20. November 2009
Ehrenpreis für Wolfgang Klaue
Laudatio für den Preisträger der DEFA-Stiftung
Lieber, verehrter Wolfgang Klaue, meine Damen und Herren,
es gäbe wohl kein Hände hoch oder ich schieße, kein Kaninchen bin ich, keine Spur der Steine, keinen DEFA-Verbotsfilm von 1965/66 mehr, wenn die Materialien nicht vom Staatlichen Filmarchiv der DDR in Sicherheit gebracht worden wären. Die Verantwortung für ein kulturelles Erbe umfasst auch das Ausgegrenzte oder Indizierte. Dazu gehören Weitsicht und Mut. Und wenn heute Wolfgang Klaue der Preis der DEFA-Stiftung für Verdienste um den deutschen Film verliehen wird, dann hat das viele gute Gründe.
Einen speziellen Grund sehe ich in seiner Persönlichkeitsstruktur, in seiner Haltung: nämlich all das, was er als Direktor des Filmarchivs getan hat, als Selbstverständlichkeit zu sehen und nicht als etwas besonderes, außergewöhnliches, was es in Wirklichkeit war. Wolfgang Klaue ist für mich die Inkarnation der Bescheidenheit.
Er wurde 1957, mit 22 Jahren, Mitarbeiter des kurz zuvor gegründeten Staatlichen Filmarchivs der DDR und mit 34 sein Direktor. Er hat das Archiv über zwanzig Jahre lang geleitet und ihm internationale Geltung verschafft. Wenn man weiß, welchen Aufwand die Filmarchivierung erfordert und welche Schwierigkeiten sie bereitet, dann konnte man sich vor Wolfgang Klaue und seinen 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nur bewundernd verneigen. Das haben wir aus der Perspektive der föderalen Bundesrepublik, die mit der Gründung eines zentralen Filmarchivs ihre speziellen Probleme hatte, immer getan.
Die internationale Reputation von Wolfgang Klaue wird deutlich, wenn ich daran erinnere, dass er schon in den sechziger Jahren stellvertretender Generalsekretär des Weltverbandes der Filmarchive, der „Féderation Internationale des Archives du Film“, wurde und von 1979 bis 1985 ihr Präsident war. Seit 1990 ist er aktives Ehrenmitglied des Verbandes.
Mit seinem Wirken für die UNESCO hat er die internationalen Beziehungen zusätzlich verstärkt.
Am Hausvogteiplatz und draußen in Wilhelmshagen, im Neubau mit dem Farbfilmbunker wurde über Jahrzehnte Filmarchivgeschichte geschrieben. Mit den Retrospektiven beim Dokumentarfilmfestival in Leipzig und den filmhistorischen Vorführungen in der „Camera“ in der Friedrichstraße war das Staatliche Filmarchiv auch in der Öffentlichkeit präsent. In den sechziger Jahren, als es in Westberlin noch kein Arsenal-Kino gab, war das für meine filmhistorische Sozialisation ein wichtiger Ort.
Für die Deutsche Kinemathek auf der anderen Seite der Mauer wurde Wolfgang Klaue ein Kollege und Partner, dem die Bewahrung des filmischen Erbes wichtiger war als die uns trennende Ideologie. Ohne ihn hätten wir 1987 den FIAF-Kongress in Westberlin nicht veranstalten können. Und ich erinnere mich immer wieder gern daran, wie wir 1988 bei einem wissenschaftlichen Kongress in Chicago gemeinsam deutsche Filmgeschichte präsent gemacht haben – westliche und östliche. Klaue wurde dabei von Lothar Bisky und Wolfgang Kohlhaase unterstützt.
Die Folgen der deutschen Einigung mit der Übernahme des Staatlichen Filmarchivs der DDR durch das Bundesarchiv/Filmarchiv waren für Wolfgang Klaue durchaus zwiespältig. Er hat mit der ihm eigenen Beharrlichkeit eine Krisenzeit überwunden und dann in einem fünfjährigen Kraftakt, zusammen mit dem damaligen Filmreferenten des Bundesinnenministeriums, Detlef Flotho, die Gründung der DEFA-Stiftung durchgesetzt, deren erster Vorstand und Geschäftsführer er ab 1999 war. Seine Autorität und seine institutionelle Erfahrung haben von Beginn an Maßstäbe gesetzt. Helmut Morsbach konnte ab 2003 auf diesem Fundament aufbauen und die Arbeit fortsetzen.
Wolfgang Klaue hat sich um die Bewahrung und Pflege des deutschen Filmerbes verdient gemacht. Ich freue mich auch persönlich, dass er dafür heute mit dem Preis der DEFA-Stiftung ausgezeichnet wird.
Babylon-Kino, 20. November 2009