text + kritik und neu gegründete wie Gardez!, wo seine Schülerinnen und Schüler in den „Filmstudien“ eine Plattform haben. Mehr als fünfzig Bände sind dort inzwischen erschienen.

Thomas Koebners rhetorische Begabung, begünstigt durch Volumen und Timbre der Stimme, nimmt den Zuhörer mit auf Entdeckungsreisen. Kein Wunder, dass er auf Kongressen, Symposien und Konferenzen ein begehrter Redner ist. Das Vorgetragene wird später in diesem oder jenem Zusammenhang publiziert. Es bleibt damit über das Ereignis hinaus von Bestand.

Er kann nicht nur inspiriert reden, sondern auch neugierig fragen und zuhören. Das war die Basis für ein Buch wie „Edgar Reitz erzählt“. Aber das Fragen setzt natürlich Kenntnisse voraus. Und wieder hat Thomas Koebner ein Werk im Kopf, wenn er den Regisseur nach Details fragt, die vielleicht mehr bedeuten als immer nur das große Ganze.

Das Geheimnis des Erfolges von Thomas Koebner ist sein Bestehen auf dem Konkreten, auf der Genauigkeit. Er hat ein phänomenales Gedächtnis, in dem Filme und einzelne Szenen offenbar langfristig gespeichert werden können. Das macht es auch schwierig, mit ihm zu streiten, weil er für seine Position Belege ins Feld führt, die ihm blitz-artig präsent sind. In der Streitlust hat inzwischen die Toleranz ein Übergewicht gegenüber der Unerbittlichkeit gewonnen. Man sagt, so etwas sei altersbedingt. Andererseits beherrscht ihn noch immer eine Unruhe. Er kann nicht abwarten, er ist leicht ungeduldig, weil Zeit für ihn nicht Geld, sondern Produktivität ist. Was könnte man, statt auf etwas zu warten, in dieser Zeit nicht alles tun…

Thomas Koebner steht für mich über den Parteien, über den wissenschaftlichen Schulen und auch über den Konfessionen. So hat es seine Logik, dass er heute gemeinsam von der evangelischen und der katholischen Filmarbeit in Deutschland ausgezeichnet wird.

Ich weiß, dass er über den Preis erstaunt und erfreut ist. Und ein bisschen höre ich ihn auch lachen, vielleicht weil ich dieses Lachen so mag, denn es bringt in den Ernst dieser Welt eine Kehrseite, ohne die das Leben nicht so schön wäre wie es ist. Lieber Thomas, ich freue mich für Dich, ich gratuliere Dir.

Berlin, Haus der EKD, Charlottenstraße, 14. Februar 2010